Dauerbaustelle Lehrerbildung

Kommentar von Andrea Gergen und Christina Nickel

HLZ 3/2020: Welche Ausbildung brauchen Lehrkräfte?

Ob die Arbeit auf der hessischen „Baustelle Lehrerbildung“ in Bewegung kommt oder am Ende eine „Dauerbaustelle“ droht, steht in den Sternen. Das Kultusministerium will die Ausbildung der Lehrerinnen und Lehrer durch eine Novellierung des Hessischen Lehrerbildungsgesetzes (HLbG) bis Ende 2020 auf neue Füße stellen. Gern wird in diesem Zusammenhang auf das Bild der Dauerbaustelle zurückgegriffen. Wieso eigentlich? Und warum fällt uns gleich der Berliner Großflughafen ein? Eine Antwort gibt der folgende aktuelle Bericht des Deutschlandfunks:

„Für die Fertigstellung wird mehr Zeit gebraucht, als ursprünglich vorgesehen war. (...) Irgendwo müssen Bauarbeiter die Kabelschächte sanieren, doch es ist niemand zu sehen. Auf den Bahnsteigen des unterirdischen Flughafenbahnhofs fährt ab und zu eine leere S-Bahn vorbei, um die Schächte zu belüften. Plötzlich Alarm. Der Flughafensprecher beruhigt, das sei nur ein Test. Bislang hätte es nämlich Probleme mit Lautstärke und Verständlichkeit der Warnhinweise gegeben. (…) Der Aufsichtsratsvorsitzende sagt: ‚Ich halte die Eröffnung im Herbst 2020 für unwahrscheinlich. Aber nicht für unmöglich.‘“

Die Parallelen zur Reform der Lehrerbildung in Hessen liegen auf der Hand. Ihre Sanierung wird schon lange verschleppt, eine Fertigstellung ist nicht in Sicht. Der Gesetzentwurf der SPD vom August 2019 wurde als Warnhinweis offenbar nicht laut genug geäußert oder einfach nicht gehört. Die Lehrerbildung läuft dem Stand der digitalen Entwicklung und den Schülerzahlen hinterher. Für eine umfassende Reform, die auch die Lehrerfortbildung und die angemessene Qualifizierung von Quer- und Seiteneinsteigern umfasst, steht in Hessen kein Geld zur Verfügung. Die GEW hält es inzwischen „für unwahrscheinlich“, dass die schwarz-grüne Koalition ihren Zeitplan einhalten kann, bis zum Herbst 2020 über die Novellierung zu beschließen und die Lehrerbildung den aktuellen Anforderungen anzupassen.

2014 startete die „Qualitätsoffensive Lehrerbildung“, für die Bund und Länder bis 2023 bundesweit 500 Millionen Euro bereitstellen. Ewald Terhart formulierte damals in einem Beitrag unter dem Titel „Dauerbaustelle Lehrerbildung“ die Forderung, alle drei Phasen der Lehrerbildung auszubauen. Als vordringlich erachtete er ein verbindliches System der Lehrerweiterbildung als „Lernen im Beruf“ (Pädagogik 6/2014). Dies habe allerdings seinen Preis, und man müsse bereit sein, ihn zu bezahlen. Angesichts der zunehmenden Zahl von Quereinsteigerinnen und Quereinsteigern im hessischen Schuldienst und des enormen Qualifizierungsbedarfs, der Qualität sichert und den Kolleginnen und Kollegen zugleich dauerhafte berufliche Perspektiven eröffnet, ist die Forderung von Terhart dringlicher denn je (HLZ S.14).

Die HLZ-Redaktion und die Verantwortlichen für das Schwerpunktthema haben sich dennoch gegen das Baustellenmotiv entschieden und für das Titelbild das Verhältnis zwischen Theorie und Praxis gewählt. Auch das ist eine Leitfrage der Lehrerbildung, weil die drei Ausbildungsphasen in Hessen als wenig verzahnt wahrgenommen werden. Das gilt sowohl für die Erprobung des Praxissemesters ohne Rückkopplung mit den Inhalten des Vorbereitungsdiensts als auch für die Modularisierung der 2. Phase und den enormen Bewertungsdruck ohne Rückgriff auf die Erfahrungen in den Praxisphasen im Studium.

In allen Ausbildungsphasen wird zudem die fehlende Integration weiterer Querschnittsthemen bemängelt, die in der Praxis schon lange von Unterrichtenden verlangt werden. Die Arbeit in multiprofessionellen Teams sei hier als Beispiel genannt.
Vor diesem Hintergrund laden wir alle interessierten GEW-Mitglieder und Vertreterinnen und Vertreter aller Phasen der hessischen Lehrerbildung für den 22. April 2020 zu einem Werkstattgespräch zur Lehrerbildung in die GEW-Geschäftsstelle in Frankfurt ein, um gemeinsame Positionen und Erwartungen an ein neues Lehrerbildungsgesetz für Hessen zu formulieren (HLZ S.2).

Andrea Gergen und Christina Nickel,
Referat Aus- und Fortbildung im GEW-Landesvorstand