Betriebsnahe Fachklassen erhalten Wie zukunftsfähig ist „die zukunftsfähige Berufsschule“?

Wie zukunftsfähig ist „die zukunftsfähige Berufsschule“?

HLZ 2022/4: Berufsausbildung

Die duale Ausbildung gilt trotz der in den letzten Jahren zurückgehenden Zahl an Ausbildungsverhältnissen weiterhin als Erfolgsmodell. Dieses Modell sichere bei der Ausbildung von Fachkräften „eine an den betrieblichen Bedarfen ausgerichtete Qualifizierung von Jugendlichen“ und verhindere Jugendarbeitslosigkeit - so die Aussagen des Hessischen Kultusministeriums (HKM) in seinem Konzept „Die zukunftsfähige Berufsschule“, das im vergangenen Jahr veröffentlicht wurde. Ziele des Konzepts sind der „Erhalt einer möglichst betriebsnahen Beschulung“ und das Schritthalten mit „Veränderungen in der Arbeitswelt“, Zielsetzungen, denen die GEW und der DGB gerne zustimmen.

Hinter den Kulissen: Rahmenplan des HKM

Das HKM arbeitet seit einigen Jahren an einer grundlegenden Reform der Berufsschulen und einer damit einhergehenden veränderten Ressourcenzuweisung. Bis Ende 2023 sollen Standortkonzepte mit Schulträgern, Schulen und der Wirtschaft erarbeitet werden. Die dort aufgeworfenen Fragestellungen sind für die beruflichen Schulen von existenzieller Bedeutung, insbesondere die geforderte Mindestgröße von Berufsschulklassen und die Frage nach den zukünftigen Verfahren für die Fachklassenstandorte, wenn einzelne Berufsschulen die Ausbildung in bestimmten Berufen nicht aufrechterhalten können. Eine Steuergruppe des HKM hat ein erstes Konzeptpapier erarbeitet und an die Schulen verschickt, außerdem führt das HKM seit Beginn des Schuljahres 2021/22 Gespräche vor Ort mit den Schulleitungen.

Bereits im April 2021 hatte das HKM die Mindestklassengrößen in der Teilzeitberufsschule heraufgesetzt und zwar von bisher 15 Schülerinnen und Schüler auf 12 im ersten Ausbildungsjahr, 9 im zweiten, 8 im dritten und 5 im vierten Ausbildungsjahr. Wenn in zwei aufeinanderfolgenden Jahren die Mindestklassengrößen nicht erreicht werden, muss die Beschulung eines Ausbildungsberufs an der betreffenden Schule auslaufen und an anderen Standorten konzentriert werden. Bestehende Ausbildungsverträge sollen nicht betroffen sein. Die Absenkung der Mindestklassengrößen erscheint auf den ersten Blick positiv, führt in der Praxis aber zu einigen Problemen, unter anderem bei der Lehrkräftezuweisung, und zu großer Beunruhigung in den beruflichen Schulen.

Bisher praktizierte Ausnahmeregelungen, z.B. für jahrgangsübergreifenden Unterricht in Form von modularisierten Unterrichtsinhalten, sollen nicht mehr zulässig sein. Kolleginnen und Kollegen aus dem ländlichen Raum, z.B. im Odenwaldkreis, berichten, dass sie aktuell die Beschulung in den Berufen mit wenigen Auszubildenden gefährdet sehen. Die Erwartung, dass durch eine Konzentration der Beschulung an ausgewählten Standorten wieder größere Lerngruppen entstehen, ist erfahrungsgemäß ein Trugschluss. Jugendliche und junge Erwachsene, die zur Berufsschule weite Entfernungen zurücklegen müssen, weil die nächstgelegene Schule ihre Fachklasse z.B. im Bäckerhandwerk schließen musste, werden sich anders orientieren. Steigende Fahrtkosten und höherer Zeitaufwand werden die Ausbildung, zumal in mäßig entlohnten Berufen, noch unattraktiver machen. Die Rechnung, dass aus zwei oder drei Lerngruppen an unterschiedlichen Standorten eine große Lerngruppe gebildet werden könnte, wird so nicht aufgehen, vielmehr wird die Ausbildung in weiten Bereichen verschwinden. Betriebe werden in der Folge die Ausbildung dauerhaft aufgeben.

Auch in den beruflichen Schulen in Großstädten wie Frankfurt oder Kassel sind Einschnitte zu befürchten, wenn sogenannte Kombiklassen aus Ausbildungsberufen mit sich überschneidenden Lerninhalten nicht mehr möglich sein sollten. Hatten die berufsbildenden Schulen zuvor Spielräume für eine sinnvolle Beschulung genutzt, um auch in Ausbildungsberufen mit regional geringen Schülerzahlen qualifizierten Unterricht zu garantieren, so sollen nun strikt die Mindestgrößen der Lerngruppen eingehalten werden.

Ausbildungsqualität in der Fläche erhalten

Lehrkräfte haben während des monatelangen Lockdowns mit großem Einsatz den allseits bekannten Schwierigkeiten zum Trotz Lernende auf ihrem Weg zum erfolgreichen Abschluss der Ausbildung begleitet, um zu verhindern, dass es zu einer verlorenen Ausbildungsgeneration „Corona“ käme. Jetzt sehen sie sich vor neue Probleme gestellt und befürchten, dass ihnen nicht die Zeit bleiben wird, pandemiebedingte Einschnitte wieder aufzufangen. Gerade die Erfahrungen aus dieser Zeit haben gezeigt, wie wichtig fachlich qualifizierter Unterricht und professionelle pädagogische Arbeit mit den Auszubildenden in den beruflichen Schulen sind. Digitaler Distanzunterricht war eine Notlösung und kann den persönlichen Kontakt mit den Lernenden nicht ersetzen. Dies gilt insbesondere für Jugendliche mit besonderem Förderbedarf. Wohnort- und betriebsnahe Berufsschulstandorte werden deshalb auch zukünftig gebraucht und sollten erhalten werden.

Eine transparente Planung von Berufsschulstandorten ist sinnvoll und notwendig: Schulträger, die für die Ausstattung der Schulen mit Fachräumen zuständig sind, müssen ihre Investitionen planen. Auch für die Ausbildung der Lehrkräfte sind vorausschauende Konzepte erforderlich. Kolleginnen und Kollegen, die aus der Berufspraxis kommen und eine Ausbildung für das Lehramt an beruflichen Schulen beginnen, brauchen eine zuverlässige Perspektive.
Bereits in den Jahren 2016 bis 2018 beteiligten sich die GEW und der DGB in den hessenweiten und den regionalen Gremien zur Schulentwicklungsplanung für die beruflichen Schulen. Auf der Grundlage einer breiten Datenbasis wurden sinnvolle Lösungen für die Fachklassenstandorte erarbeitet.

Nur Mitbestimmung sichert gute Lösungen 

An dieser Kooperation mit den Gewerkschaften besteht im HKM offensichtlich kein Interesse. Vielmehr wurden die Festlegungen im letzten Jahr im Schatten von Corona an den Gremien der Mitbestimmung vorbei und ohne die Expertise der Lehrkräfte vor Ort getroffen. Hinzugezogen wurden Vertreterinnen und Vertreter der Wirtschaft, der Schulträger und der Schulleitungen. Die GEW kritisiert in aller Schärfe, dass weder der Hauptpersonalrat der Lehrerinnen und Lehrer (HPRLL) noch die Verbände bisher in den Prozess eingebunden wurden. Von dem neuen Konzept des HKM erfuhren wir aus der Presse! Anders als in der Vergangenheit üblich und im Widerspruch zum Hessischen Personalvertretungsgesetz (HPVG) wurden wir bei der Entscheidung über die Festlegung von Fachklassenstandorten nicht beteiligt. Die Aufforderung des HPRLL, zu den Sitzungen der Steuergruppe eingeladen zu werden, wurde vom HKM mit der Begründung zurückgewiesen, man wolle den Kreis der Akteure klein halten.

Die GEW Hessen setzt sich für einen transparenten Prozess ein, in dem die GEW, der DGB und der HPRLL als höchstes Mitbestimmungsgremium der an Schule tätigen Lehrkräfte und sozialpädagogischen Fachkräfte einbezogen sein müssen. Nur mit unserer Expertise und mit betriebsnahen Fachklassen sind die Berufsschulen zukunftsfähig.


Katja Pohl und Carsten Leimbach

Katja Pohl und Carsten Leimbach bilden im Team mit Markus Heberling das Leitungsteam der Landesfachgruppe Berufsbildende Schulen der GEW Hessen.