Kontinuität und Erneuerung

Ein Symposium zu 30 Jahren Lehrerfortbildung in Hessen

HLZ 7-8/2016: Neue Baustelle Lehrerausbildung

Volker Imschweiler, langjähriger Mitarbeiter der hessischen Lehrerfortbildung, verabschiedete sich am 27. November 2015 mit einem bemerkenswerten Symposium in den Ruhestand. Wie er in seiner Begrüßungsrede betonte, war es ihm wichtig, in seiner „letzten“ Veranstaltung als LPU (Leiter Pädagogische Unterstützung) Kolleginnen und Kollegen aus unterschiedlichen Bereichen der Lehreraus- und -fortbildung, der Bildungsverwaltung, den Universitäten und aus externen Fortbildungseinrichtungen zu einem Austausch zusammenzubringen. Ziel war es nicht nur, eine Bilanz der langjährigen gemeinsamen Arbeit zu ziehen, sondern auch Perspektiven für die Zukunft der Lehreraus- und -weiterbildung aus Sicht des versammelten Erfahrungs- und Expertenwissens zu eröffnen.

Im ersten Impulsreferat analysierte Botho Priebe, der ehemalige Leiter des Landesinstituts für Lehrerfortbildung in Rheinland-Pfalz, die empirische Wende in ihren Folgen für die Lehrerfortbildung und beleuchtete die unterschiedlichen Dimensionen der aktuellen Qualitätsdebatte. Seine Ausführungen mündeten in die These, dass wirksame Lehrerfortbildung von der Schule sowie von den Lehrkräften in ihren schulischen Kontexten her gedacht und gestaltet werden sollte.

Ministerialrätin Ute Göbel-Lehnert, für den Bereich der Pädagogischen Unterstützung zuständige Referentin im Kultusministerium, würdigte die besonderen Verdienste von Volker Imschweiler in seiner 35-jährigen Dienstzeit im Hessischen Institut für Lehrerfortbildung (HILF), im Hessischen Landesinstitut für Pädagogik (HelP) und zuletzt im Dezernat Lehrerfort- und –weiterbildung im Staatlichen Schulamt für den Lahn-Dill-Kreis und den Landkreis Limburg-Weilburg. Sie erinnerte dabei vor allem an seine Initiativen zur Weiterentwicklung des psychosozialen Bereiches und der Schulentwicklungsberatung in Hessen: „Volker Imschweiler ist mit seinen Konzepten zur Organisationsentwicklung in Schulen und seinem Netzwerk zur Weiterqualifizierung von Beraterinnen und Beratern ein über Hessen hinaus anerkannter Experte im Bereich der Schulentwicklung.“

So gehörte er zu den „Pionieren“ der Organisationsberatung in Schulen und organisierte bereits Ende der 80er Jahr entsprechende Fortbildungsveranstaltungen für Schulleiterinnen und Schulleiter, für Schulpsychologinnen und Schulpsychologen sowie für interessierte Lehrkräfte.
Aus der Perspektive der Schulentwicklung waren ihm, lange bevor die Schaarschmidt-Studie zur Lehrerbelastung erschien, die Lehrergesundheit und das Gesundheitsmanagement in Schulen besondere Anliegen. Für diese Pionierleistung und die daraus resultierenden Impulse dankte Siegfried Seeger, freiberuflicher Referent im Bereich Gesundheitsförderung, in seinem Beitrag über „Fortbildung und Beratung als sinnstiftendes Bildungsfeuer“. Die offizielle Verabschiedung erfolgte schließlich durch den Amtsleiter, den Leitenden Regierungsdirektor Michael Scholz.

Imschweiler erinnerte in seinem Schlusswort an einen über 400 Jahre alten Satz von Galileo Galilei:
„Man kann einen Menschen nichts lehren, man kann ihm nur helfen, es in sich selbst zu entdecken“.
Dies gelte auch für die Lern- und Veränderungsprozesse in Schulen und Bildungsverwaltung. Seine durch Forschungsergebnisse bestätigte langjährige Erfahrung habe ihm gezeigt, dass es darum gehe, die bereits vorhandenen Potenziale zu entdecken und Rahmenbedingungen zu schaffen, in denen sich die kreativen Kräfte der Beteiligten entfalten können. Wenn heute verstärkt über die Wirksamkeit von Fortbildung diskutiert werde, so Imschweiler, sollte nicht vergessen werden, dass es auch vor dem Höhenflug der empirischen Bildungsforschung wirksame Fortbildung gab. Er verwies dabei auf langjährig in zentraler und regionaler Fortbildung in Hessen erprobte „Lehrgänge“ und andere Formate.

Wirksame Fortbildung, so sein Fazit, müsse in Hessen und in der Region nicht neu erfunden werden. Über einen längeren Zeitraum seien regionale, landes- und bundesweite Netzwerke aufgebaut worden. Sie benötigen weiterhin eine besondere Pflege, um für die Schulen der Region wirksam zu bleiben. Mit einem gewissen Stolz verwies Imschweiler auf sein bisheriges Team im Bereich der Pädagogischen Unterstützung. Die hochkompetenten Fortbildnerinnen und Fortbildner, Fachberaterinnen und Fachberater seien „eine kostbare Ressource in der Region, für die Schulen und für das hiesige Staatliche Schulamt“.

Intensive Wochenlehrgänge

Die Ausführungen der Laudatorinnen und Laudatoren kann ich aus eigener Perspektive bestätigen und vertiefen, hatte mich Volker Imschweiler doch bereits Mitte der 80er Jahre für die hessische Lehrerfortbildung gewonnen. Es folgten über zehn Jahre Fortbildung zur Praxis der Gestaltpädagogik, zu Verfahren der Zukunftswerkstatt und der Großgruppenmoderation. Sie fanden jeweils in der Faschingswoche statt, denn damals war noch der einwöchige „Lehrgang“ das Standardformat des HILF-Programms. Diese Veranstaltungen, die besonders nachgefragt waren, wiesen eine hohe Intensität auf und gaben Impulse für vielfältige Schulentwicklungsvorhaben und wurden in regionalen Praxisberatungen und Pädagogischen Tagen an einzelnen Schulen ergänzt und fortgeführt
Die Gefahr solcher Rückblicke besteht in einer Verklärung der vermeintlich guten alten Zeiten und in einer Überschätzung eigener Beiträge. Im Bewusstsein dieser Gefährdung kann ich dennoch behaupten, dass wir, das heißt Volker Imschweiler und sein Dozententeam, mit unseren Programmen der Zeit weit voraus waren.
Wenn heute die pädagogische Zunft z.B. die Forschungsergebnisse des durchaus verdienstvollen Bildungsforschers John Hattie als bahnbrechenden Erkenntnisschub feiert, dann zeigt sich darin auch ein Gutteil Geschichtsvergessenheit. So basierten die von Imschweiler initiierten gestaltpädagogischen Fortbildungen auf der Erkenntnis der zentralen Bedeutung der Person des Lehrers und zeigten Wege zur selbstreflexiven Auseinandersetzung. Wenn der Hirnforscher Gerhard Roth (2011) in seinem Buch „Bildung braucht Persönlichkeit – Wie Lernen gelingt“ Forschungsergebnisse referiert, nach denen wir bis zu 80 Prozent all dessen, was nicht persönlich bedeutsam ist, innerhalb von zwei Jahren vergessen, dann muss man wissen, dass die Gestaltpädagogik bereits in den siebziger Jahren über Konzepte persönlich bedeutsamen Lernens verfügte, die wir in den Wochenseminaren vermittelten und erprobten. Die „Grundlagen der Gestaltpädagogik“, die ich 1988 veröffentlichte, enthielten den Untertitel „Lehrertraining – Unterrichtskonzept – Organisationsentwicklung“. Sie beschrieben aus Sicht von Humanistischer Psychologie und Reformpädagogik bereits die Dimensionen, die Hans-Günther Rolff später (1995) als „Trias“ der Schulentwicklung ausführte und weiterentwickelte. Lange bevor Schulen verpflichtet wurden, „Leitbilder“ zu entwickeln, entwarfen wir solche mit Hilfe einer modifizierten Form der Zukunftswerkstatt Robert Jungks.

„Desire to be taught“

Die zentralen Fortbildungsangebote zur Gestaltpädagogik ermöglichten es vielen Kolleginnen und Kollegen, Alltagsroutinen zu überwinden und Schule im Sinne einer „Positiven Pädagogik“ (Burow 2011) neu zu denken. Wenn heute der neueste Hype aus dem Silicon Valley unter dem Terminus „Design Thinking“ (Weinberg 2015) zu uns hinüberschwappt und Unternehmen begeistert, dann können wir nur feststellen, dass wir bereits in den achtziger Jahren ähnliche Verfahren der Kreativitätsförderung am HILF unter dem Namen „Partizipationsdesign“ an die Kolleginnen und Kollegen vermittelten.

Faszinierend waren damals die experimentelle Haltung und der Mut, mit ungewöhnlichen Formaten zu experimentieren. Dabei versuchten wir, eine gestaltpädagogische Kerneinsicht zu realisieren: Den Schülerinnen und Schülern geht es nur gut, wenn es auch den Lehrerinnen und Lehrern gut geht. Lange bevor der Heidelberger Berufsschulrektor Ernst Fritz-Schubert das Schulfach Glück erfunden hatte, nutzten wir kreative Lehr- und Lerndesigns, um Glückserfahrungen als Ressource für gelingende Fortbildung zu nutzen – und realisierten dabei doch nur eine alte Einsicht Voltaires, die inzwischen evidenzbasiert bestätigt ist:
„Ich habe beschlossen glücklich zu sein, weil es besser für die Gesundheit ist.“


Und allen effizienzfixierten Bildungsbeschleunigern seien John Lockes Ideen ins Buch geschrieben, der Lernen als „thing of delight“ definierte und forderte, dass Lehrende in der Lage sein sollten, „the desire to be taught“, die Sehnsucht unterrichtet zu werden, zu vermitteln. Im neumodischen Hirnsprech eines Gerald Hüthers: „Begeisterung ist Dünger fürs Gehirn.“ Diese Begeisterung zu vermitteln, war uns ein Anliegen in den Seminaren, was aber nur durch den freien, unverzweckten Zeitrahmen eines Wochenseminars möglich war.
Doch halt: Bin ich jetzt in die Falle gelaufen und habe unsere Vergangenheit verklärt? Ich meine nicht, denn es gibt noch eine andere, dunkle Seite. Viele dieser kreativen Impulse unserer Aufbruchszeit sind in der Phase der neoliberalen Umgestaltung des Schul- und Bildungssystems wieder in den Hintergrund getreten oder gar in Vergessenheit geraten. Der ökonomiefixierte Zugriff auf die Schule im Gefolge der OECD-Studien hat Schule und Lehrkräfte unter ein verdichtetes Leistungsdiktat gezwungen, das die Belastungen des Lehrerberufs gesteigert hat, ohne uns bei Herausforderungen wie Chancengleichheit und kreativen Spitzenleistungen wirklich weiterzubringen. Insofern gilt es erneut zu überlegen, wie ein innovativer Aufbruch in der Lehreraus- und -weiterbildung erreicht werden kann, der geschichtsbewusst und zugleich zukunftsorientiert ist.
Aus wissenschaftlicher und auch aus gewerkschaftlicher Sicht ist zu hoffen, dass Volker Imschweiler der hessischen Lehrerfortbildung mit seinen Erfahrungen weiterhin als kritischer Begleiter zur Verfügung steht. Somit könnte sein Abschied ein Aufbruch sein.

Olaf-Axel Burow ist Professor für allgemeine Pädagogik an der Universität Kassel. Er beschäftigt sich seit vielen Jahren mit neuen Lehr- und Lernkonzepten und Verfahren der Kreativitätsförderung. Hintergrund ist die von ihm entwickelte Theorie des Kreativen Feldes sowie die „Positive Pädagogik“. Seine neueste Veröffentlichung zur „Wertschätzenden Schulleitung“ erschien 2016 im Beltz-Verlag.