Die SPD hat einen Gesetzentwurf zur Modernisierung des Hessischen Lehrerbildungsgesetzes (HLbG) vorgelegt, der es in sich hat. Bei der Anhörung im Kulturpolitischen Ausschuss des Hessischen Landtags am 21. August 2019, an der auch die GEW Hessen teilnahm, stieß er auf überraschend breite Zustimmung.
1. Phase: Lehramtsstudium
Die GEW begrüßt insbesondere die Absicht der SPD, die Studiendauer der einzelnen Lehrämter anzugleichen und damit – so die Begründung der SPD – das bisher „überwiegend von Frauen ausgeübte Lehramt an Grundschulen“ aufzuwerten. Mittelbar soll dies mit einer Erhöhung der Besoldung nach A13 verbunden sein, „wodurch finanzielle Nachteile abgebaut werden“. Die SPD rechnet mit Mehrkosten von rund 70 Millionen Euro jährlich, „wenn schlussendlich alle Grundschullehrkräfte nach A13 bezahlt würden“. Hier sind andere Bundesländer schon einen Schritt weiter (HLZ S.7). Hessen wird dem Lehrkräftemangel, insbesondere an Grund- und Förderschulen, auch nach Auffassung der GEW nur dann begegnen können, wenn es gelingt, die Einstellungsbedingungen für Lehrkräfte attraktiver zu gestalten.
Eine Angleichung der Studiendauer ist auch aus inhaltlichen Gründen geboten. Die SPD nennt in ihrem Gesetzentwurf die Studieninhalte, die die pädagogische Professionalisierung ergänzen müssen. Dazu zählt der Gesetzentwurf unter anderem „die zielgerichtete Qualifizierung für (…) die Angelegenheiten der Schulverwaltung und des Schulrechts sowie Aspekte der Haushaltsführung und demokratischen Mitbestimmung im Schulbereich, der individuellen und inklusiven Beschulung in multiprofessionellen Teams, der ganztägigen Beschulung, des Umgangs mit Diversität, der Integration von Kindern und Jugendlichen aus Zuwandererfamilien, der Berufs- und Lebensweltorientierung, der nachhaltigen Entwicklung und den Einsatz von Medientechnologie sowie Jugendmedienschutz und Gesundheitsaspekte“.
Skeptisch sieht die GEW das Konzept der SPD für eine „gestufte Ausbildung“, in der zunächst ein Bachelorabschluss erworben wird, der „polyvalent“ angelegt ist und „auch für Berufsfelder außerhalb der Schule befähigt“. Daran soll sich nach der Vorstellung der SPD ein Masterstudiengang anschließen, mit dem die „Zugangsberechtigung zur pädagogischen Ausbildung im Vorbereitungsdienst erworben“ wird. Nach Auffassung der GEW müssen die Studieninhalte in den Lehramtsstudiengängen unbedingt in staatlicher Verantwortung bleiben und dürfen nicht der Zuständigkeit unabhängiger, bisweilen willkürlich zusammengesetzter Akkreditierungskommissionen unterliegen. Die Ausbildung von „Bachelorlehrkräften“ birgt aus Sicht der GEW perspektivisch auch die Gefahr einer weiteren Prekarisierung und Deprofessionalisierung der Lehrerarbeit.
Die GEW begrüßt die Überlegung, eine „verlängerte Praxisphase“ in die zweite Phase des Studiums zu verlagern und die Entscheidung in die Zuständigkeit der Hochschulen zu legen, die ein modifiziertes Praxissemester unter „Einbeziehung der Lehrkräfte, welche die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der verlängerten Praxisphase in der Schule betreuen, fortlaufend wissenschaftlich begleiten und evaluieren“ sollen. Damit greift der Gesetzentwurf die Kritik der GEW auf, dass die Studierenden im derzeit erprobten Praxissemester zu einem sehr frühen Zeitpunkt und ohne nennenswertes pädagogisches Wissen und Fachwissen dem schulischen Praxisschock ausgesetzt werden. Verschärft wird dies durch die Tatsache, dass inzwischen hunderte von Lehramtsstudierenden insbesondere im Rhein-Main-Gebiet parallel zu ihrer Ausbildung bereits als Vertretungslehrkräfte unterrichten, mitunter sogar Verantwortung in der Klassenleitung übernehmen. Dies wird dem Anspruch einer reflexiven Lehrerbildung nicht gerecht und belastet die ausgebildeten Lehrkräfte erheblich. In der Anhörung im KPA haben wir auch bekräftigt, dass die Mentorinnen und Mentoren in der ersten und zweiten Phase mindestens eine Entlastungsstunde brauchen.
Außerdem begrüßt die GEW, in einem Modellstudiengang die Möglichkeit zu eröffnen, dass die Studierenden in allen Lehrämtern anstelle eines zweiten Unterrichtsfachs oder einer zweiten Fachrichtung auch eine sonderpädagogische Fachrichtung belegen können. Ein solches Modell ermöglicht nach Auffassung der GEW ein auf die Anforderungen des inklusiven Unterrichts und auf die Arbeit in multiprofessionellen Team ausgerichtetes Studium. Lange überfällig ist auch die Festlegung, dass das „Lehramt an Förderschulen“ durch ein „Lehramt für Förderpädagogik“ ersetzt wird, denn schon lange ist die Förderschule nur ein möglicher Einsatzort für Sonderpädagoginnen und Sonderpädagogen.
2. Phase: Vorbereitungsdienst
Der Gesetzentwurf der SPD greift die alte Forderung der GEW auf, die Lehrkräfte im Vorbereitungsdienst (LiV) „in keiner Weise“ auf die Stellenzuweisungen der Ausbildungsschulen anzurechnen. Hierdurch entstünde für die Schulen ein zusätzlicher Anreiz, sich an der Zukunftsaufgabe „Ausbildung“ zu beteiligen.
Auch bei der Absicht, die Modularisierung des Referendariats abzuschaffen, besteht eine große Übereinstimmung mit den Beschlüssen der GEW. Nach den Vorstellungen der SPD soll die pädagogische Ausbildung „inhaltlich und organisatorisch aus zwei fachdidaktischen Strängen“ bestehen, „einem allgemeinpädagogischen Strang sowie einem auf Beratung und Reflexion der Berufsrolle zielenden Strang, welche die gesamte Ausbildung durchziehen“.
In der ersten Hälfte der Ausbildung sollen je zwei Unterrichtsbesuche „bewertungsfrei“ sein, der „auf Beratung und Reflexion der Berufsrolle zielende Strang“ soll vollständig „bewertungsfrei“ bleiben.
Dies wären aus Sicht der GEW konsequente Schritt, um den derzeitigen „Bewertungsmarathon“ und die inhaltliche und organisatorische Fragmentierung der Ausbildung zu beenden. Die Modularisierung führte dazu, dass immer nur ein kleiner Teilbereich des Unterrichtens betrachtet und vielfältig bewertet, nie aber auf den Unterricht in seiner Ganzheit eingegangen wird. Das Zusammenspiel von Fachdidaktik, Allgemeinpädagogik, Methoden und Medien sollte als Gesamtbild erst in der Prüfung bewertungsrelevant sein. Die GEW erinnerte in der Anhörung daran, dass die modularisierte Form des Referendariates nie evaluiert und zu keinem Zeitpunkt einer systemischen und strukturellen Überprüfung unterzogen wurde. Es ist für uns unbegreiflich, woher das Hessische Kultusministerium (HKM) die Sicherheit bezieht, dass die zweite Phase der Lehrkräfteausbildung „grundständig gut“ sei.
3. Phase: Lehrkräftefortbildung
Die GEW begrüßt auch das in dem Gesetzentwurf dargelegte Konzept zur Reform der Fortbildung der Lehrkräfte. Dafür wurden sowohl beim Bildungsgipfel 2012 als auch in der Enquetekommission wegweisende Konzepte diskutiert. Trotzdem sind bedarfsgerechte, regionale Angebote der Lehrkräfteakademie weiterhin Mangelware. Das Fortbildungsbudget der Schulen ist zu gering bemessen und gerade die als besonders nachhaltig geltenden mehrtägigen Fortbildungen können angesichts der Arbeitsbelastungen im Schulalltag kaum wahrgenommen werden. Darüber hinaus konzentrieren sich staatliche Fortbildungsangebote derzeit vor allem auf die „Priothemen“, in denen die als besonders relevant empfundenen fachdidaktischen Fortbildungsangebote nicht enthalten sind.
Der Gesetzentwurf stellt nun der Pflicht zur Fortbildung ein entsprechendes Recht der Lehrkräfte zur Seite. Die Hessische Lehrkräfteakademie soll als ständige Einrichtungen über ein „Kolleg“ zur berufsbegleitenden Vorbereitung auf „erweiterte Aufgaben und für besondere Aufgaben der Schulentwicklung“ verfügen sowie über „drei regionale Kompetenzzentren für die Lehrkräftefortbildung in Nord-, Mittel- und Südhessen“.
Aus Sicht der GEW könnte auch eine verstärkte Zusammenarbeit der Lehrkräfteakademie mit den hessischen Universitäten sinnvoll sein. Fortbildungen dürfen nicht den Schulbuchverlagen oder den Softwareentwicklern der Computerkonzerne überlassen werden!
Desinteresse versus Einigkeit
Die unmittelbaren Reaktionen der Vertreter der Landesregierung auf die umfassenden und in vielen Punkten übereinstimmenden Stellungnahmen der anzuhörenden Institutionen und Verbände waren wenig ermutigend. Die Fragen aus den Reihen der CDU ließen erkennen, dass die Regierungspartei strukturellen Änderungen ablehnend gegenübersteht. Auch der Kultusminister zeigte weit mehr Interesse an seinen elektronischen Endgeräten als an den Beiträgen der Anwesenden. Wir sind der Ansicht, dass insbesondere in die Lehrkräftefortbildung endlich wieder Leben einkehren sollte. Hier herrscht seit Jahren Friedhofsruhe, und die Friedhofswärter in der Landesregierung tun alles dafür, dass diese Ruhe nicht gestört wird. Die GEW wird nicht zulassen, dass sie diesen wesentlichen Teil der Lehrerbildung endgültig begraben!
Kultusminister Lorz (CDU) kündigte an, dass „die Vorbereitungen für eine Novelle des Hessischen Lehrerbildungsgesetzes“ im Schuljahr 2019/2020 beginnen sollen. Dabei gehe es „um eine Optimierung der Nachhaltigkeit der Lehrerbildung“ und „eine systematisierte Kooperation von Universitäten, Studienseminaren und Schule“. CDU und Grüne werden sich an wesentlichen Eckpunkten des Gesetzentwurfs der SPD nicht vorbeimogeln können. Auch wenn der SPD-Entwurf im Parlament den Gang aller Gesetzesinitiativen der Opposition nehmen wird, verdient er Respekt und Anerkennung. Er wird nicht ohne Wirkung bleiben.
Andrea Gergen und Christina Nickel
Die Autorinnen leiten das Referat Aus- und Fortbildung im Landesvorstand der GEW Hessen.
Den Gesetzentwurf der SPD findet man im Landtagsinformationssystem unter http://starweb.hessen.de/cache/DRS/20/0/00790.pdf.
Zum Weiterlesen:
T. Hascher (2012): Lernfeld Praktikum. Evidenzbasierte Entwicklungen in der LehrerInnenbildung. Zeitschrift für Bildungsforschung, 2/2012
D. Rzejak und F. Lipowsky (2018): Forschungsüberblick zu Merkmalen wirksamer Lehrerfortbildungen. In: Deutscher Verein für Lehrerfortbildung (Hrsg.), Lehrkräftefortbildung in Deutschland. Recherchen für eine Bestandsaufnahme. Forum Lehrerfortbildung, 47, S.131–141.
V. Schwier, R. Schüssler u.a. (Hrsg.) (2014): Das Praxissemester im Lehramtsstudium: Forschen, Unterrichten, Reflektieren. Bad Heilbrunn: Klinkhardt.