Berufsschule der Zukunft

Perspektiven der beruflichen Bildung in Hessen |

Zur Fachtagung vom 29. 3. 2023

Ca. 80 Lehrkräfte aus Berufsbildenden Schulen Hessens waren am 29. März 2023 nach Frankfurt gekommen, um sich in der GEW-Fachtagung zum obigen Thema informieren zu lassen aber auch, um mit zu diskutieren. Insbesondere sollte auch das HKM-Konzept „Zukunftsfähige Berufsschule“ kritisch erörtert werden. Mit diesem Konzept plant das HKM, den rückläufigen Ausbildungszahlen in vielen Branchen zu begegnen, so das Versprechen, dabei den ländlichen Raum zu stärken und auch alle Berufsschul-Standorte zu erhalten.

In den vergangenen Monaten besuchte das HKM alle hess. Berufsschulen und führte ca. vierstündige Gespräche ausschließlich mit den Schulleiter*innen, um eine Bestandsaufnahme vorzunehmen. Auch fanden schon Gespräche mit den Wirtschaftsverbänden und den Kammern statt. Besonders kritisiert wird, dass bislang weder Gewerkschaften, Personalvertretungen oder auch die Auszubildenden informiert, geschweige denn beteiligt wurden.
 

Die Referate

Um die Gesamtproblematik über die Berufsschulen hinaus einzuordnen, referierte Prof. Dr. Gerhard Bosch von der Uni Duisburg-Essen nach der Begrüßung durch den Fachgruppenvorstand zum Thema „Anforderungen an das System der Beruflichen Bildung – heute und morgen“. Nachdem er dezidiert die Vorteile eines starken Berufsbildungs-Systems auch im internationalen Vergleich herausgearbeitet hatte, deckte er genauso kenntnisreich die aktuellen Probleme auf: sinkende Ausbildungsbereitschaft der Betriebe, dramatisch zurückgegangene Tarifgebundenheit, Run auf das Studium infolge der falschen These „Wissensgesellschaft braucht höhere Akademisierung“, Gründe für das sog. Missmatching zwischen Ausbildungsnachfrage und –angebot, Versäumnisse der allgemein bildenden Schulen, fehlende Berufsorientierung in den Gymnasien, um nur einige zu nennen.

Bosch plädierte für ein höheres Reformtempo der Beruflichen Bildung. Die öffentliche Diskussion habe sich zu sehr auf eine Reform der Berufsbilder fokussiert, demgegenüber müsse das Gesamtsystem der Beruflichen Bildung (Betrieb, Berufsschule, Überbetriebl. Ausbildung und v.a. die Kooperation zwischen diesen Akteuren) in den Blick genommen werden. Einen neuen Schub versprach er sich durch Industrie 4.0 und die damit verbundene Transformation.
Abschließend plädierte Bosch vehement für eine Ausbildungsgarantie verbunden mit der Finanzierung durch einen Ausbildungsfond, wie dies schon seit Jahren erfolgreich in Österreich praktiziert wird und verwies positiv auf Bremen, wo dies gerade jüngst beschlossen wurde.

Im Anschluss referierte für die Betriebe Florian Schöll, Geschäftsführer bei der HWK Rhein-Main mit dem Motto „Berufliche Bildung neu denken“. Für die Handwerkskammern bestehe die Herausforderung in den Feldern: Komplexität, Digitalisierung, Wissensvermittlung, Nachhaltigkeit, gesellschaftlicher Wandel und notwendiger Synergien (versch. Institutionen). Ziel dabei sei immer eine hochwertige Ausbildung der Zukunft. Als Beispiel für Synergie stellte er den geplanten Campus West in Frankfurt als innovatives Bildungskonzept für exzellente handwerkliche Ausbildung vor. Dieser Campus soll auf einem inzwischen erworbenen 38 000 qm großen Gelände entstehen und unter seinem Dach die Berufstechnologischen Zentren (BTZ) der Handwerkskammer sowie die Philipp-Holzmann-Schule (PHS) beherbergen. Gemeinsam verzahntes Angebot, gemeinsame Nutzung von Werkstätten und Räumen wie Mensa, Internat etc. sollen einen zukunftsweisenden, auf Synergieeffekten der beteiligten Akteure beruhenden Campus Berufliche Bildung schaffen. 2025 sei das Ziel, hohe Bundes- und Landesmittel sind gesichert. Die PHS gehe gerade in die sog. Phase Null.
Dieses Projekt fand hohe Aufmerksamkeit. Wir werden in einer der nächsten insider-Nummern dieses Projekt intensiv vorstellen.

Nach dem Kammervertreter stellte Gregor Gallner, Jugendreferent beim DGB Hessen, die Position der DGB-Jugend vor. Die Krise des Ausbildungsmarktes liege nicht an den immer wieder behaupteten Defiziten junger Menschen oder plötzlicher „Unlust“ für die duale Ausbildung. Mit statistischen Zahlen belegte er, dass die vom Bundesverfassungsgericht 1980 für eine auswahlfähige Angebot-Nachfrage-Relation von 112,5% gesetzte Relation in den letzten 30 Jahren nie erreicht wurde. Dabei hob er kritisch hervor, dass das Potential junger Menschen überhaupt nicht ausgeschöpft wurde, wenn fast jeder 5. Junge Mensch ohne Berufsausbildung bliebe.

Als Lösungen schlug er vor:

  • Ausbildungsgarantie und umlagefinanzierter Ausbildungsfond
  • Berufsorientierung und Übergang von Schule und Beruf verbessern (Bsp. Jugendberufsagenturen)
  • Attraktivität und Bedingungen für Ausbildung verbessern (Mobilität, Wohnsituation, Ausbildungsvergütung etc.)
  • Berufliche Schulen stärken.


Die Resolution

Nach der Mittagspause wurde eine Resolution zum HKM-Konzept „Zukunftsfähige Berufsschule“ diskutiert, die schon zum Beginn der Fachtagung allen Teilnehmenden vorlag. Bei kleineren Änderungen wurde sie ohne Gegenstimme verabschiedet.
 

World-Cafe

Im Anschluss daran konnten die Teilnehmenden der Fachtagung an Gruppentischen in Form eines World-Cafes wechselweise ihre Positionen und Statements zu unterschiedlichen Fragestellungen auf Plakaten festhalten. Die Fragestellungen bezogen sich auf:

  • Räumliche Entfernung von Fachklassenstandorten (Wege)
  • Hybridbeschulung
  • Lernort Berufsschule
  • Bildungssteuerung in Hessen.

Die Plakate werden fotografiert und der geplanten Dokumentation der Fachtagung beigefügt.
 

Die Podiumsdiskussion

Den Abschluss der Fachtagung bildete eine von Klaus Pradella vom HR professionell moderierte Podiumsdiskussion mit Vertreter*innen aller demokratischen Parteien. Konsens bestand zwischen den Podiumsteilnehmenden, dass

  • das duale System der Berufsausbildung aufgrund seiner unbestrittenen Vorteile erhalten und gestärkt werden müsse
  • alle Berufsschul-Standorte erhalten bleiben sollen
  • die Absicht, den ländlichen Raum zu stärken, unterstützt werden kann.

Darüber hinaus gab es naturgemäß unterschiedliche Positionen.

Horst Falk von der CDU verteidigte erwartungsgemäß das Konzept „Zukunftsfähige Berufsschule“ als Sicherungskonzept v.a. für den ländlichen Raum. Der ÖVNP und die Unterbringung müssen mit bedacht werden, Berufsorientierung auch an Gymnasien stattfinden. Zum Vorwurf der Nichtbeteiligung von Personalräten und Betroffenen entgegnete er, dass es eine festgelegte Reihenfolge gebe: Schulleitung, Schulträger, Kammern und dann Betroffene. Wer ein anderes Konzept habe solle es ihm schicken.

Anna Kristina Schönbach von der SPD sieht die flächendeckende Abdeckung als Chance und betont die Aufgabe, bei Verlegung von Berufen und damit verbundenen großen Wegen die Kosten für den ÖVNP und Unterbringung zu übernehmen und nicht auf die Azubis abzuwälzen. Junge benachteiligte Menschen würden durch zentralisierte Berufsschulen nochmals benachteiligt. Außerdem machte sie auf den gravierenden Lehrkräftemangel gerade an Berufsschulen aufmerksam.

Jan Schalauske von der LINKEN bezeichnet das HKM-Konzept als Zentralisierungskonzept. Einerseits gebe es die Klage, dass es zu wenig Ausbildung gebe, ohne etwas dagegen zu tun. Andererseits entwickele man gerade dieses Konzept. Er stellt die Frage, warum überhaupt zentral Mindestgrößen für Klassenstärken festgelegt werden müssten. Die Schulen könnten doch viel besser mit diesen Problemen umgehen. Fraglich sei auch, was mit den Einrichtungen bei wegfallenden Berufen geschehe.

Moritz Promny von der FDP betont, dass insbesondere in den ländlichen Regionen die Berufsschule vor Ort ein Anker sei. Die vorgelegten Mindeststärken sind eine Benachteiligung für Berufsschulen im ländlichen Bereich. Er plädiert für eine Zusammenarbeit benachbarter Berufsschulen im ländlichen Raum anstelle eines zentralen Konzepts.

Dazwischen brachte der Moderator des Öfteren geschickt Teilnehmende der Fachtagung in die Diskussion, die Fragen formulieren oder eigene Positionen einbringen konnten.

So berichtete ein Abteilungsleiter einer Frankfurter Schule, dass seiner Schulleiterin verboten wurde, Mitglieder der erweiterten Schulleitung mit in das Gespräch mit dem HKM zu nehmen, Gleiches wurde von einem Schulpersonalrat berichtet.

Eine andere Teilnehmerin kritisierte, dass sich das HKM-Konzept ausschließlich auf die duale Ausbildung beziehe. Was der Wegfall eines Berufs oder gar eines ganzen Berufsfeldes aber für die vorgelagerten vollzeitschulischen Bildungsgänge wie BVJ und BFS oder nachgelagerte Schulformen wie FOS, BG oder Fachschule bedeute werde systematisch (bewusst?) ausgeblendet.

 

FAZIT

Die Fachtagung war professionell vorbereitet und lief dementsprechend strukturiert, teilnehmerorientiert und abwechslungsreich ab. Meines Erachtens fuhren die Teilnehmenden zufrieden nachhause, weil sie neben persönlichen Begegnungen (auch wichtig) vielfältige Anregungen und Argumente mitnehmen konnten.

Dieter Staudt