Jugend und Beruf

Wer sind die Verliererinnen und Verlierer der Pandemie?

HLZ 06/2021: Soziale Ungleichheit

Abitur, Prüfungen, Abschlüsse, Versetzungsregelungen: Das sind die großen Themen, wenn es um Schule in der Pandemie geht. Aber wie geht es Jugendlichen und jungen Erwachsenen beim Übergang von der Schule in den Beruf? Was ist mit jungen Menschen, die ihre Ausbildung in der Gastronomie oder in der Veranstaltungsbranche machen? Was ist mit Azubis, deren Betriebe die Pandemie nicht überstehen oder die gut ausgebildete junge Menschen nicht mehr übernehmen? Wer „sozialer Ungleichheit“ begegnen will, darf seinen Blick nicht nur auf Abiturientinnen und Abiturienten richten.

Im Vergleich zum Vorjahr wurden laut Berufsbildungsbericht 2020 in Hessen 13 % weniger Ausbildungsverträge abgeschlossen. Im Februar 2021 verzeichneten die Arbeitsagenturen einen Rückgang der gemeldeten Stellen um 12,8 %, aber auch die Zahl der Bewerberinnen und Bewerber ging um 15,6 % zurück. Die Ursachen sind vielschichtig: Praktika zur Berufsorientierung fielen aus, Berufsberaterinnen und Berufsberater der Bundesagentur für Arbeit wurden für die Bearbeitung des Kurzarbeitsgeld eingespannt, Beratungen an Schulen und in den Berufsberatungszentren, Tage der Offenen Tür und Berufsbildungsmessen wurden gecancelt und viele Jugendliche entscheiden sich aufgrund der Unsicherheiten der Pandemie für einen längeren Schulbesuch.

Unter dem Titel „Kein Anschluss trotz Abschluss?“! befasst sich eine aktuelle Studie des Forschungsinstituts für Bildungs- und Sozialökonomie (FIBS) mit der Situation benachteiligter Jugendlicher am Übergang Schule – Ausbildung. Danach sank die Zahl der neuen Ausbildungsverträge schon in den letzten Jahren vor der Pandemie deutlich und erreichte 2020 mit unter 470.000 „einen historischen Tiefstand“. Diese Entwicklung werde lediglich durch die Tatsache gebremst, dass der Anteil der Abiturientinnen und Abiturienten, die im Anschluss an das Abitur eine duale Ausbildungabsolvieren, steigt:

„Stattdessen sind die Chancen sowohl für Jugendliche mit als auch ohne Hauptschulabschluss deutlich schlechter als noch Anfang des letzten Jahrzehnts - in beiden Fällen sind die Übergangsquoten mit knapp 50 % bzw. knapp 80 % um etwa zehn Prozentpunkte niedriger als noch 2012. Dementsprechend hat sich die Zahl der jungen Menschen, die in das sogenannte Übergangssystem einmünden, in den vergangenen Jahren deutlich auf über 250.000 erhöht.“

Eine Befragung von jungen Menschen, die im Februar und März 2021 im Auftrag der Bertelsmannstiftung durchgeführt wurde, zeigt ein ähnlich gespaltenes Bild:

„71 % aller Befragten – das sind 10% mehr als im Vorjahr – sind der Ansicht, dass sich die Chancen auf einen Ausbildungsplatz durch Corona verschlechtert haben. Für zukünftige Studierende sieht es deutlich besser aus: Weniger als ein Viertel (24 %) aller Befragten glaubt, die Chancen auf einen Studienplatz seien durch Corona beeinträchtigt.“

Auch die stellvertretende DGB-Vorsitzende Elke Hannack warnt vor „Langzeitschäden auf dem Ausbildungsmarkt“, nachdem das Minus von 11 % bei den neuen Ausbildungsverträgen jetzt schon das in der globalen Finanzkrise 2009 übersteigt (-8,4 %):

„Vor allem junge Menschen mit niedrigen oder mittleren Schulabschlüssen sowie Jugendliche aus Einwandererfamilien drohen zu den Verlierern der Krise zu werden. Die Corona-Krise trifft auf einen ohnehin schon angespannten Ausbildungsmarkt. Schon vor Corona blieb gut jeder dritte Jugendliche mit Hauptschulabschluss ohne Ausbildung. Insgesamt hatten bereits vor der Pandemie mehr als 1,3 Millionen junge Menschen im Alter von 20 bis 29 Jahren keine abgeschlossene Ausbildung. Das sind 14 % dieser Altersgruppe.“

Im Ausbildungsplatzförderungsprogramm des Landes wurde die Förderberechtigung auf Betriebe mit bis zu 499 Beschäftigten ausgeweitet (bisher 299). Kleinere Betriebe mit 249 Beschäftigten können einen Zuschuss von 75 Prozent der Ausbildungsvergütung erhalten, wenn der Betrieb in Kurzarbeit ist und jungen Menschen trotzdem die Fortführung der Berufsausbildung ermöglicht.

Nach Angaben der Agentur für Arbeit werden in Hessen für das neue Ausbildungsjahr 27.600 Ausbildungsstellen angeboten, dem stehen 27.532 Bewerberinnen und Bewerber gegenüber. Aus dem laufenden Ausbildungsjahr sind noch 16.000 Stellen unbesetzt, dem stehen 15.800 unversorgte Bewerberinnen und Bewerber gegenüber. Die Zahl der Jugendlichen, die weitere schulische Maßnahmen anstreben, ist deutlich höher als in Zeiten vor der Pandemie. Das Ausmaß der Krise wird an der Tatsache deutlich, dass jetzt sogar die wirtschaftsnahe Bertelsmannstiftung Ausbildungsprämien für Betriebe für „nicht mehr ausreichend“ hält und sich der Forderung nach einer Ausbildungsgarantie anschließt, wie sie auch von DGB-Vize Elke Hannack gefordert wird:

„Notwendig ist eine Ausbildungsgarantie nach dem Vorbild Österreichs, um den Jugendlichen, die keinen betrieblichen Ausbildungsplatz finden, den Einstieg in das erste Ausbildungsjahr zuzusichern. Und dies notfalls auch bei einem außerbetrieblichen Träger. Diese Garantie muss immer die Möglichkeit umfassen, die Ausbildung komplett zu absolvieren und eine Abschlussprüfung zu machen.“

Ralf Becker