In den entscheidenden Phasen des Lernens wie Kognitivieren, Üben und Aufbereiten spielen digitale Lehr- und Lernverfahren ein großes Plus aus. Schaut man allerdings in die Schulen, entstehen Zweifel, ob sie auch umgesetzt werden. Nach einer Studie des Bundesverbandes Digitale Wirtschaft, in der über 1.000 Eltern befragt wurden, bemerkten mehr als zwei Drittel der Eltern keine Verbesserung der digitalen Lehr- und Lernangebote in Schulen. Viele bemängeln, dass die Kinder zwar in Distanzlernphasen mit Arbeitsblättern versorgt und die Aufgaben in eine Cloud gestellt werden, aber nur selten Videokonferenzen stattfinden, die Simultanunterricht mit Schülerinnen und Schülern in der Schule und denen, die zuhause bleiben, ermöglichen.
Die Kultusministerien (1) übertragen die Auswahl der verwendeten Verfahren an die Schulen. Die Schulträger (2) – sprich die Kommunen und Kreise – kümmern sich um Infrastruktur und Hardware. Hier wurden in den letzten Monaten beachtliche Erfolge erreicht.
Die Staatlichen Schulämter (3) sorgen für die rechtliche Absicherung, setzen allerdings auch gerne Personalentscheidungen in Sachen Digitalisierung durch. Sie befinden sich damit im selben Dilemma, mit dem sich auch die anderen Instanzen auseinandersetzen müssen: Didaktik und Methodik einzelner Unterrichtsfächer ins Digitale übersetzen „können“ bisher nur wenige Lehrerinnen und Lehrer, die dafür oft nicht ausgebildet sind.
Ausbildungsstätten (4) wie Lehrerakademien, private Anbieter und Medienzentren sind ebenfalls besetzt von Fachlehrern, die möglicherweise digitale Lehrszenarien verstehen und einsetzen. Geht es aber um die anderen 20 bis 25 fachfremden Fächer müssen sie passen. Oft fehlt auch der direkte Kontakt pädagogischer Forschungsinstitute zu Schulen, auch wenn Bund und Länder mit der „Qualitätsoffensive Lehrerbildung“ bereits seit 2013 daran arbeiten, dass Schulen und Ausbildungslehrstätten stärker zusammenarbeiten. So soll nicht nur der gesamte Prozess der Lehrerbildung verbessert werden, sondern auch das Studium, der berufliche Einstieg und die Weiterbildung sollen an moderne Anforderungen angepasst werden.
Schulleiterinnen und Schulleiter (5) befinden sich in einer ähnlichen Zwangslage und geben die Entscheidung über die Auswahl der Technik, der Einsatzverfahren, der Apps und der digitalen Lehrwerke an ihre Fachbereichsleitungen (6) ab. Diese müssen fast am Ende der Entscheidungsskala die Verfahren, Unterrichtsentwürfe und Technologien bei Fachkonferenzen vorstellen und den Kolleginnen und Kollegen empfehlen. Diese Empfehlungen sind wegen der pädagogischen Gestaltungsfreiheit jedoch keine verpflichtenden Vorgaben. So nutzten laut der International Computer and Information Literacy Study (ICILS) 2018 lediglich rund 23 Prozent der Lehrkräfte (7) digitale Medien täglich im Unterricht.
Der Weg Richtung E-Learning ist durch viele Hürden versperrt. Auch die Schulbuchverlage (8) nähern sich dem Thema nur zurückhaltend, zum Teil aus Furcht vor Raubkopien.
Wer die hier vorgestellten Entscheidungsträger durchzählt, wird die Erwähnung einer weiteren Entscheidungsstufe vermissen: Es liegt auch an den Eltern (9), insbesondere auch an denen, die in ihren Berufen „Digital Change“ betreiben, den Schulen wirksame Impulse zu geben. Sie sind also nicht das zusätzliche Rad am Wagen, sondern könnten verstärkt Druck auf die Verantwortungsträger ausüben.
Wenn es um Behörden geht, scheint es wohl ein gängiges Muster zu sein, dass nicht nur Schulen in der Digitalisierung weit zurückliegen. In Gesundheitsämtern kommen zur Nachverfolgung von Coronafällen weiterhin Faxgeräte zum Einsatz und nicht das „Sormas-Verfahren“, das einen erheblichen Sprung nach vorne bei der Identifizierung von Infektionsketten erlaubt. Während in Gesundheitsämtern das Fax dominiert, bestimmt in den Schulen das Arbeitsblatt und dessen händische Kontrolle das pädagogische Geschehen, mit dem Rotstift auf dem Ausdruck, nachdem es - immerhin – aus dem Netz heruntergeladen wurde. Allerdings liegt zwischen Ländern und Gesundheitsämtern nur eine Entscheidungsebene, bei digitaler Bildung sind es acht.
So stellt sich die Frage, ob es nach der Coronakrise in den Schulen wieder wie im Status quo ante weitergehen wird oder ob die Chance genutzt werden wird, tiefer in das neue Setting digital gestützten Lernens einzutauchen.
Gut möglich ist auch, dass die großen Technologie-Konzerne wie Google und Amazon uns in Sachen E-Learning rechts überholen, die schon heute Spracherkennung, Sprachsynthese und künstliche Intelligenz als die neuen Paradigmen für Lehre und Unterricht verwenden. Sie halten in der Berufswelt Einzug. Deep Data ermöglicht tiefgehende Analysen von Lernprozessen und wird von diesen US-Internetkonzernen ganz nebenbei eingesetzt. Lehre und Lernen sind uralte Themen, die die Menschheit seit vielen tausend Jahren beschäftigen. Kommt es zu einer digitalen Machtübernahme? Dies ist in Deutschlands Schulen nur schwer vorstellbar, denn die Datenschutzbestimmungen schließen dies weitgehend aus. Doch kann man trotzdem von den Internetriesen lernen. Eigentlich eine ideale Aufgabe für das Biotop Schule.
Helmut Poppe
Eine Langfassung erschien am 19.1.2021 auf der Internetseite Bildungsklick: bildungsklick.de/schule/detail/bildungspolitik-und-schulen-8-huerden-die-homeschooling-in-deutschland-verhindern