Der von der Landesregierung vorgelegte Entwurf zur Novellierung des Hessischen Lehrkräftebildungsgesetz ist Ausdruck einer Bildungspolitik, die Vereinheitlichung, Regelstudienzeit und Oberflächlichkeit vor Vielfalt, Selbstentfaltung und Vertiefung setzt. Wieder einmal zeigt sich, dass die fehlende Möglichkeit zur Partizipation von Lehrkräften und Lehramtsstudierenden an tiefgreifenden Gesetzesänderungen zu fatalen Folgen führen kann. Erste Bewertungen und Stellungnahmen des Referats Aus- und Fortbildung im GEW-Landesvorstand findet man auf der Internetseite www.gew-hessen.de > Bildung > Aus- und Fortbildung. Kyra Beninga, Lehramtsstudentin und AStA-Vorsitzende der Goethe-Universität Frankfurt, bewertet den Gesetzentwurf aus Sicht der Studierenden.
Kurz vor der parlamentarischen Sommerpause erhielt der hessische Landesverband der GEW den Entwurf zur Novellierung des Hessischen Lehrkräftebildungsgesetzes (HLbG). Dieses Gesetz regelt die Aus-, Fort- und Weiterbildung der Lehrkräfte in Hessen. Die Lehrkräftebildung verfolgt das Ziel, die Lehrkräfte zur umfassenden Wahrnehmung des schulischen Bildungs- und Erziehungsauftrages zu befähigen. Sie umfasst die Gesamtheit der Lehr- und Lernaktivitäten zum Aufbau, zur Aktualisierung und zur Erweiterung der im Beruf einer Lehrkraft erforderlichen Kompetenzen.
Die Anpassung der Lehrer:innenbildung an neue Herausforderungen wie Inklusion, Ganztagsschule, Medienbildung, berufliche Orientierung, Integration und Sprachförderung war aus Sicht der GEW Hessen längst überfällig. Doch schon die Neuregelungen zur ersten Phase der Lehrkräftebildung – die Phase bis zum Ersten Staatsexamen, von der die Lehramtsstudierenden also unmittelbar betroffen sind – lässt Zweifel darüber aufkommen, ob das neue HLbG eine Antwort auf diese Herausforderungen parat hält.
Um diesen Herausforderungen wirksam zu begegnen, wäre es notwendig gewesen, Lehrkräften und Lehramtsstudierenden die Möglichkeit zu geben, ihre alltäglichen Erfahrungen, Probleme und Anliegen kundzutun und so an der Novellierung zu partizipieren. Doch wie so oft sah die Landesregierung hierzu keine Notwendigkeit. Im Gegenteil: Der Entwurf des Kultusministeriums wurde zur Unzeit, nämlich wenige Tage vor den Sommerferien und mitten in der Semesterabschlussphase, zugestellt.
Offener Brief der Lehramtsfachschaften
Ob Zufall oder Absicht – der GEW Hessen blieben nur drei Wochen, um den 115-seitigen Gesetzesentwurf zusammen mit einer 100 Seiten umfassenden Änderung der zugehörigen Durchführungsverordnung (HLbG-DV) durchzuarbeiten, mit den Kolleg:innen zu diskutieren und eine Stellungnahme zu verfassen. An diesem Prozess beteiligten sich auch die Studierenden in der GEW. Um die studentische Perspektive ausreichend zu berücksichtigen, lud das Referat Aus- und Fortbildung zusätzlich interessierte Lehramtsstudierende sowie Vertreter:innen aller Lehramtsfachschaften zu einer digitalen Diskussionsveranstaltung ein.
Diese Veranstaltung war zugleich die Initialzündung zur Ausarbeitung eines Offenen Briefs der Lehramtsfachschaften der Universitäten Darmstadt, Frankfurt, Gießen, Kassel und Marburg, an dessen Ausarbeitung sich auch die Studierenden in der GEW beteiligten, Auch dieser Brief ist auf der Internetseite www.gew-hessen.de > Bildung > Aus- und Fortbildung nachzulesen. Denn obwohl Lehramtsstudierende unmittelbar von den Gesetzesänderungen betroffen sind, erhielten ihre Fachschaftsvertreter:innen im Vorfeld nicht einmal die Möglichkeit, eine offizielle Stellungnahme einzureichen. Von der Landesregierung ignoriert blieb so nur noch der Gang in die Öffentlichkeit.
Die fehlenden Partizipationsmöglichkeiten von Studierenden bei der Novellierung zeigen sich auch am Inhalt des vorgelegten Gesetzesentwurfs. Dieser stellt die Studierenden in der Praxis selbst da vor massive Probleme, wo er Unzulänglichkeiten zumindest in der Theorie auf sinnvolle Weise zu begegnen versucht.
Flächendeckende Einführung des Praxissemesters
So sieht der Entwurf die flächendeckende Einführung des Praxissemesters vor, das seit 2014 als Pilotprojekt in Kassel, Gießen und Frankfurt durchgeführt wird und die bisherigen Praxisphasen ersetzt. Im Rahmen des Praxissemesters sollen Studierende am gesamten Schulleben teilnehmen, etwa durch angeleitete Unterrichtsversuche oder die Teilnahme an Projekten, Elternabenden und Ausflügen. Der Entwurf reagiert damit auf die Notwendigkeit, den Praxisanteil im Lehramtsstudium zu verstärken. Allerdings zeigten sich bereits in der Pilotphase Probleme, die im Gesetzesentwurf nicht berücksichtigt werden. So ist der Arbeitsaufwand während des Praxissemesters deutlich höher, was zu einem längerfristigen Ausfall von Nebeneinkünften führen kann. Für Studierende, die auf solche Einkünfte angewiesen sind, führt dies zu erheblichen finanziellen Schwierigkeiten. Denn obwohl Studierende während des Praxissemesters an den Schulen arbeiten, wird diese Arbeit bisher nicht vergütet. Eine solche Vergütung, sei es nach Stunden oder als Praktikumspauschale, oder zumindest geeignete finanzielle Unterstützungsmaßnahmen für betroffene Studierende sind dringend nötig.
Zudem braucht es neben einem finanziellen Ausgleich auch eine Erhöhung der Regelstudienzeit in allen Lehramtsstudiengängen um mindestens ein Semester. Denn das Praxissemester wird aus der vorlesungsfreien Zeit in die Vorlesungszeit gezogen. Der ohnehin schon hohe Arbeitsaufwand während des Studiums steigert sich so noch einmal. Es besteht die Gefahr, dass die Studierbarkeit nicht mehr weiter gewährleistet sein wird und semesterübergreifende Module nicht mehr länger zusammenhängend studiert werden können.
Verschärft wird der Leistungsdruck noch einmal durch die Anforderung zur Erstellung eines fortlaufenden digitalen Portfolios, das nicht einmal mit Leistungspunkten vergütet wird. Die Einführung eines solchen Portfolios befeuert geradezu die Chancenungleichheit zwischen den Studierenden: Wer neben dem Studium arbeitet oder sich um Kinderbetreuung kümmern muss, hat nicht die gleiche Möglichkeit, ein entsprechend umfangreiches Portfolio zu erstellen wie andere Studierende.
Erhöhter Leistungsdruck
Darüber hinaus sieht der Gesetzesentwurf vor, die Zwischenprüfung im Lehramtsstudium abzuschaffen. Während die Zwischenprüfung im Lehramtsstudium – wie etwa auch im Jurastudium – einen ersten Qualifikationsnachweis darstellt, der etwa zu einer höheren Entlohnung von studentischen Hilfskräften führt, stünden Lehramtsstudierende durch die Abschaffung der Zwischenprüfung vor Abschluss des Ersten Staatsexamens mit leeren Händen da. Die Zwischenprüfung in den Lehramtsstudiengängen sollte schon allein deshalb in ihrer bisherigen Gestalt beibehalten werden, um gleiche Voraussetzungen für Studierende verschiedener Studiengänge zu gewährleisten.
Daneben braucht es weitere gesetzlich verankerte Regelungen zur Entlastung der Studierenden wie etwa die Möglichkeit, das Erste Staatsexamen bei Nichtbestehen zweimal zu wiederholen. Daneben muss Lehramtsstudierenden die Möglichkeit eingeräumt werden, im Krankheits- oder Härtefall eine Wiederholungsprüfung des Ersten Staatsexamens durchzuführen – und zwar nicht erst im nächsten Durchgang. Eine erzwungene Verlängerung des Studiums um mindestens ein halbes Jahr ist mit einem erheblichen finanziellen Aufwand verbunden, der für viele Studierende nicht zu stemmen ist. Umso fataler ist es, dass der Gesetzesentwurf nun die Abschaffung der Freiversuchsregelung vorsieht. Danach konnten Studierende, die die Erste Staatsprüfung nicht bestanden haben, bei einem ununterbrochenen Studium in der Regelstudienzeit beantragen, dass die Prüfung nicht als Erstversuch angerechnet wird. In der Summe gerät das neue Lehrkräftebildungsgesetz so zu einem Instrument, das Unterfinanzierung, Leistungsdruck und Ungleichheit unter den Lehramtsstudierenden weiter befeuert und zu einer zunehmenden Prekarisierung von Studierenden führt.
Für Vielfalt im Studium und in der Schule
Das neue Lehrkräftebildungsgesetz droht ein selbstbestimmtes und vielfältiges Studium schon allein aufgrund der Verschärfung des Studiengangverlaufs sowie der fehlenden Entlastung der Studierenden zu verhindern. Diese Tendenz wird durch weitere in der Novellierung vorgesehene Maßnahmen noch weiter verschärft. So sieht der Gesetzesentwurf die Einführung von landesweit einheitlichen Prüfungsaufgaben im Ersten Staatsexamen vor. Die Folgen sind abzusehen: An die Stelle einer differenzierten, fachadäquaten Gestaltung tritt zunehmend eine Homogenisierung und Verarmung des Studiums, das nur noch auf das Staatsexamen ausgerichtet ist und der grundgesetzlich zugesicherten Freiheit von Forschung und Lehre schlichtweg entgegensteht.
Der Gesetzesentwurf setzt diese Beschneidung bereits dort an, wo die Schulbildung beginnt und somit auch die größten Auswirkungen auf die Entwicklung der Schüler:innen hat: im Grundschullehramt. Abweichend zu anderen Lehrämtern besteht für die Grundschule die Pflicht zur Ausbildung in drei Fächern. Der Gesetzesentwurf sieht vor, die fachdidaktischen Anteile ungleichmäßig auf ein Langfach und zwei Kurzfächer zu verteilen. Das bringt zwar auf der einen Seite eine Aufwertung des Langfachs mit sich, in dem die Studierenden eine Lehrerlaubnis in der Sekundarstufe I erlangen. Doch diese in der Theorie sinnvolle Aufwertung hat in der Praxis Auswirkungen auf die anderen Fächer. Da die Gesamtzahl der im Grundschullehramt zu erwerbenden Credit Points gleichbleiben soll, führt die Einführung eines Langfachs gleichzeitig zu einer Abwertung der beiden Kurzfächer. Tiefere Einblicke in die Fachdidaktik werden so verunmöglicht.
GEW für Verlängerung der Regelstudienzeit
Verhindern ließe sich das nur durch eine entsprechende Verlängerung der Regelstudienzeit. Dadurch würde die Möglichkeit eröffnet, trotz der stärkeren Gewichtung des Langfachs auch in den Kurzfächern ausreichende fachwissenschaftliche sowie fachdidaktische Kenntnisse zu erwerben. Doch solange die Landesregierung auf ein Studium in Regelzeit pocht, bleibt für eine freie Entfaltung der Studierenden und eine ernsthafte Vertiefung der Lerninhalte kein Platz. In letzter Konsequenz wird das zu einer gefährlichen Wechselwirkung führen: Ein nur noch oberflächliches Lehramtsstudium führt zu Einschränkungen in der individuellen Gestaltung des Unterrichtsbetriebs und damit zu einer Einschränkung in der Vielfalt des Schulunterrichts. Das wiederum hat Auswirkungen auf die Bildung der Schüler:innen, unter denen sich ja schließlich auch zukünftige Lehrkräfte befinden. Die Vermittlung vielfältiger Lerninhalte und -methoden muss in der Schule anfangen. Diese Notwendigkeit bekommt die Landesregierung mit ihrer kurzsichtigen Novelle nicht in den Blick.
Kyra Beninga
Kyra Beninga ist AStA-Vorsitzende der Goethe-Universität Frankfurt und Mitglied im Sprecher:innen-Team der Studierenden in der GEW Hessen.
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