Vom Tariflohn träumen

70 freie Träger an Ganztagsschulen in Frankfurt

HLZ 5/2015: Pakt für den Nachmittag

Die multiprofessionelle Zusammensetzung des pädagogischen Personals mit unterschiedlichen Qualifikationsprofilen und Arbeitsweisen ist auch an Frankfurter Schulen Alltag. Obwohl auch Frankfurter Schulen von der echten inklusiven Ganztagsschule Lichtjahre entfernt sind, sind inzwischen neben den Lehrerinnen und Lehrern viele andere Berufsgruppen betroffen: Tendenz steigend. Sozialpädagogische Fachkräfte, Schulsozialarbeiterinnen und Schulsozialarbeiter, Betreuungskräfte oder die Beschäftigten in der Mensa sind meistens bei „freien Trägern“ angestellt. Anja Golder betrachtet deren Situation aus der Sicht einer betroffenen Kollegin, die als Pädagogin in einer Ganztagseinrichtung arbeitet und bei einem freien Träger angestellt ist.

In Frankfurt gibt es für den Bereich der Ganztagsangebote an Schulen fast 70 unterschiedliche Träger. Die Bandbreite reicht von kleinen Elterninitiativen, die sich nur an einer einzigen Schule engagieren, bis zu großen Trägern, die Betreuungsangebote an mehreren Schulen organisieren.

Elterninitiativen, die sich für eine bessere Betreuung engagieren, müssen einen Förderverein gründen, weil die den Schulen zur Verfügung gestellten Mittel der Kommunen und des Landes von diesen nicht verwaltet werden dürfen. Sie können aber an einen Förderverein ausgezahlt werden, der dann die Betreuung organisiert, gegebenenfalls auch mit privatrechtlicher Haftung.

Einige wenige große Träger wie der Internationale Bund (IB), die ASB-Lehrerkooperative oder die Arbeiterwohlfahrt (AWO) sind an mehreren Schulen vertreten und gestalten mit der Betreuung, der Schulsozialarbeit und pädagogischen Angeboten am Nachmittag sogar mehrere Bereiche an einer Schule.
Umgekehrt kommt es aber auch vor, dass an ein- und derselben Schulen bis zu fünf unterschiedliche Träger tätig sind – ein unhaltbarer Zustand! Das gilt in Frankfurt auch für Ganztagsangebote an Grundschulen. Häufig werden die Frühbetreuung, die Erweiterte Schulische Betreuung (ESB), ein besonderes kommunales Angebot mit hortähnlichen Strukturen an Grundschulen, und die durch das Land Hessen finanzierten Ganztagsangebote von ganz unterschiedlichen Trägereinrichtungen organisiert und verantwortet. Diese Strukturen sind für niemanden mehr durchschaubar, Verantwortlichkeiten und Zuständigkeiten sind völlig unklar und der Austausch zwischen den unterschiedlichen Akteurinnen und Akteuren ist fast unmöglich.
Eine weitere Hürde für Kommunikation und Kooperation ist die Tatsache, dass sowohl in der Lehrerschaft als auch unter den pädagogischen Fachkräften Vorurteile gegenüber der jeweils anderen Berufsgruppe keine Seltenheit sind.

Weiterhin stellt sich die Frage nach dem Dienst- und Weisungsrecht und nach der personalrechtlichen Vertretung. Hat die Schulleitung tatsächlich das Dienst- und Weisungsrecht inne, wenn der Arbeitgeber der Förderverein ist und demnach bei einer Vielzahl denkbarer arbeitsrechtlicher Konflikte als Klagegegner herhalten müsste? Wenn die Schulleitung das Dienst- und Weisungsrecht beansprucht, müsste dann nicht das weitere pädagogische Personal an Schulen vom Personalrat vertreten werden? Eine echte personalrechtliche Vertretung umfasst aber auch das aktive und das passive Wahlrecht.

Entlohnung bei den freien Trägern

Freie Träger werden gerne herangezogen, um untertarifliche Bezahlung in der pädagogischen Arbeit durchzusetzen. Das ist eine Erfahrung aus vielen Bereichen der Pflege und Pädagogik. In den letzten Jahrzehnten wurden zunehmend kommunale und Landesaufgaben privatisiert und die Umsetzung an die freien Träger gegeben. Das ging auch mit einer Abwärtsspirale in der tariflichen Bezahlung einher. Von den rund 70 Trägern, die an Schulen in den oben benannten Tätigkeitsfeldern aktiv sind, wenden lediglich drei große Träger vollumfänglich den Tarifvertrag des öffentlichen Dienstes (TVöD) an. Dies sind die AWO Perspektiven gGmbH, die Praunheimer Werkstätten gGmbH und der Verein Arbeits- und Erziehungshilfe (vae e.V.). Der Internationale Bund e.V., der in der Schulsozialarbeit und in der ESB Frankfurt breit vertreten ist, verfügt immerhin über einen Haustarifvertrag.

Die Entlohnung bei den Fördervereinen ist sehr unterschiedlich und nur in seltenen Fällen an den TVöD angelehnt, Haustarifverträge gibt es nicht. Den Fördervereinen, die insbesondere im Ganztagsbereich aktiv sind, ist an dieser Stelle auch kein Vorwurf zu machen, da sie aufgrund der zu geringen Mittel, die die Stadt Frankfurt und das Land Hessen zur Verfügung stellen, auch nur eine Mangelverwaltung betreiben können. Und das schlägt sich in den Löhnen der Angestellten und den gewählten Vertragsformen nieder. Nicht wenige Ganztagsbetreuungen werden überwiegend von Kolleginnen und Kollegen im Rahmen einer geringfügigen Beschäftigung gestemmt.

Die Vielzahl der geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse und die kurzen Laufzeiten der befristeten Arbeits- oder Honorarverträge führen zu einem gesteigerten Organisations- und Koordinationsaufwand bei den Trägern und auch in der Schule. Die Leitungen von Ganztagseinrichtungen sind oft nicht für ihre Leitungstätigkeiten eingestellt, sondern müssen alles machen: Sie sollen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter einstellen und qualifizieren, Konzepte entwickeln, die Arbeit mit der Schule und anderen Einrichtungen im Stadtteil koordinieren, Elterngespräche führen, Ferienangebote gestalten, pädagogische Angebote für die Kinder planen und durchführen und vieles mehr. Dafür steht oft nicht einmal eine volle Stelle, sondern nur eine Teilzeitstelle zur Verfügung. Ohne Tarifbindung gibt es nur den gesetzlichen Mindesturlaub von 20 Tagen. Viele Verträge sind auf ein Jahr befristet. Das hat mit einer qualitativ guten Tätigkeit für qualifizierte Pädagoginnen und Pädagogen und vernünftigen Anstellungsbedingungen nichts mehr zu tun. Zwar sind die freien Träger, die Geld von der Stadt Frankfurt erhalten, an einen Tariftreuebeschluss des Magistrats gebunden, doch dessen Umsetzung lässt in der Praxis deutlich zu wünschen übrig.

Zentrale gewerkschaftliche Forderung ist daher, dass bei der finanziellen Ausstattung von pädagogischen Angeboten an und um Schule sichergestellt wird, dass das weitere pädagogische Personal mindestens entsprechend den geltenden Tarifverträgen bezahlt und nach den jeweiligen Entgeltordnungen auch entsprechend der tatsächlich ausgeübten Tätigkeiten eingruppiert wird.

Kolleginnen und Kollegen, die als „zusätzliches pädagogisches Personal“ in den Schulen arbeiten, sind von ihren Arbeitsbedingungen oft enttäuscht. Es kommt häufig vor, dass Aufgaben- und Arbeitsbereiche und damit verbunden professionelle Rollen nicht klar definiert sind. Ausschlaggebend ist häufig nicht ein bestimmtes schulbezogenes pädagogisches Konzept, sondern der Krankenstand im Kollegium. Unterrichtsausfall soll von den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Ganztag aufgefangen werden, ohne zu berücksichtigen, ob sie dies überhaupt stemmen können, von einem vernünftigen Betreuungsschlüssel mal ganz abgesehen. Multiprofessionelle Kooperation muss jedoch auf Augenhöhe stattfinden, verlangt eine gemeinsame Verständigung und ein Engagement aller an Schule Beteiligten in den schulischen Gremien. Pädagogisches Personal muss in die Schule und die Gestaltung des Schulalltags eingebunden und strukturelle Hindernisse für die multiprofessionelle Kooperation müssen beseitigt werden. Zu diesen strukturellen Hindernissen gehören zu wenig Zeit, unzureichende räumliche Bedingungen, fehlende Kontaktmöglichkeiten, unklare Zielsetzungen und schlechte Rahmenbedingungen.

Ein erster Schritt für ein solidarisches Miteinander ist ein vorurteilsfreier Umgang und ein Bewusstsein darüber, wie entsolidarisierend sich die Trägerstrukturen und die sich daraus ergebenden Zuständigkeitsprobleme auf die Arbeit im Kollegium auswirken. Wichtig ist, sich nicht gegeneinander ausspielen zu lassen. Ein zweiter Schritt könnte darin bestehen, das weitere pädagogische Personal in die bestehende Schulstruktur und den Schulalltag zu integrieren. Dabei ist bei der Vereinbarung von Terminen auf die Arbeitszeiten der Kolleginnen und Kollegen der freien Träger zu achten. Und schließlich: Wie wäre eine gegenseitige Unterstützung bei den anstehenden Arbeitskämpfen? Die aktuell laufenden Tarifverhandlungen zum TV-H und zur Entgeltordnung Sozial- und Erziehungsdienst (TV SuE) sollten dafür reichlich Gelegenheit bieten.

Anja Golder

Anja Golder ist Pädagogische Mitarbeiterin im Ganztag einer IGS mit Oberstufe in Frankfurt, angestellt bei einem freien Träger. Seit Mitte Februar 2015 ist sie Mitglied im Vorsitzendenteam des GEW-Bezirksverbandes Frankfurt.