BÜA: Der Übergang in die Ausbildung

HLZ 2022/4: Berufsausbildung

Das duale System der Berufsausbildung, lange Zeit international als Erfolgsmodell anerkannt, ist in der Krise. Die Zahl der Ausbildungsstellen, die nicht besetzt werden können, steigt, gleichzeitig auch die Zahl der Jugendlichen, die keinen Ausbildungsplatz finden (HLZ S. 10). Wurden Mitte der achtziger Jahre bundesweit noch mehr als 700.000 neue Verträge gezählt, waren es zu Beginn des Ausbildungsjahres 2021/2022 nur noch 473.000. Obwohl die Zahl der Jugendlichen, die eine Ausbildungsstelle suchen, sinkt, gibt es immer noch mehr Bewerber:innen als Ausbildungsplätze. In Hessen kamen im September 2021 107 Bewerber:innen auf 100 Ausbildungsplätze. Die Lage auf dem Ausbildungsmarkt wird durch eine unzureichende berufliche Orientierung verschärft, so dass viele Jugendliche nach dem Besuch der Sekundarstufe I weder in der dualen Ausbildung noch in den bewährten Vollzeitschulformen ankommen, sondern in den Übergangssystemen der berufsbildenden Schulen.

Bereits 2011 stellte die GEW Hessen in einem Beschluss ihrer Delegiertenversammlung fest, dass das „Übergangssystem“ von den allgemeinbildenden zu den berufsbildenden Schulen zu unübersichtlich ist. Sie legte die folgenden Eckpunkte für die Zukunft der berufsbildenden Schulen vor:

  • Lebens- und Bildungsräume mit ganztägigem Betrieb
  • Individuelle Förderung in allen Bildungsgängen
  • Durchlässigkeit zwischen den Bildungsgängen bei voller Anrechnung
  • Recht auf eine vollqualifizierende Berufsausbildung

Das Land Hessen hat im Amtsblatt 6/2016 Schulen aufgefordert, sich für die Erprobung einer „Berufsfachschule zum Übergang in Ausbildung“ (BÜA) im Rahmen eines Modellversuchs zu bewerben. Sie solle Schülerinnen und Schüler im Übergang Schule – Beruf „optimal begleiten und individuell unterstützen“ und „die persönlichen und sozialen Kompetenzen der Schülerinnen und Schüler fördern“. Bestandteile sind die Berufsorientierung verbunden mit betrieblichen Phasen und „eine gezielte individuelle Förderung in den Fächern Deutsch, Mathematik und Englisch“. Die Schulform richtet sich an nicht volljährige Jugendliche, die aus der Sekundarstufe I kommen, keinen Ausbildungsvertrag und keine Zugangsberechtigung für die Bildungsgänge haben, die auf einen Hochschulzugang vorbereiten (Gymnasiale Oberstufe, Fachoberschule). BÜA gliedert sich in zwei Stufen:

  • Auf Stufe I geht es vorrangig um berufliche Orientierung. Lernende sollen im Unterricht und bei angeleiteten Praktika unterschiedliche berufliche Fachrichtungen kennenlernen.
  • Die Stufe II bereitet auf Ausbildungsberufe vor, die den mittleren Schulabschluss voraussetzen, den sie am Ende der Stufe II erwerben können.

Ein weiteres wichtiges Merkmal der neuen Schulform ist der in der Stundentafel verankerte „Profilgruppenunterricht“ mit der Möglichkeit, die Jugendlichen abseits des sonst üblichen Drucks einer Fachsystematik zu betreuen und individuell zu beraten. Die allgemeinbildenden Fächer Mathematik, Deutsch und Englisch werden nicht im Klassenverband, sondern auf mindestens zwei Anspruchsniveaus unterrichtet.

Die konstruktive und kritische Begleitung durch die Landesfachgruppe Berufsbildende Schulen der GEW hat mit dazu beigetragen, dass das Hessische Kultusministerium erstmals den Wert von kleineren Lerngruppen für die Erreichung der genannten Ziele anerkannt hat. Leider wird der Klassenteiler in der Stufe II von 16 auf 25 Schüler:innen erhöht.

Als „Konstruktionsfehler“ der neuen Schulform kritisiert die GEW, dass lediglich ein Drittel der Lernenden Zugang zur Stufe II erhalten soll. Die ausbildungsbereiten Betriebe werden – so die Einschätzung der GEW – versuchen, die „vermeintlich“ besseren BÜA-Schülerinnen und BÜA-Schüler abzuwerben, während die übrigen keinen Zugang zur Stufe II erhalten und dann auf der Straße stehen. Durchlässigkeit und Anerkennung bereits erbrachter Leistungen, zwei Essentials im Zukunftspapier der GEW Hessen, bleiben auf der Strecke.

Auch das wichtigste Ziel, der Übergang in Ausbildung, wird offensichtlich verfehlt. Nach uns vorliegenden Zahlen schließen nach Stufe I nur 17 % und nach Stufe II nur 23 % der Schüler:innen einen Ausbildungsvertrag ab. Das zu knappe Ausbildungsangebot lässt auch für die Absolvent:innen von BÜA keine wirklichen Berufswahlentscheidungen zu. Die Ausbildungsbedingungen und die Pandemie spielen – mindestens in bestimmten Branchen – eine große Rolle.

Mittlerweile geht der Modellversuch in die zweite Runde. Die Kolleginnen und Kollegen berichten unter anderem von hohem zeitlichem Aufwand, um die geforderten Kompetenzraster für die Bewertung der Lernenden zu erstellen. Es bleibt abzuwarten, wie die Landesregierung nach Auslaufen des Modellversuchs mit der intensiven Entwicklungsarbeit an den Schulen umgeht. Wird die Landesregierung im Rahmen der Output-Steuerung den Weg der Vereinheitlichung gehen und die Rückmeldungen aus der Praxis ignorieren? Wird sie die Hinweise in den Wind schlagen, dass für die anspruchsvolle pädagogische Arbeit in sehr heterogenen Lerngruppen zusätzliche Ressourcen benötigt werden? Schon die erste Evaluation 2018 machte deutlich, dass viele Lernende mit einem Bündel von Problemen an den Schulen ankommen. Die zugebilligten 0,2 Stellen Sozialpädagogik je Profilgruppe sind deshalb viel zu niedrig angesetzt und zudem bis zum Ende des Modellversuchs 2025 befristet. Hier gibt es Nachsteuerungsbedarf, wenn BÜA eine Zukunft haben soll.

Carsten Leimbach