Andrea Gergen und Christina Nickel haben mit der Vermutung in ihrem Bericht über einen sehr guten besuchten digitalen Workshop des Referats Aus- und Fortbildung im GEW-Landesvorstand in der HLZ 7-8/2021 Recht behalten, dass der lange angekündigte Entwurf der schwarz-grünen Koalition zur Novellierungdes Hessischen Lehrerbildungsgesetzes „wieder einmal in oder kurz nach der Sommerpause vorgelegt wird, also zu einem Zeitpunkt, an dem sich die zu beteiligenden Akteure im Urlaub befinden oder mit dem Beginn des neuen Schuljahres beschäftigt sind“.
Tatsächlich traf der Entwurf der Landesregierung nur wenige Tage vor den Sommerferien ein, für die Stellungnahme für die Regierungsanhörung hatte das zuständige Referat des GEW-Landesvorstands gerade einmal drei Wochen Zeit, in denen fast 70 Seiten mit Änderungen für ein neues Hessisches Lehrkräftebildungsgesetz (HLbG) und noch einmal fast 100 Seiten mit Änderungen der dazugehörigen Durchführungsverordnung (HLbG-DV) durchzuarbeiten und mit den Kolleginnen und Kollegen aus Schulen, Hochschulen und Studienseminaren zu diskutieren waren. Das Fazit von Andrea Gergen und Christina Nickel ist danach eher ernüchternd:
„Der Gesetzentwurf zur Novellierung des HLbG ist nicht geeignet, bestehenden Anforderungen an die Lehrkräftebildung zukunftsfähig zu begegnen. Leider hat Hessen die meisten guten Ideen für eine zukunftsweisende Lehrkräftebildung, die in anderen Bundesländern im Rahmen der Qualitätsoffensive Lehrerbildung schon umgesetzt werden, in den Wind geschlagen. Das gilt insbesondere für die Beibehaltung der verkrusteten und eindimensionalen Strukturen der modularen und wenig verzahnten zweiten Phase, dem Vorbereitungsdienst. All das kann nur als mutloses Sparprogramm bezeichnet werden – nicht als Innovation für die Zukunft der kommenden Generation von Lehrerinnen und Lehrern.“
Im Folgenden dokumentiert die HLZ die wesentlichen Änderungsvorschläge und die Stellungnahme der GEW in stark gekürzter Form. Die Angaben zu den einzelnen Paragraphen beziehen sich auf den Regierungsentwurf zur Novellierung des HLbG vom 30.6.2021. Soweit sich die Kommentierung auf die HLbG-DV bezieht, wird dies ausdrücklich erwähnt.
Studienzeiten werden den Anforderungen nicht gerecht
Der Gesetzentwurf hält an der Regelstudienzeit von sieben Semestern für die Lehrämter an Grundschulen und Haupt- und Realschulen fest – und das trotz der vielen neuen und im Gesetzentwurf ausdrücklich benannten Themen Gesellschaftliche Vielfalt, Inklusion, Nachhaltigkeit, Deutsch als Zweitsprache, Digitalisierung und Ganztag (§ 1 Abs. 4). Gerade für die Grundschule ist das aus Sicht der GEW inakzeptabel, da gleichzeitig die Pflicht eingeführt wird, eines der drei Fächer als Langfach zu studieren und dort die Lehrerlaubnis für die Sekundarstufe I zu erwerben. Die GEW bedauert, dass die im Koalitionsvertrag zugesagte Prüfung einer „zeitlichen Ausweitung des Lehramtsstudiums für Grundschulen“ wieder „zu den Akten gelegt wurde“, und fordert, die Regelstudienzeit wie in anderen Bundesländern bereits geschehen auf mindestens acht, möglichst aber auf zehn Semester auszuweiten.
Querschnittsthemen
Die GEW begrüßt es, dass Nachhaltigkeit und gesellschaftliche Vielfalt in § 1 Abs. 3 ausdrücklich als Querschnittsthemen für alle Phasen der Lehrkräftebildung genannt werden. Diese Vorgabe darf sich jedoch nicht nur auf die Präambel beschränken, sondern muss in konkreten Einzelregelungen zu finden sein. Dabei schlägt die GEW vor, die Fachbegriffe „Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE)“ und „Diversität“ zu verwenden und auch die Demokratiebildung explizit zu nennen.
Viele Fragen zum digitalen Portfolio
Die Verpflichtung, dass alle Lehrkräfte „während der gesamten Ausbildung und des Berufslebens“ ein fortlaufendes, vorzugsweise digitales Portfolio zur „Dokumentation und Reflexion der eigenen Kompetenzentwicklung“ führen müssen (§ 2 Abs. 3), wirft für die GEW viele Fragen auf. So muss geklärt werden, ob es sich um ein Qualifizierungs- oder um ein Leistungsportfolio handelt, ob es einstellungs- und beförderungsrelevant ist und von wem es eingesehen werden kann. Die GEW sieht zudem die Gefahr, dass es „eher als Instrument der Selbstdarstellung denn als Instrument zur (Selbst-)Reflexion dient“.
GEW fordert Entlastung für alle Mentorentätigkeiten
Die GEW legt großen Wert darauf, dass die Arbeit von Mentorinnen und Mentoren in allen Phasen der Aus- und Weiterbildung mit Ressourcen für Fortbildung und Entlastung hinterlegt wird. Eine reine Vergütung hält die GEW für „unangemessen“. Die Aufgaben der schulischen Begleitlehrkräfte in den universitären Praxisphasen sollten vom Kultusministeriu landesweit einheitlich geregelt werden.
Genehmigung von Studienordnungen
Die GEW lehnt die in § 7 Abs. 2 formulierte Pflicht zur Genehmigung der Studienordnungen der Universitäten und der Kunst- und Musikhochschulen durch das Kultusministerium als „Eingriff in die grundgesetzlich garantierte Freiheit von Forschung und Lehre an der Hochschule“ ab.
Zusatzprüfungen erhalten
Die GEW lehnt die beabsichtigte Streichung der Möglichkeit für Erweiterungsprüfungen im Studium für das Lehramt an Gymnasien in den Fremdsprachen Polnisch, Hebräisch, Türkisch, Portugiesisch und Russisch sowie in Wirtschaftswissenschaften, Darstellendem Spiel und Technikwissenschaften ab (§ 12 Abs. 5).
Praktische Ausbildung im Lehramtsstudium
Lehramtsstudierende sollen künftig im Rahmen des Studiums ein Betriebspraktikum von acht Wochen sowie ein Grundpraktikum in der ersten und ein Praxissemester in der zweiten Hälfte des jeweiligen Studiengangs absolvieren (§ 15). Die gesamte praktische Ausbildung soll begleitet werden und mit einer obligatorischen Reflexion des Berufsbildes durch Selbst- und Fremdeinschätzung im Anschluss an das Praxissemester abgeschlossen werden (§ 15 Abs. 4). Diese Strukturierung der Praxisphasen ist aus Sicht der GEW grundsätzlich vernünftig und entspricht den Forschungsergebnissen, wonach Berufsorientierung, Selbstreflexion und Erkundung des Arbeitsfeldes Schule die Ziele der universitären Praxisphasen sein sollten.
Anleitung, Begleitung und Bewertung der Studierenden in der praktischen Ausbildung sollten aus Sicht der GEW durch Ausbildungsbeauftragte der Universitäten durchgeführt werden: „Schulische Begleitlehrkräfte sind für die Beratung, nicht aber für die Bewertung der Studierenden zuständig.“
Zentrale Prüfungen bei der Ersten Staatsprüfung
§ 22 Abs. 2 sieht die Möglichkeit vor, „dass die im Rahmen der Ersten Staatsprüfung anzufertigenden Klausuren als landesweit einheitliche Prüfungsaufgaben gestellt werden.“ Die GEW lehnt dies ab, da dies die „differenzierte, fachadäquate Gestaltung von Studium und Prüfungen massiv beschneiden würde“.
Modularisierung im Vorbereitungsdienst
Kernpunkt der Kritik der GEW an der Ausgestaltung des Vorbereitungsdienstes (Referendariat) ist das Festhalten an der modularisierten Struktur, die aus Sicht der GEW „defensives Lernen und Anpassung statt expansives Lernen und Empowerment“ befördert. Der Bewertungsmarathon mit acht Modulnoten führe dazu, dass die Lehrkräfte im Vorbereitungsdienst (LiV) „innovatives, kreatives Erproben von Handlungssituationen eher sein lassen“. Auch die Modulprüfung, die dazu führt, dass LiV oftmals schon nach neun Monaten zum Ende ihres Referendariats kommen, soll beibehalten werden. Die GEW hält eine Überprüfung der Eignung im Rahmen des Zweiten Staatsexamens für ausreichend: „Das würde Zeit für Lernen lassen und den Druck durch permanente Bewertung minimieren.“
Eigenverantworteter Unterricht: Genug ist genug
Die GEW lehnt die Erhöhung des eigenverantworteten Unterricht im Prüfungssemester von 6 bis 8 auf 10 bis 12 Stunden (§ 43 Abs. 3 HLbG-DV) ab: „Diese Maßnahme erhöht den Druck auf die LiV gerade in der arbeitsintensiven Phase der Prüfungsvorbereitung.“ Die ebenfalls in § 43 Abs. 3 HLbG-DV vorgesehene verbindliche Doppelsteckung der Mentoren und Mentorinnen ist nur dann umsetzbar, wenn diese mindestens mit einer Pflichtstunde entlastet werden.
Unterrichtsentwürfe bei Unterrichtsbesuchen
§ 44 Abs. 6 HLbG-DV enthält eine Begrenzung des Umfangs von Unterrichtsentwürfen für Unterrichtsbesuche in den Fachmodulen im zweiten Hauptsemester und stellt klar, dass für die anderen Module „die Vorlage einer Unterrichtsskizze ausreichend“ ist. Die GEW hält dies für sinnvoll, wünscht aber „eine Präzisierung des Begriffs ‚Unterrichtsskizze‘, um die Vergleichbarkeit der Anforderungen zu sichern und Stress zu reduzieren“.
Regelungen zum Zweitem Staatsexamen
Nach § 48 sollen die LiV in der mündlichen Prüfung für das Zweite Staatsexamen „komplexe pädagogische Fragestellungen erörtern und im Hinblick auf die Berufspraxis reflektieren“. Die GEW hält die bisherige Formulierung für präziser, wonach die „in der Ausbildung erworbenen Kompetenzen unter fachdidaktischen, allgemeinpädagogischen, schulrechtlichen und die Mitgestaltung der Schule betreffenden Fragestellungen“ behandelt werden. Für das Lehramt an Förderschulen fordert die GEW, dass beim Zweiten Staatsexamen nicht nur – wie in § 44 vorgesehen - die Schulleitung des BFZ in der Prüfungskommission vertreten ist, sondern auch die Schulleitung der Regelschule, in der die LiV 21 Monate ausgebildet wurde.
Fortbildung der Lehrerinnen und Lehrer
Bezüglich der Regelungen des Gesetzes und der Durchführungsverordnung wiederholt die GEW ihre grundsätzliche Kritik am Zustand der Lehrkräftefortbildung in Hessen:
„Das Hessische Kultusministerium beschränkt sich hier fast ausschließlich auf Fortbildungen zu den Prio-Themen, fachdidaktische Fortbildungen bleiben komplett privaten Anbietern vorbehalten und die im Entwurf getroffenen Aussagen bleiben extrem vage. Schon jetzt ist der Bereich der Fortbildung komplett kaputt gespart worden. Wer die Pflicht zur Fortbildung ins Gesetz schreibt, muss auch das Recht auf Fortbildung im Gesetz verankern, die dafür nötigen Ressourcen zur Verfügung stellen und Angebote, die auch im Sinne eines Qualitätsmanagements überprüft werden können, bereitstellen.“
Im Einzelnen fordert die GEW unter anderem, die Zuständigkeit der Schulen für schuleigene Fortbildungspläne beizubehalten, ein Recht auf Fortbildung und die Eigenverantwortung der Lehrkräfte für die Wahl der geeigneten Angebote festzuschreiben und die Fortbildungsbudgets der Schulen zu erhöhen. Erschreckend sei auch, dass das bestehende Fortbildungssystem in den vergangenen 15 Jahren nicht systematisch evaluiert wurde.
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