Die Chancen nutzen

Diskussion über Lehrerbildungsgesetz

HLZ 7-8/2016: Neue Baustelle Lehrerausbildung

Die GEW hat die gegenwärtig praktizierte Lehrerinnenbildung in ihren Beschlüssen stets differenziert analysiert und die Schwachpunkte aufgedeckt. Im Hinblick auf die im nächsten Jahr anstehende Novellierung des Hessischen Lehrerbildungsgesetzes (HLbG) und der Durchführungsverordnung (HLbGDV) diskutierte der GEW-Landesvorstand am 19. Mai intensiv über eine umfassende Beschlussvorlage des Referats Aus- und Fortbildung und erzielte in zentralen Punkten Einigkeit. Die Diskussion um die Position der GEW ist noch nicht in allen Punkten abgeschlossen. Nach Abschluss der Diskussion in der GEW wird der Beschluss des Landesvorstandes veröffentlicht. Die wesentlichen Punkte werden im Folgenden dargestellt.

Die Erste Phase an der Hochschule

Das universitäre Staatsexamen für das Lehramt an allgemeinbildenden Schulen soll nach den Vorstellungen der GEW beibehalten werden, um eine staatlich verantwortete Lehrerinnen- und Lehrerausbildung zu garantieren. Die Zahl der Lehramtsstudiengänge soll auf vier Typen reduziert werden:

  • das Lehramt für die Grundschulen (Klassen 1 bis 6)
  • das Lehramt für Sekundarschulen (Klassen 5 bis 13)
  • das Lehramt an Förderschulen
  • das Lehramt an Berufsbildenden Schulen

Mit der Schaffung eines einheitlichen Lehramts für Sekundarschulen soll sichergestellt werden, dass alle Studierenden hinreichende Kenntnisse in den Fachwissenschaften, Fachdidaktiken und Bildungswissenschaften erwerben, um alle Schülerinnen und Schüler optimal zu fördern und sie auf den bestmöglichsten Bildungsabschluss vorzubereiten. Um die Verzahnung des Lehramtes für Grundschulen und für Sekundarschulen herzustellen, überlappen sich die Studiengänge im Hinblick auf die als Orientierungsstufe begriffene Klassenstufe 5/6. Für ein Fach soll das Lehramt an Grundschulen die Lehrbefähigung bis Klasse 10 einschließen.

  • Die Studiendauer für alle vier Lehrämter soll zehn Semester Mindeststudienzeit betragen, da die zu erwerbenden Kompetenzen und Kenntnisse in allen Lehrämtern gleich umfangreich sind. Alle Lehrämter müssen mit der Eingangsstufe A 13 besoldet werden.
  • Die Entscheidung zur Einführung und Ausgestaltung eines Praxissemesters im Hauptstudium des Lehramtsstudiums soll an die Ergebnisse der Evaluationen der Erprobung des Praxissemesters an den Universitäten Gießen, Frankfurt und Kassel sowie der Praxismodule an der Universität Marburg (HLZ S.24-25) gekoppelt werden. Im Zweifelsfall soll die Struktur der Schulpraktischen Studien beibehalten werden. Die Einführung eines Praxissemesters soll keinesfalls bereits in der Gesetzesnovellierung von 2017 festgelegt werden.
  • Inklusive Pädagogik, antisexistische und antirassistische Pädagogik sowie Umgang mit Heterogenität und Diversity sind als Querschnittsthemen in das Lehramtsstudium zu integrieren. Deutsch als Zweitsprache (DaZ), Deutsch als Fremdsprache (DaF), Literalität im Mehrsprachigkeitskontext sowie Sprachförderung im Fachunterricht sind ebenfalls in alle Lehramtsstudiengänge zu integrieren.
  • Für das Lehramt für Sekundarschulen und für Berufsbildende Schulen ist DaZ /DaF als Unterrichtsfach in die Zahl der Unterrichtsfächer aufzunehmen.
  • Demokratiepädagogik und Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) sind in alle Lehramtsstudiengänge zu integrieren.
  • Für das Lehramtsstudium für die Sekundarschule ist das Fach „Arbeitslehre“ in den Fächerkanon für das Lehramt an Sekundarschulen aufzunehmen.
  • Die Möglichkeiten der Selbsterkundung im Hinblick auf Motivation und Eignung für den Lehrerberuf sowie die Beratung der Studierenden sollen ausgebaut werden.

Die in § 6 HLbG festgelegte Kooperation der Träger der verschiedenen Phasen der Lehrerbildung ist zu konkretisieren, z.B. im Hinblick auf die gemeinsame Planung, Durchführung und Auswertung der schulpraktischen Studien bzw. des Praxissemesters. Koordinationsinstanz für das Lehramtsstudium und die Kooperation mit den übrigen Phasen der Lehrerbildung sind die „Zentren für Lehrerbildung“ an den Universitäten. An diesen Zentren für Lehrerbildung sind Kooperationsräte einzurichten, an denen alle an der Lehrerbildung beteiligten Institutionen (Universitäten, Studienseminare und Schulen) kooperieren. Die Zentren für Lehrerbildung und die Hessische Lehrkräfteakademie entwickeln gemeinsam ein Spiralcurriculum, das die drei Phasen der Lehrerbildung inhaltlich vernetzt.

Die Zweite Phase: Das Referendariat

Die Dauer des Vorbereitungsdiensts von 21 Monaten soll beibehalten werden. Die modularisierte Struktur soll durch vier Stränge ersetzt werden, die die gesamte Ausbildung durchziehen: zwei fachdidaktische Stränge, einen allgemeinpädagogischen Strang sowie einen bewertungsfreien, auf Beratung und Reflexion der Berufsrolle zielenden Strang. In den beiden fachdidaktische Strängen und im allgemeinpädagogischen Strang finden in der ersten Hälfte der Ausbildung je zwei bewertungsfreie Unterrichtsbesuche statt. Der beratende Ausbilder oder die beratende Ausbilderin soll an drei dieser Besuche teilnehmen.

  • Es ist sicherzustellen, dass die beratenden Ausbilderinnen und Ausbilder eine Fortbildung in Coaching und Beratung erhalten, so wie es in Nordrhein-Westfalen im Zuge der Novellierung der Lehrerausbildung erfolgt ist.
  • Arbeitsfelder wie Diagnostik, individuelle Förderung, inklusive Pädagogik, sprachsensibler Unterricht, Lebens-, Arbeitswelt- und Studienorientierung, Demokratiepädagogik sowie interkulturelle und antirassistische und antisexistische sowie gendergerechte Bildung sind in die fachdidaktische und allgemeinpädagogische Ausbildung zu integrieren.
  • Im Vorbereitungsdienst muss Raum geschaffen werden für den Erwerb von Kompetenzen in multiprofessioneller Kooperation.
  • Die Hessische Lehrkräfteakademie (LA) als Ausbildungsbehörde entwickelt unter Beteiligung der Seminarleiterinnen, Seminarleiter, Ausbilderinnen und Ausbilder ein Kerncurriculum für den Vorbereitungsdienst, das gleiche Qualitätsmaßstäbe für die Ausbildung an allen Studienseminaren garantiert. Dieses Kerncurriculum baut auf den in der ersten Phase erworbenen Kenntnissen und Kompetenzen auf und zielt auf deren Weiterentwicklung im Hinblick auf Handlungsfähigkeit im Berufsfeld Schule.
  • Der Prozesscharakter der Ausbildung soll gestärkt werden; eine Bewertung der praktischen Unterrichtstätigkeit und der sonstigen Leistungen soll erst ab der zweiten Hälfte der Ausbildung stattfinden.
  • Nach der ersten Hälfte der Ausbildung soll eine Beratungskonferenz stattfinden, an welcher die drei zuständigen Ausbilderinnen und Ausbilder für die beiden Unterrichtsfächer und die allgemeinpädagogische Ausbildung teilnehmen: die beratenden, nicht bewertenden Ausbilderinnen und Ausbilder, ein Mitglied der Schulleitung und ein Mitglied der Seminarleitung. Mentorinnen und Mentoren sollen ebenfalls an dieser Beratungskonferenz teilnehmen.
  • Nach der zweiten Hälfte der Ausbildung werden die praktische Unterrichtstätigkeit und die schriftlichen, mündlichen und sonstigen Leistungen in den beiden Fachdidaktiken und der Allgemeinpädagogik bewertet.
  • Grundlage der Bewertung sind je zwei Unterrichtsbesuche in den beiden Fachdidaktiken und zwei im allgemeinpädagogischen Bereich im 2. Hauptsemester sowie je ein Unterrichtsbesuch in jedem der drei Stränge im Prüfungssemester. Die Unterrichtsbesuche können jeweils auch gekoppelt werden.
  • Während des Vorbereitungsdiensts finden keine Prüfungen statt, die bei Nichtbestehen zur Entlassung aus dem Vorbereitungsdienst führen.
  • In der Zweiten Staatsprüfung ist die Lehrkraft des Vertrauens Mitglied des Prüfungsausschusses und damit stimmberechtigt.
  • Studierende mit dem Lehramt für Sekundarschulen erhalten die Möglichkeit, ihren Vorbereitungsdienst am Studienseminar für Berufsbildende Schulen zu absolvieren. Wenn sie an einer Berufsbildenden Schule und an einem Studienseminar für berufsbildende Schulen ausgebildet werden, erwerben sie das Lehramt für Berufsbildende Schulen.

Die Berufseingangsphase

Viele Lehrkräfte sind nach ihrer Einstellung sehr hohen Belastungen ausgesetzt. Sie müssen neben der vollen Unterrichtsverpflichtung auch die gesamten Aufgaben einer Lehrkraft übernehmen (Klassenleitung, Arbeit in den schulischen Gremien, Mitarbeit an der Entwicklung der Schule) und sich in Kollegial- und Arbeitsstrukturen der Schule einarbeiten. Forschungen zur Entwicklung der Professionalität von Lehrerinnen und Lehrern haben festgestellt, dass die in der ersten und zweiten Phase der Lehrerausbildung erworbenen Qualifikationen unter dem Druck der Arbeitsbelastung in den ersten Berufsjahren teilweise wieder verloren gehen und nicht gezielt vertieft werden (können). Das geltende Lehrerbildungsgesetz erhebt in § 63 für das Lehramt an allgemeinbildenden Schulen den Anspruch, dass die Fortbildung in den ersten beiden Berufsjahren eine solche Vertiefung der erworbenen Qualifikation sicherstellen soll. Daher fordert die GEW die Einführung einer zweijährigen Berufseinstiegsphase, in der die Berufseinsteiger ihre in der Lehrerbildung erworbene Qualifikation vertiefen und ergänzen können. Wegen der Beanspruchung in der Berufseingangsphase und der Teilnahme an den oben genannten Fortbildungsveranstaltungen muss die Stundenverpflichtung in den ersten beiden Jahren gesenkt werden.

Forderungen zu Fortbildung

Der Staat hat die Verpflichtung, Fortbildung anzubieten, die sowohl der Schul- und Unterrichtsentwicklung als auch der Weiterentwicklung der beruflichen Qualifikation der Lehrkräfte mit allen ihren Facetten und unter Einbeziehung neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse dient. Finanzielle Mittel sind dafür bereitzustellen. Daher fordert die GEW, dass die Hessische Lehrkräfteakademie ein Programm entwickelt, das neben den – bisher fehlenden – didaktischen, fachdidaktischen und unterrichtspraktischen Themen auch Möglichkeiten bietet, sich mit den Entwicklungen im Bildungswesen, in der Gesellschaft insgesamt und in der Erziehungswissenschaft kritisch auseinanderzusetzen und Schulentwicklung in diesem Kontext zu analysieren. Wichtige Schwerpunkte künftiger Fortbildung müssen die Didaktik und Methodik inklusiven Unterrichts in multiprofessionellen Teams, inklusive Schulentwicklung, interkulturelle und antirassistische Pädagogik sowie sprachsensibler Unterricht darstellen.

Fortbildungen müssen kostenfrei sein und können nicht neben oder nach dem Unterricht zusätzlich stattfinden.
Lehrerinnen und Lehrer müssen bei der Programmentwicklung der Lehrkräfteakademie beteiligt werden, denn nur so können ihre Professionalisierungsbedürfnisse angemessen berücksichtigt werden. Die Fortbildung braucht eine regionale Ebene, die sowohl Fortbildungsangebote organisiert als auch nach dem Bedarf von Lehrkräften, sozialpädagogischen Fachkräften und Schulen Unterstützungsangebote bereitstellt. Zudem müssen Fortbildungsstätten wie die Reinhardswaldschule wieder stärker für die Lehrkräftefortbildung genutzt werden können.

Auf dem Hintergrund dieser Forderungen sollte das Lehrerbildungsgesetz in folgenden Punkten geändert werden:
In § 3 Abs. 2 muss neben der Pflicht der Lehrkräfte zur Fortbildung auch das Recht auf Fortbildung verankert werden. § 4 erwähnt die Staatlichen Schulämter nicht mehr ausdrücklich als Trägereinrichtungen der Lehrerbildung. Dies sollte revidiert werden, so dass sie in ihrem Zuständigkeitsbereich den Fortbildungsbedarf von Schulen und Lehrkräften erheben, in ihren Regionen Fortbildungsmaßnahmen anbieten und der Lehrkräfteakademie landesweite Fortbildungs- und Qualifizierungsmaßnahmen vorschlagen. Ansonsten müssten an ihrer Stelle andere regionale Institutionen geschaffen werden (Regionalstellen, „Kompetenzzentren“), die für die regionale Fortbildung verantwortlich sind.

Die Schulleitungen beziehen nach § 4 Abs.4 HLbG „die schulischen Fortbildungspläne und die individuellen Fort- und Weiterbildungswünsche sowie die Portfolios der Lehrerinnen und Lehrer (…) in die Jahresgespräche ein und schließen mit ihnen Zielvereinbarungen über die Teilnahme an Qualifizierungsmaßnahmen oder die Schwerpunktsetzungen für Fortbildung ab“. Da es im Schulbereich keine verpflichtenden Jahresgespräche gibt, ist diese Vorschrift zu streichen. Stattdessen muss ergänzt werden, dass die Schulleitungen die Wünsche der Fachschaften und die individuellen Fort- und Weiterbildungswünsche der Lehrkräfte in die schulischen Fortbildungspläne einbeziehen.

Forderungen zur Weiterbildung

§ 3 Abs. 3 HLbG und § 77 Abs.  1 HLbGDV bieten die Möglichkeit der Weiterbildung mit dem Ziel des Erwerbs der Lehrbefähigung in einem weiteren Fach oder des Erwerbs eines zusätzlichen Lehramts, aber auch der Qualifizierung für besondere Berufsgruppen ohne Befähigung für ein Lehramt. 

Die Möglichkeit zum Erwerb eines zusätzlichen Lehramts ist auf den Erwerb der Lehrbefähigung für das Lehramt an Gymnasien auszuweiten, solange es noch kein Sekundarschullehramt gibt. Des Weiteren muss die in § 77 Abs.1 Nr. 4 eröffnete Möglichkeit, Berufsgruppen ohne Befähigung für das Lehramt zu qualifizieren, besonders für die an den Berufsbildenden Schulen unterrichtenden Kolleginnen und Kollegen ohne Lehramtsabschluss eröffnet werden.

Lehrerbildung braucht Ressourcen

Eine qualifizierte Lehrerbildung benötigt Ressourcen. Auch wenn diese nicht im Gesetz festgeschrieben werden, wiederholt die GEW ihre aktuelle Forderung nach auskömmlichen Ressourcen:

  • auskömmliche Ausstattung während der ersten und zweiten Phase der Lehrerausbildung
  • Anrechnungsstunden für Mentorinnen und Mentoren zur Teilnahme an Qualifizierungsmaßnahmen und für ihre Ausbildungsarbeit in der ersten und zweiten Phase
  • Reduzierung der Zahl der Anrechnungsstunden der Lehrkräfte im Vorbereitungsdienst an den Schulen, um mehr Ausbildungsunterricht statt bedarfsdeckendem Unterricht zu ermöglichen
  • Anrechnungsstunden für die Teilnahme an Veranstaltungen der Berufseingangsphase
  • Ressourcen für die Hessische Lehrkräfteakademie zum Aufbau eines breiten Angebots an Lehrerfort- und -weiterbildung
  • Erweiterung des Angebots der Weiterbildung, z.B. zum Erwerb sonderpädagogischer Befähigung oder für an Berufsbildenden Schulen tätige Kolleginnen und Kollegen mit Hochschulabschluss zum Erwerb des Lehramts für Berufsbildende Schulen.
  • finanzielle Ressourcen für den Ausbau der Fortbildung für Lehrkräfte und pädagogische Fachkräfte
  • deutliche Erhöhung des Fortbildungsbudgets der Schulen nach vielen Jahren der Stagnation

 


Franziska Conrad leitet zusammen mit Heike Lühmann und Andrea Gergen das Referat Aus- und Fortbildung im GEW-Landesvorstand. Die Thesen entstanden als Beitrag für das „Zukunftsforum Lehrerbildung“ der GEW, in dem Franziska Conrad die GEW Hessen vertritt.