Gehst du gern zur Schule?

Kommentar von Susanne Hoeth

HLZ 1/2020: Lehrkräftemangel in Hessen

Die meisten Kinder im Grundschulalter beantworten die Frage schlicht mit „Ja“. Wenn nicht, sollte man dem unbedingt auf den Grund gehen. Grundschullehrkräfte antworten meist ebenfalls mit „Ja“. Überwiegend jedoch gefolgt von einem langen „Aber“.

Stellen wir uns vor, du kämst morgens in die Schule, würdest die 18 Kinder deiner Klasse empfangen und ihr würdet mit einem offenen Anfang beginnen. Die Kinder könnten spielen, miteinander reden und bei Bedarf erst einmal frühstücken, denn die Gesamtkonferenz hätte längst Zeit gefunden, zu beschließen, was die Schule für Kinder anbieten könnte, die nicht von Zuhause versorgt sind. In der nächsten Stunde käme die sonderpädagogisch ausgebildete Kollegin dazu, die den Matheunterricht in der Klasse übernommen hätte, wodurch auch du die Möglichkeit hättest, dich intensiv um einzelne Kinder zu kümmern. In der dritten Stunde ginge es gemeinsam weiter mit dem von der Klasse gewählten Thema. Ihr beide könntet mit einzelnen Gruppen über den Stand ihrer Plakate oder Texte konferieren, denn der Lärmpegel ließe das bei dieser Klassengröße gerade noch zu. Danach wärst du noch zwei Stunden allein in der Klasse. Jeden Tag in der 6. Stunde gäbe es eine Kooperationsstunde für alle Kolleginnen und Kollegen, die auf die Pflichtstundenzahl angerechnet würde. Heute würdet ihr ein fächerübergreifendes Unterrichtsprojekt planen und überlegen, wie ihr die Stärken der einzelnen Kinder dabei am besten zur Geltung bringen könntet. Das würde länger dauern, aber ihr hättet Spaß beim gemeinsamen Planen.

Wenn es so wäre, würden alle mit mehr Freude zur Schule gehen, auch wenn das Beispiel weit entfernt ist von der Vision einer Ganztagsschule, in der Kinder und Lehrkräfte gerne den ganzen Tag miteinander leben und lernen.

Doch die Realität in unseren Schulen sieht anders aus. Fast immer sind einige krank, aus anderen Gründen abwesend oder Stellen können nicht besetzt werden. Kleingruppenunterricht, Doppelbesetzungen und Zusatzangebote aus den Sozialindexstunden müssen entfallen. Einige externe Kräfte halten die Betreuung der Kinder aufrecht, die UBUS-Kraft packt mit an, Klassen ohne Lehrkraft werden aufgeteilt, bei mehreren kranken Kolleginnen und Kollegen kollabiert das System. Der Lärmpegel steigt, Kinder verlieren Orientierung und Struktur, und die Schule selbst produziert so Barrieren für das Lernen. Da nutzen die Betonung der Bildungssprache Deutsch und die Ankündigung einer zusätzlichen Deutschstunde nichts, denn es gibt zu wenig Grundschullehrkräfte.

Anders in der Sekundarstufe: Hier warten Lehrkräfte darauf, eingestellt zu werden. Es wäre möglich, bessere Bedingungen zu schaffen. Kleine Lerngruppen, Kooperationszeiten im Kollegium und mit außerschulischen Partnern könnten helfen, soziale Probleme aufzufangen und auf die individuellen Interessen der Jugendlichen einzugehen. Das würde auch ihre Lust am Lernen steigern und höhere Bildungsabschlüsse ermöglichen. Oder benutzt man die Lehrkräfte lieber als befristete Reserve für die Grundschulen? Es ist zu befürchten, dass in den nächsten Jahren nicht nur Personen ohne Grundschullehramt, sondern auch ganz ohne pädagogische Ausbildung in den Grundschulen unterrichten. Wir können sie nicht „anlernen“, denn unsere Profession ist hochkomplex. Unterrichtsentwicklung, individuelle Förderung und pädagogische Reformen werden dabei zurückgedrängt – alles zu Lasten der Bildungschancen der Kinder.

Die Grundschulprofession hat sich an den gestiegenen Anforderungen weiterentwickelt, sie zu bewahren ist nun die Aufgabe. A13 für Grundschullehrkräfte als Zeichen der Anerkennung und des Erhalts der Profession ist daher dringender denn je. Vielleicht gäbe es dann auch mehr Menschen, die Grundschullehrkraft werden wollen? Denn der Beruf kann viel Freude bereiten.

Susanne Hoeth

Susanne Hoeth leitet gemeinsam mit Karin Hämmelmann die Landesfachgruppe Grundschule der GEW Hessen. Sie wurde von der Landesdelegiertenversammlung auf Platz 1 der Liste der Beamtinnen für die Wahl des Hauptpersonalrats gewählt (HLZ S.36). Mit der Profession der Grundschullehrkraft befasst sich die Fachtagung der GEW Hessen am 4. Februar (HLZ S.2).