Ein Problem von Dauer

Die Maßnahmen gegen den Lehrkräftemangel reichen nicht aus

HLZ 11/2022: Lehrkräftebildung

Der Lehrkräftemangel bleibt ein dauerhaftes Problem, denn der pädagogische Nachwuchs stagniert und der Bedarf steigt. Kultusminister Lorz erklärte Anfang September, dass die hessischen Schulen bereits von rund 13.000 Schülerinnen und Schülern aus der Ukraine besucht werden. Damit haben sie eine größere Zahl an „Seiteneinsteigerinnen“ und „Seiteneinsteigern“ als im Jahr 2015 aufgenommen. Die Gesamtzahl der Schülerinnen und Schüler an den öffentlichen Schulen stieg allerdings um 25.500. Der Anstieg ist also nur zur Hälfte auf die Geflüchteten zurückzuführen. Bundesweit wurden 2021 mehr Kinder geboren als zuletzt 1997, in Hessen fiel der Zuwachs besonders stark aus. Von daher ist absehbar, dass sich der Trend zu mehr Einschulungen über längere Zeit fortsetzen wird. Diese Zuwächse kommen zeitversetzt an den weiterführenden Schulen an. Ein zusätzlicher Bedarf an Lehrkräften und weiterem pädagogischem Personal wird sich darüber hinaus ab 2026 aus dem Rechtsanspruch auf einen Ganztagsplatz für Grundschulkinder ergeben. (1) Für wünschenswerte Verbesserungen – etwa kleinere Lerngruppen, wie sie die GEW fordert – wären weitere Kräfte erforderlich.

Erste Phase Studium: Ein sorgenvoller Blick
Es werden daher in den kommenden Jahren neu ausgebildete Lehrkräfte in großer Zahl benötigt – zum einen aufgrund der zusätzlichen Bedarfe, zum anderen um alters- oder krankheitsbedingt ausscheidendes Personal zu ersetzen. Angesprochen auf den Lehrkräftemangel wird Kultusminister Lorz nicht müde zu betonen, dass die Landesregierung bereits reagiert habe. Die Studienplätze im Grund- und Förderschullehramt seien deutlich ausgebaut worden. Allerdings kämen die zusätzlich ausgebildeten Lehrkräfte erst in zwei bis drei Jahren in den Schulen an. Die Zahl der Studienplätze im Grundschullehramt wurde an den Universitäten in Kassel, Gießen und Frankfurt tatsächlich erhöht. Auch die Studienplätze im Lehramt für Förderpädagogik, wie das ehemalige Förderschullehramt inzwischen heißt, wurden ausgebaut. Gleichwohl sind an den Universitäten noch immer Zulassungsbeschränkungen in Kraft. Es stehen also nach wie vor weniger Studienplätze zur Verfügung, als es Interessierte gibt. Auch bestimmte Fächer des Gymnasiallehramts sowie des Lehramts an Haupt- und Realschulen sind mit einem NC belegt, beispielsweise für Biologie und für Politik und Wirtschaft.

Die Zahl der Lehramtsstudierenden an den hessischen Universitäten lag im vergangenen Wintersemester 2021/22 bei gut 21.000. Mit knapp 10.000 entfällt der größte Anteil auf das Gymnasiallehramt, es folgen das Grundschullehramt und das Lehramt an Haupt- und Realschulen. (2) Entscheidend für die zukünftige Versorgung mit Lehrkräften ist, wie viele von ihnen ihr Studium erfolgreich abschließen, also das Erste Staatsexamen beziehungsweise einen Master beim Lehramt an beruflichen Schulen absolvieren. Dabei spielen auch die Studienbedingungen eine Rolle. Eine aktuelle parlamentarische Anfrage von Elisabeth Kula (DIE LINKE) zeigt, dass im Zeitraum von 2017 bis 2021 knapp 2.500 Studierende ein Lehramtsstudium ohne Abschluss abgebrochen haben. Die Gründe dafür könnten, so der Kultusminister, „sehr unterschiedlich“ sein. Neben einem Studienabbruch kämen auch der Wechsel in einen anderen Studiengang, der Wechsel an eine andere Hochschule oder ein Urlaubssemester in Frage. (3)

Der Blick auf die aktuellen Zahlen bezüglich des Lehramtsstudiums in Hessen stimmt angesichts des aktuellen und des zu erwartenden zukünftigen Bedarfs sorgenvoll. Die hier präsentierten Zeitreihen wurden uns vom Hessischen Statistischen Landesamt freundlicherweise zur Verfügung gestellt. Die Gesamtzahl der Studienanfängerinnen und -anfänger im ersten Semester eines Lehramtsstudienganges ist von 2016 bis 2019 angestiegen, doch seit 2020 ist sie deutlich rückläufig (vgl. Tabelle 1). 2021 haben noch 3.676 junge Menschen ein Lehramtsstudium aufgenommen, knapp 1.000 weniger als zwei Jahre zuvor. Im Grundschul- und im Förderschullehramt hat tatsächlich ein auf die Ausweitung der Studienkapazitäten zurückzuführender Aufwuchs stattgefunden, doch auch dieser kam 2020 ins Stocken. Für die anderen Lehrämter ist ein deutlicher Rückgang zu konstatieren.
Das Plus bei den Neueinschreibungen, das zumindest bis 2019 festzustellen ist, spiegelt sich noch nicht in der Zahl der abgelegten Hochschulabschlüsse. Deren Zahl war im gesamten hier betrachteten Zeitraum rückläufig (vgl. Tabelle 2). 2021 haben 438 Personen weniger ein Lehramtsstudium abgeschlossen als 2016. Das überrascht nicht, denn der oben erwähnten parlamentarischen Anfrage zufolge liegt die durchschnittliche Studiendauer zwischen acht Semestern im Grundschullehramt und 11,4 Semestern im Gymnasiallehramt. Die Regelstudienzeit wird somit zumeist überschritten. Dies dürfte auf unzureichende Studienbedingungen zurückzuführen sein, aber auch auf den zunehmenden Einsatz von Lehramtsstudierenden als Vertretungskräfte. Ein leichter Zuwachs zeichnet sich lediglich beim Grundschullehramt ab.

Zweite Phase Vorbereitungsdienst
Der Vorbereitungsdienst stellte lange ein Nadelöhr dar, denn das Land stellte deutlich weniger Plätze zur Verfügung, als es Bewerberinnen und Bewerber gab. So lag die Zahl der Einstellungen in den Vorbereitungsdienst von 2016 bis 2019 durchgehend deutlich niedriger als die Zahl der Hochschulabschlüsse (vgl. Tabelle 3). Die Folge waren lange Wartezeiten, in starker Abhängigkeit vom Lehramt und der Fächerkombination. Erst angesichts des sich zuspitzenden Mangels setzte die Lehrkräfteakademie 2018 die GEW-Forderung nach einer Erhöhung der Kapazitäten in der zweiten Phase um, so dass sich die Wartezeiten verkürzten. 2020 entsprach die Zahl der Einstellungen in den Vorbereitungsdienst erstmals annähernd der der abgelegten Hochschulprüfungen. Zwischen Hessen und den anderen Bundesländern dürfte es zwischen erster und zweiter Phase einige Wechsel geben, unterm Strich sollten sich Zu- und Abwanderung jedoch weitgehend ausgleichen.

Im Berufsschullehramt lag die Zahl der Einstellungen in den Vorbereitungsdienst deutlich über der der abgelegten Masterabschlüsse. Dies ist auf den Quereinstieg aus nicht-pädagogischen Berufen zurückzuführen, der hier eine größere Rolle spielt als in den anderen Lehrämtern.

Besonders stark stieg die Zahl der Einstellungen beim Grundschullehramt. Dies ist nicht zuletzt den aufgelegten Sonderprogrammen geschuldet, die den Vorbereitungsdienst an Grundschulen für Interessierte mit einem Ersten Staatsexamen für das Gymnasiallehramt oder das Lehramt an Haupt- und Realschulen bei einer geeigneten Fächerkombination öffneten.

Die Einstellung in den Vorbereitungsdienst erfolgt in Hessen zum 1. Mai sowie zum 1. November. Für den ersten Einstellungstermin 2022 liegt bereits eine Gesamtbilanz der Lehrkräfteakademie vor. Die Einstellungen zum November 2022 konnten hier noch nicht berücksichtigt werden. Es zeichnete sich aber bereits im Mai ein besorgniserregendes Bild ab: Die Zahl der Bewerbungen ist im Vergleich zum Vorjahr deutlich zurückgegangen und es konnten nicht mehr alle vorgehaltenen Plätze besetzt werden. Von 2018 bis 2021 konnte der zuvor aufgebaute „Stau“ an nicht berücksichtigten Bewerberinnen und Bewerbern abgebaut werden, die Wartezeiten haben sich entsprechend verkürzt. Inzwischen ist dieses Reservoir jedoch komplett ausgeschöpft. Gleichzeitig geht die Zahl der Hochschulabsolventinnen und -absolventen im Lehramt – zumindest vorerst – zurück. Daher ist zu erwarten, dass weniger Lehrkräfte im Vorbereitungsdienst neu eingestellt werden und die Zahl der Neueinstellungen in den Vorbereitungsdienst, die 2019 ihren Höhepunkt erreichte, vorerst weiter abnehmen wird.

Da der Vorbereitungsdienst in Hessen 21 Monate dauert, muss also für die kommenden Jahre mit einer rückläufigen Zahl an neu ausgebildeten Lehrkräften mit Zweitem Staatsexamen gerechnet werden. Nur im Grundschullehramt kann man auf leicht ansteigende Zahlen hoffen. Ob diese tatsächlich ausreichen, ist allerdings fraglich. Die seit einigen Jahren von der GEW vorgetragene Kritik, dass die bisher ergriffenen Maßnahmen der Landesregierung nicht ausreichen, scheint sich – leider – zu bestätigen.

Roman George


(1) Schwerpunkt „Rechtsanspruch Ganztag“ in HLZ 7-8/2022
(2) Hessisches Statistisches Landesamt (2021): Die Studierenden an den Hochschulen in Hessen im Wintersemester (Vorbericht, vorläufige Ergebnisse), Wiesbaden, S. 9
(3) Kleine Anfrage Elisabeth Kula (DIE LINKE) vom 23.3.2022: Erste Staatsprüfung Lehrämter in Hessen, Drucksache 20/8117