Der Mensch im Mittelpunkt?

Stellungnahme des DGB zur hessischen Digitalstrategie

HLZ 1-2/2021

Ende Juli eröffnete die hessische Digitalministerin Prof. Dr. Kristina Sinemus einen „öffentlichen Beteiligungsprozess“ zur Fortschreibung der 2016 formulierten „hessischen Digitalstrategie“. Die vorgesehenen Veranstaltungen wurden „komplett in den virtuellen Raum übersetzt und so auf eine noch breitere, digitale Basis gestellt“ (www.digitale-zukunft-hessen.de). Die Stellungnahme des DGB Hessen-Thü­ringen vom 20.11.2020 findet man unter dem Kurzlink bit.ly/2J299st. Im Abschnitt 3.1 „Bildungswesen“ wurden die Vorstellungen und Forderungen der GEW eingearbeitet. Die HLZ dokumentiert im Folgenden einige Auszüge.

Die Fortschreibung der Digitalstrategie hat das Digitalministerium unter das Motto „Der Mensch im Mittelpunkt“ gestellt. Dieses Motto darf nicht nur ein Marketingslogan und eine Worthülse bleiben. Wir fordern, dass die digitalen Technologien für eine menschengerechte Arbeitswelt genutzt werden und für die Bevölkerung des Landes Hessen zu guten Lebensbedingungen führen, die „niemanden zurück lassen“ (UN-Agenda 2030: „Leave No One Behind“).

Der DGB fordert, die Digitalstrategie des Landes an dem Leitbild „Gute Arbeit – Gutes Leben“ auszurichten. Dazu gehören tarifvertraglich vereinbarte Löhne, Arbeitsplatzsicherheit, gute Arbeitsbedingungen, Vereinbarkeit von Familie und Beruf, eine hochwertige Qualifizierung, Aus- und Weiterbildung sowie Mitbestimmung durch Betriebs- und Personalräte. (...) In unserem Positionspapier zeigen wir Schlüsselfelder auf, in denen die Politik aktiv werden muss. Dazu gehören: Aus-/Weiterbildung und Qualifizierung, Forschung, Arbeits- und Gesundheitsschutz, Arbeitszeit, Mitbestimmung, Beschäftigtendatenschutz, soziale Sicherung und ein handlungsfähiger Staat. (...)

Handlungsfeld Bildungswesen

Im Abschnitt „Bildungswesen“ wird in der Digitalstrategie 2016 folgendes Ziel formuliert: „Ausbildung und Weiterbildung müssen flexibel auf die Veränderung der Qualifikationsanforderungen reagieren und Fachkräfte sichern“. (S.11)

Die Aufgabe des Bildungswesens wird demzufolge vorrangig in der Sicherung von Arbeitskräften für die Wirtschaft gesehen; gesellschaftliche Implikationen, Fragestellungen und konstruktive Kritik bleiben damit auf der Strecke. In der Digitalstrategie heißt es weiter: „In allen Phasen gilt es, die Lehrinhalte kontinuierlich an die digitalen Entwicklungen und digitalisierten Prozesse anzupassen und die Kompetenz der Lehrerinnen und Lehrer zu stärken, damit diese eigenständig auch über die verfügbaren Lehrmittel hinaus digitale Lehrinhalte und Plattformen in den Unterricht integrieren können“.

Statt also digitale Medien zu einem besseren Verständnis und zu einer menschengerechten Gestaltung der Welt zu nutzen, sollen die Lehrkräfte laut der Digitalstrategie dazu beitragen, dass die ihnen anvertrauten Kinder und Jugendlichen, Schülerinnen und Schüler sowie Auszubildende, an die Erfordernisse der digitalen Maschinenwelt angepasst werden. Ein weiteres Ziel dieses wirtschaftsorientierten Ansatzes ist die Steigerung des Konsums digitaler Produkte und Dienstleistungen.

Der DGB lehnt diese vorrangige Berücksichtigung wirtschaftlicher Interessen ab. Wir fordern, die aktuelle Digitalstrategie dahingehend zu überarbeiten, dass vor allem im Bildungsbereich die gesellschaftliche Dimension der Nutzung digitaler Medien neben der wirtschaftlichen und technologischen Dimension gelehrt wird. Wie diese Forderung konkret umgesetzt werden kann, zeigen die Beschlüsse der GEW Hessen vom 29./30. 3. 2019 und 16. 6. 2020 auf (1). Wir erwarten, dass die Forderungen aus den Beschlüssen in die neue Digitalstrategie aufgenommen werden. Nicht nur fehlen in den meisten Schulen eine schnelle Internetverbindung, W-Lan und eine flächendeckende Ausstattung mit digitalen Medien, sondern auch eine personelle Ausstattung für IT-Administration und -Support. Zur „Digitalisierung der Schulausbildung“ heißt es in der Strategie 2016: „Das Land Hessen wirkt darauf hin, dass die digitale Kompetenz des Lehrpersonals sowie der Schülerinnen und Schüler konsequent gefördert werden.“

Dagegen ist nichts einzuwenden, wenn die Förderung der generellen, pädagogisch-didaktischen, politischen und fachlichen Bildung, Weiter- und Ausbildung nicht hinten angestellt wird und auch der kritischen Auseinandersetzung mit den gesellschaftlichen Implikationen der Digitalisierung der Arbeitswelt und des Alltagslebens der Menschen in Hessen genügend Raum gegeben wird. Wir sehen es kritisch, dass hiervon nichts in der gegenwärtigen Strategie zu erkennen ist. Dies müsste ein Folgetext besser machen.

Weiter heißt es in der Strategie: „Die Lehrinhalte in den Grundschulen und weiterführenden Schulen sind den neuen Anforderungen durch den digitalen Wandel entsprechend weiterzuentwickeln.“ Diese Maßnahme ist grundsätzlich zu begrüßen. Sie sollte allerdings in aller Breite und nicht reduziert auf digitale Themen erfolgen.

Des Weiteren fordert der DGB die Einrichtung einer unabhängigen Monitoringstelle, die nicht durch die Kultusministerien zugelassene Unterrichtsmaterialien, Wettbewerbe, Bewerbungsportale und ähnliche Angebote prüft und Empfehlungen über die Verwendung herausgibt.

Das Thema „IT-Sicherheit und Datenschutz“ wird im Handlungsfeld „Bildungswesen“ bislang vernachlässigt. Gerade in diesem Bereich fallen jedoch sehr viele sensible Daten an (Noten, Prüfungsergebnisse, individuelle Förderpläne, Gutachten, Gesprächsprotokolle, Laufbahneinstufungen etc.). Daher sollte dieser Bereich in der neuen Digitalstrategie berücksichtigt werden.

Im Gegensatz zur Darstellung in der Digitalstrategie, wonach Hessen als starker und zum Teil weltweit führender IKT-Standort beschrieben wird, sieht es in den Schulen in der Realität äußerst miserabel aus. Daher ist es mehr als überfällig, dass die Landesregierung, ihrer 2016 gemachten Ankündigung, „die IKT-Ausstattung der Schulen (zu) verbessern und das Lehrpersonal optimal auf die Vermittlung digitaler Kompetenz vor(zu)bereiten“, endlich Taten folgen lässt. Ein nach wie vor ungelöstes Problem, das seitens des Landes und der Schulträger dringend in Angriff genommen werden muss, sind die IT-Administration und der IT-Support.

Die 2016 angekündigte Digital­strategie für den Bildungssektor gibt es bis heute nicht. Tatsächlich hinkt der Bildungsbereich der technologischen Entwicklung gewaltig hinterher. Dies wurde besonders in der Corona-Krise deutlich. (...)

Bei dem von Ihnen initiierten Online-Beteiligungsprozess stellen sich mehrere Fragen. So ist unklar, wer wie an der Fortschreibung beteiligt wird und wie die angestrebten Ziele und Maßnahmen letztendlich umgesetzt werden. Wie eingangs beschrieben halten wir ein regelmäßiges Monitoring und eine Evaluierung für notwendig, um den Fortschritt bei der Umsetzung zu begleiten. Die Ergebnisse sollten der Öffentlichkeit bekannt gemacht werden.