Marburger Praxismodule

Lehramtsstudium an der Philipps-Universität

HLZ 7-8/2016: Neue Baustelle Lehrerausbildung

In Marburg studieren aktuell rund 3.000 Studierende im Studiengang für das Lehramt an Gymnasien (L3) in 22 Fächern an zwölf von 16 Fachbereichen. Das Projekt ProPraxis verfolgt in drei Teilprojekten auf Grundlage eines in sich konsistenten Konzeptes das Ziel, den Studiengang für das Lehramt an Gymnasien inhaltlich und organisatorisch so zu gestalten, dass er den Bildungsbedarfen der Lehramtsstudierenden besser gerecht wird. 

Praxis- und Berufsfeldbezug
Die Philipps-Universität Marburg (UMR) setzt dafür auf die Zusammenarbeit der unterschiedlichen Akteure in den Fächern, Fachdidaktiken, Bildungswissenschaften und zentralen Einrichtungen sowie auf die Kooperation mit außeruniversitären Akteurinnen und Akteuren in der Lehrerbildung, besonders mit den Schulen. Zentral ist hierfür das in einem Teilprojekt konzeptionell, personell und strukturell weiterentwickelte Zentrum für Lehrerbildung (ZfL).

Der Praxis- und Berufsfeldbezug des Studienganges Lehramt wird vor allem durch die Entwicklung einer neuen curricularen Struktur für die Praxisphasen im zweiten Teilprojekt und den Aufbau einer diese Phasen begleitenden Eignungsberatung im dritten Teilprojekt wesentlich gestärkt. Die fachwissenschaftliche Bildung im Lehramt ist eine der Stärken der Marburger Lehrerbildung. Ihre Weiterentwicklung zielt auf eine stringentere Vermittlung zwischen Fachwissenschaften und Schulfächern und daraus folgend auf die Verbesserung des Praxis- und Berufsfeldbezuges im Lehramtsstudium.

Dieses Vorhaben folgt der Kernidee eines doppelten und wechselseitig aufeinander bezogenen Praxisverständnisses. Praxis beginnt in diesem Verständnis nicht erst in der Schule, sondern bereits in der intensiven Auseinandersetzung mit den Leitideen der Fächer, die eine jeweils spezifische Perspektive auf einen Lerngegenstand nahelegen. Aus diesem Verständnis heraus wird Fachliches aus fachdidaktischer Perspektive für die Vermittlung modelliert und dann in schulische Praxis umgesetzt (1). Die zukünftigen Lehrerinnen und Lehrer benötigen für ihren Kernauftrag keine „reduzierte Fachwissenschaft“, sondern überzeugende Übersetzungshilfen zwischen (komplexer) Fachwissenschaft, schulischer Vermittlungsaufgabe und dem Alltagsverstehen der Schülerinnen und Schüler. Die Kernidee spiegelt sich in der curricularen Form der Marburger Praxismodule (MPM) wider.

Die MPM sind in einer neuen Modulstruktur sukzessive aufgebaut und sehen eine enge Verzahnung von fachwissenschaftlichen und fachdidaktischen sowie von fachdidaktischen und schulpädagogischen Inhalten vor. Auf der Grundlage der gesetzlichen Regelung der Schulpraktischen Studien (SPS) in § 15 Abs.3 HLbG erfolgt mit der Einführung der MPM keine zeitliche Ausdehnung der Praxisphasen, sondern eine Verschiebung von Aufenthalten an den Schulen. Das Schaubild auf Seite 25 zeigt die Veränderungen gegenüber den gegenwärtigen Schulpraktischen Studien.

Die MPM bestehen aus fünf Modulen, von denen zwei im 3. Semester mit zwei Wochen und im 5. Semester mit acht Wochen jeweils im Block mit Schulaufenthalten verbunden sind:

  • Modul PraxisStart: In diesem Modul lernen Studierende, das Berufsfeld Schule als zentralen Ort der beruflichen Tätigkeit von Lehrerinnen und Lehrern zu verstehen und diesen in einem übergreifenden theoretischen Zusammenhang zu reflektieren. Sie erkunden im Sinne forschenden Lernens Schule und Unterricht in einem zweiwöchigen Blockpraktikum, das vor allem der Beobachtung dient.
  • Modul ProfiWerk (in einem Unterrichtsfach): In diesem Modul wird durch forschendes Lernen anhand ausgewählter fachlicher und/oder methodischer Leitideen exemplarisch ein Fachverständnis entwickelt.
  • Modul PraxisLab: Basierend auf dem erworbenen Verständnis im Rahmen des Moduls Profiwerk–Fach wird der fachdidaktisch gesteuerte Prozess der Modellierung von Aufgaben in den Prozess der Inszenierung von Unterrichtseinheiten weitergeführt. Das Modul führt die Studierenden von der teilnehmenden Beobachtung (Modul PraxisStart) in das aktive Handeln als Lehrende. Dazu ist in diesem Modul ein achtwöchiges Blockpraktikum im fünften Fachsemester vor der Weihnachtspause vorgesehen. Das Modul besteht aus eng verzahnten fachdidaktischen und schulpädagogischen Teilen. Die Begleitveranstaltungen werden gemeinsam durch die Fachdidaktiken und die Schulpädagogik gestaltet. 
  • Modul ProfiWerk (Erziehungs- und Gesellschaftswissenschaften für das Lehramt): Die intensive Praxisphase des Moduls PraxisLab wird durch das Modul ProfiWerk-EGL vervollständigt, in dem die Erfahrungen in PraxisLab aus schulpädagogischer und fachdidaktischer Perspektive reflektiert werden.
  • ProfiPraxis (im anderen Unterrichtsfach): Die in einem Studienfach in PraxisStart und PraxisLab gewonnenen Einsichten werden in einem späteren Semester im zweiten Fach komprimiert aufbereitet.

Aus dieser Konzeption folgt eine andere Aufteilung der schulischen Praxisphasen (zwei Wochen in PraxisStart und acht Wochen in PraxisLab). Die Zusammenarbeit zwischen der UMR und den Schulen sowie den Mentorinnen und Mentoren durch den Wechsel von einem Blockpraktikum und einem Semester begleitenden Tagespraktikum auf nun zwei Blockpraktika muss daher neu justiert werden. Während in dem zweiwöchigen Block im Modul PraxisStart Beobachtungen und Reflexionen von Schule und Unterricht mit geringerer Beanspruchung der Mentorinnen und Mentoren im Mittelpunkt stehen, kann es im achtwöchigen Block PraxisLab zu einer höheren Beanspruchung kommen. Die bisherigen Erwartungen an Mentorinnen und Mentoren bestehen fort und werden gemeinsam für das achtwöchige Blockpraktikum neu gewichtet. Die Studierenden werden im achtwöchigen Blockpraktikum seitens der Universität durch Lehrende aus der jeweiligen Fachdidaktik und aus der Schulpädagogik gemeinsam begleitet. Dies sichert für die Universität die Umsetzung der Kernidee und verbessert für die Schulen sowie die Mentorinnen und Mentoren die Kontaktmöglichkeiten zur Universität. Am ZfL steht mit einem Referat für Praktikumsangelegenheiten darüber hinaus kontinuierlich eine Ansprechperson zur Verfügung. 

Die MPM werden unter Beteiligung von zehn Unterrichtsfächern erprobt. Für die anderen zwölf Fächer bleibt zunächst die bekannte Struktur der SPS I und II beibehalten. Die Universität Marburg vermeidet es, an Schulen mit Studierenden aus den beiden unterschiedlichen Modellen gleichzeitig anwesend zu sein. Die UMR sieht in der veränderten Struktur der Praxisphasen innerhalb des aktuell akzeptierten Rahmens mit zeitlicher Umstrukturierung keine zusätzliche Belastung für die Kolleginnen und Kollegen an den Praktikumsschulen. Durch die inhaltliche Neuausrichtung an der Kernidee werden Studierende besser vorbereitet und die verlängerte Praxis in den Schulen unterstützt wirksamer deren professionelle Entwicklung. Daher erwartet die UMR einen Zugewinn sowohl für die Studierenden als auch für die Schulen. Eine umfangreiche Evaluation der MPM wird zeigen, unter welchen Bedingungen diese Erwartungen erfüllt werden können.


Die UMR möchte mit den MPM einen qualitativen Beitrag zur bundesweiten Diskussion um die Neustrukturierung der Praxisphasen in der Lehrerbildung leisten. Die Ausweitung von schulpraktischen Phasen ist – anders als die Hoffnungen mancher Politiker und auch die mancher Studierender nahelegen – nicht per se Garant für eine bessere Lehrerbildung (2).

Die Qualität in der Umsetzung der wissenschaftlich orientierten Vorbereitung, der reflektierenden Begleitung und der theoriegestützten Nachbereitung der Praxisphasen innerhalb des Studienverlaufes ist entscheidend dafür, ob es gelingt, den vielfältigen Zielen der universitären Praxisphasen gerecht zu werden und Studierenden eine Lerngelegenheit zu bieten, die ihre Professionalisierung befördert. Vor diesem Hintergrund arbeitet die Philipps-Universität daran, eine nachhaltige, zukunftsweisende und professionsorientierte Verbesserung der Marburger Lehrerbildung für das gymnasiale Lehramt zu erreichen.
ProPraxis wird im Rahmen der gemeinsamen „Qualitätsoffensive Lehrerbildung“ von Bund und Ländern aus Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung gefördert. Die Verantwortung für den Inhalt dieser Veröffentlichung liegt beim Autor.

Martin Lüdecke

(1) R.Laging, U.Hericks & M.Saß, Fach: Didaktik – Fachlichkeit zwischen didaktischer Reflexion und schulpraktischer Orientierung. In: Susanne Lin-Klitzing, David Di Fuccia, Roswitha Stengl-Jörns (Hrsg.), Auf die Lehrperson kommt es an? Beiträge zur Lehrerbildung nach John Hatties „Visible Learning“. Bad Heilbrunn 2015, S. 91-113.
(2) vgl. Agentur für Qualitätssicherung durch Akkreditierung von Studiengängen: Ausbildung von Lehrerinnen und Lehrern in Nordrhein-Westfalen, Empfehlung der Expertenkommission zur Ersten Phase. Düsseldorf 2007; T. Hascher: Veränderungen im Praktikum – Veränderungen durch das Praktikum: Eine empirische Untersuchung zur Wirkung von schulpraktischen Studien in der Lehrerbildung. Zeitschrift für Pädagogok 52 (51. Beiheft), Weinheim 2006, S.130-148; U. Weyland: Zur Intentionalität Schulpraktischer Studien im Kontext universitärer Lehrerbildung. Paderborn 2010 sowie U. Weyland und E. Wittmann: Expertise Praxissemester im Rahmen der Lehrerbildung 1. Phase an Hessischen Hochschulen. Frankfurt 2011 (= DIPF, Materialien zur Bildungsforschung, 30).

Kontakte zum Zentrum für Lehrerbildung: Martin Lüdecke, Geschäftsführer (Luedecke@staff.uni-marburg.de) und Sara Dejanovic, Referat für Praktikumsangelegenheiten (sara.dejanovic@staff.uni-marburg.de)

Infos: www.uni-marburg.de/propraxis