Lehrerfortbildung in Hessen

Das Land muss wieder Verantwortung übernehmen!

HLZ 7-8/2016: Neue Baustelle Lehrerausbildung

Die Situation der hessischen Fortbildung für Lehrkräfte und pädagogische Fachkräfte war in der HLZ schon häufig Thema. Grundtenor dabei war immer: Nach der Zerschlagung des Hessischen Instituts für Lehrerfortbildung (HILF) und des nachfolgenden Hessischen Landesinstituts für Pädagogik (HELP) ist es nicht mehr gelungen, eine dem Bedarf der hessischen Lehrkräfte und Schulen entsprechende Fortbildung anzubieten – außer zu einigen vom Hessischen Kultusministerium (HKM) besonders priorisierten Themen und Zielen. Wurden fehlende Fortbildungsmöglichkeiten moniert, verwiesen das HKM, das Amt für Lehrerbildung (AfL) oder das Landesschulamt (LSA) oder wer auch immer mantraartig auf die vorgeblich enorm hohe Zahl an Angeboten durch private Anbieter.

Private Anbieter auf dem „Fortbildungsmarkt“

Dieser „Fortbildungsmarkt“ funktioniert jedoch nur in Teilbereichen, da private Anbieter gar nicht in der Lage sind, zu wichtigen unterrichtsbezogenen Bedarfen ein fachbezogenes Angebot zu machen, insbesondere im fachdidaktischen Bereich. Hier findet sich jedoch eine geballte Kompetenz an den Universitäten und Studienseminaren, die für die Lehrerfortbildung kaum genutzt wird bzw. genutzt werden kann. Angebote privater Anbieter sind zudem häufig mit wirtschaftlichen und ideologischen Eigeninteressen verbunden. Eher unverzichtbar ist die Fachkompetenz privater Anbieter wohl für die beruflichen Schulen, insbesondere für technikorientierte Lernfelder.

Für zahlreiche Themen gibt es derzeit fast ausschließlich private Anbieter, beispielsweise für die Fortbildung zu Gesundheitsaspekten (Stimmtraining, Stressmanagement oder Rückenschulung). Solche Fortbildungen müssen die Schulen dann mit ihrem Fortbildungsbudget einkaufen. Dieses Budget ist seit vielen Jahren nicht erhöht worden und absolut unzureichend, so dass sich kleinere Schulen eine solche Fortbildung zu Gesundheitsaspekten nur leisten können, wenn sie sich mit anderen Schulen zusammentun. Schulen und Lehrkräfte müssen sich Fortbildungen inzwischen mühsam „zusammensuchen“. Die Organisation von Fortbildungen durch qualifizierte Fortbildner und professionelle Fachkräfte gibt es nur begrenzt zu den vom HKM priorisierten Themen.

Die Forderungen der GEW

Auf der Grundlage dieser Veränderungen hat die GEW ihre Forderungen regelmäßig aktualisiert:
Der Staat hat die Verpflichtung, eine Fortbildung anzubieten, die sowohl der Schul- und Unterrichtsentwicklung als auch der Weiterentwicklung der beruflichen Qualifikation der Lehrkräfte mit allen ihren Facetten und unter Einbeziehung neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse dient, und die Mittel dafür bereitzustellen. Auskömmlich wäre ein Anteil von zwei bis drei Prozent des Kultusetats.

Die Lehrkräfteakademie (LA) hat ein Programm zu entwickeln, das didaktische, fachdidaktische und unterrichtspraktische Themen enthält und die Möglichkeit bietet, sich mit den Entwicklungen im Bildungswesen, in der Gesellschaft insgesamt und in der Erziehungswissenschaft kritisch auseinanderzusetzen und Schulentwicklung in diesem Kontext zu analysieren.

Wichtige Schwerpunkte künftiger Fortbildung müssen die Didaktik und Methodik inklusiven Unterrichts in multiprofessionellen Teams und die Entwicklung zur inklusiven Schule darstellen sowie der Unterricht mit Seiteneinsteigerinnen und Seiteneinsteigern und der sprachsensible Fachunterricht.

Fortbildungen müssen kostenfrei sein und können nicht neben oder nach dem Unterricht zusätzlich stattfinden. Die Vorstellung, Lehrkräfte könnten neben einem unter Umständen sechs- bis achtstündigen Schultag am späten Nachmittag oder Abend noch gewinnbringend Fortbildungsveranstaltungen besuchen, geht an den Realitäten des Schulalltags und an den Belastungen der Lehrkräfte vorbei.

Für die Berufseingangsphase müssen besondere Fortbildungs- und Unterstützungsangebote in Zusammenarbeit mit den Universitäten und Studienseminaren entwickelt werden. Wegen der Beanspruchung in der Berufseingangsphase und der Teilnahme an den oben genannten Fortbildungsveranstaltungen muss die Stundenverpflichtung in den ersten beiden Jahren gesenkt werden.

Verantwortung neu regeln und ausbauen

Auf der regionalen Ebene im Bereich der Staatlichen Schulämter gibt es enge Kontakte und eine gute Erreichbarkeit, um auf schulische Bedarfe und Anfragen reagieren zu können. Deshalb müssen auch dort ausreichende Ressourcen zur Verfügung stehen, um Unterstützungsangebote nach dem Bedarf von Lehrkräften, sozialpädagogischen Fachkräften und Schulen bereitzustellen. Auch hier müssen didaktische-methodische Angebote gemacht und nachhaltig umgesetzt werden. Auf der regionalen Ebene können Kolleginnen und Kollegen in Fortbildungen konkrete Materialien und Konzepte für die Umsetzung im Unterricht erarbeiten und sich über die anzustrebenden Kompetenzen verständigen. Diese Fortbildungsformate müssen so angelegt sein, dass sie die hohe Arbeitsbelastung von Lehrkräften berücksichtigen. Dass sie nicht völlig neu erfunden werden müssen, erläutert Olaf Burow in dieser HLZ (S. 22).

Auf regionaler Ebene sind auch die Unterstützungsangebote für Schulen in Schulentwicklungsfragen anzusiedeln, die Angebote für Supervision und kollegiale Fallberatungen. In dem Sinne ist ein Ausbau regionaler Fortbildung und Unterstützung dringend erforderlich. Stattdessen werden Fachberatungen aber beispielsweise im Bereich der kulturellen Bildung (HLZ 3/2016) gekürzt und nur – der Not gehorchend – im Bereich der Aufnahme- und Beratungszentren aufgestockt. Was es heißt, wenn Stellen gestrichen oder nicht wiederbesetzt werden, zeigt der Artikel zur Verabschiedung von Volker Imschweiler im Bereich des Staatlichen Schulamts Lahn-Dill/Limburg-Weilburg (HLZ S. 22).

Auf der überregionalen Ebene werkeln HKM und LA seit Monaten an einer Neuausrichtung von Fortbildung und Beratung. Nachfragen des Hauptpersonalrats der Lehrerinnen und Lehrer (HPRLL) wurden bis zum Redaktionsschluss dieser Ausgabe der HLZ nicht beantwortet.

So bleibt auch in einem Schreiben des HKM an den HPRLL unklar, wie die vom HKM festgelegten Schwerpunkte (individuelle Förderung, Schulentwicklung, Medienbildung, Berufsorientierung und Seiteneinsteiger) in der Fortbildung verankert werden können: „Im Rahmen der Neuausrichtung der Fortbildung und Beratung werden in den Staatlichen Schulämtern multithematische Teams gebildet, um Schulen ein abgestimmtes und qualitätsvolles Beratungs- und Fortbildungsangebot bereitzustellen. In den multithematischen Teams werden die Fortbildnerinnen und Fortbildner sowie Beraterinnen und Berater im Hinblick auf eine nachhaltige Schul- und Unterrichtsentwicklung eng kooperieren.“

Erwartungen, die man an eine solche Formulierung knüpfen könnte, werden aber sogleich wieder gedämpft, denn „um die großen Herausforderungen für die hessischen Schulen in den kommenden Jahren zu meistern“, müsse man weiter Stellenressourcen aus anderen Bereichen „umlenken“. Im Klartext: Auch in der Fortbildung und Beratung werden weiter Stellen gestrichen, obwohl die Ressourcen auch bisher bei weitem nicht ausreichen und zwar weder im Bereich der Inklusion noch für Deutsch als Zweit- oder Fremdsprache (HLZ S.18).

Die spärlichen Informationen lassen vermuten, dass das HKM den Schulen vorrangig Steuerungselemente für die „Qualitätsentwicklung“ von Schule anbieten wird, um die Schulen in die Lage zu versetzen, Schulprogrammarbeit und Schulentwicklung zu evaluieren und Entwicklungsziele zu formulieren. Dabei können sie auch Fortbildungs- und Beratungsbedarfe formulieren, doch bleibt ungeklärt, wie die Schulen und erst recht einzelne Lehrkräfte zu einem Fortbildungsangebot kommen, das sie für die Schul- und Unterrichtsentwicklung oder den Ausbau und Erhalt ihrer Qualifikationen benötigen. Sie müssen sich selber mögliche Anbieter und Referentinnen und Referenten suchen, Fortbildung planen und organisieren. Das ist nicht nur unprofessionell, sondern auch ein belastender Arbeitsaufwand.

Ein Blick in andere Bundesländer

Zum Teil schauen wir neidisch über die Landesgrenzen in andere Bundesländer. Niedersachsen hat seit 2012 neun Kompetenzzentren für Lehrerfortbildung eingerichtet. Eines davon bildet die Uni Vechta mit der Historisch-Ökologischen Bildungsstätte Papenburg und dem Ludwig-Windthorst-Haus Lingen. Es vertritt an drei Standorten 610 Schulen. In Niedersachsen gibt es in der Lehrerfortbildung ein Zusammenwirken von Universitäten und Einrichtungen der Erwachsenenbildung. Und wenn auch diese Konstruktion sicher nicht perfekt ist und das an den Studienseminaren vorhandene Fachwissen noch nicht einbezogen wird, so sind die Angebote des Zentrums doch beeindruckend.

Das Landesinstitut für Lehrerbildung und Schulentwicklung in Hamburg bietet den Schulen und Lehrkräften ebenfalls Angebote zu Fächern, Lernbereichen und Aufgabengebieten. Die Schulen und das pädagogische Personal erhalten Beratung, Qualifizierung und Unterstützung bei der Schul- und Personalentwicklung und können Fortbildung und Unterstützung „bestellen“. Davon können wir in Hessen nur träumen.

Im Gegensatz zu den hier genannten Beispielen, die noch vermehrt werden könnten, gibt es in Hessen keine oder nur sporadische Angebote in den Fächern, sieht man von den – oft wenig hilfreichen – Maßnahmen zur Umsetzung des kompetenzorientierten Unterrichts ab. Es gibt kaum Angebote zu allgemeinen pädagogischen Themen oder zur kritischen Reflexion bildungspolitischer und gesellschaftlicher Entwicklungen, die auf Schule einwirken.

Deshalb am Ende noch einmal ein nachdrückliches Plädoyer: Die regionale Ebene des Angebots von Fortbildung und Unterstützung muss ausgebaut werden. Die Schwerpunkte der von der Lehrkräfteakademie verantworteten Fortbildung müssen ergänzt und vor allem mit konkreten Angeboten gefüllt werden.


Heike Lühmann leitet zusammen mit Franziska Conrad und Andrea Gergen das Referat Aus- und Fortbildung im GEW-Landesvorstand. Auch im HPRLL, aus dem sie im Mai 2016 nach langjähriger Mitgliedschaft ausschied (S. 35), bearbeitete sie mit großem Nachdruck vor allem das Thema Fortbildung.