Ante portas: Novellierung des HLbG

Beschlüsse der GEW Hessen zur Aus- und Fortbildung

HLZ 3/2020: Welche Ausbildung brauchen Lehrkräfte?

Im Ende 2018 unterzeichneten zweiten schwarz-grünen Koalitionsvertrag ist zu lesen, dass die Koalition bis zur Mitte der Legislaturperiode eine Novelle des Lehrerbildungsgesetzes (HLbG) auf den Weg bringen will. Damit reagiert sie auf Defizite der Ausbildung der Lehrerinnen und Lehrer, die die GEW seit der Verabschiedung des HLbG im Jahre 2004 kritisiert. Damals wurde u.a. der modularisierte Vorbereitungsdienst eingeführt, der die ganzheitliche Profession der Lehrerinnen und Lehrer tayloristisch in einzelne Bereiche wie Erziehen, Unterrichten, Diagnostizieren, Methoden auseinanderdividierte. Der damalige Leiter des AfL, Frank Sauerland, begründete die Strukturreform in einem Interview mit der HLZ (Heft 9/2007) mit der Notwendigkeit der „Bologna-Kompatibilität der Zweiten Phase“, obwohl die anderen Bundesländer trotz Bologna-Prozess den Vorbereitungsdienst in nichtmodularisierter Form erhielten. Trotz einiger positiver Veränderungen aufgrund der Novellierung des HLbG im Jahr 2011 besteht weiterhin dringender Handlungsbedarf, um angehende Lehrerinnen und Lehrer auf eine sich rasch wandelnde Schule in einer sich rasant verändernden Gesellschaft vorzubereiten.

Was steht im Koalitionsvertrag?

Diese Einsicht hat sich auch bei CDU und Grünen durchgesetzt. Ihre im Koalitionsvertrag formulierten Ziele klingen gar nicht so übel: „Die Qualität von Schule und Unterricht entsteht im Klassenzimmer. Dies setzt bestmöglich qualifizierte Menschen voraus, die mit unseren Schülerinnen und Schülern arbeiten. Dabei ist die Lehrerbildung der Dreh- und Angelpunkt, um die Qualität an unseren Schulen weiter zu sichern und zu optimieren. Wir werden daher alle drei Phasen der Lehrerbildung weiterentwickeln. Ziel ist eine Lehrerbildung aus einem Guss, die die aktuell in der Bildungspolitik relevanten Themen wie die Integration von Schülerinnen und Schülern nicht-deutscher Herkunftssprache, Inklusion, Medienbildung und Digitalisierung, Lesen-Schreiben-Rechnen, sozialpädagogische Förderung, berufliche Orientierung sowie Ganztag stärker aufgreift. (…) Mit der Novelle wollen wir auch die Praxisorientierung im Studium weiter stärken. Dazu wollen wir u.a. eine frühe Praxisphase zu Beginn und eine längere Praxisphase im späteren Verlauf verankern. Studierenden sollen auch schon in der ersten Hälfte des Studiums eigene Unterrichtsversuche ermöglicht werden. Auf der Grundlage der Ergebnisse der Evaluation wollen wir das Praxissemester in den Regelbetrieb überführen. Wir wollen die in der Lehrerbildung tätigen Institutionen (Universitäten, Studienseminare, Schulen, Lehrkräfteakademie) enger vernetzen. An der Staatsprüfung als Abschluss der 1. Phase der Lehrkräfteausbildung halten wir fest. Dabei befürworten wir die Einführung von zentralen Aufgabenstellungen. Auch das 21-monatige Referendariat werden wir beibehalten. In Zusammenhang mit der Novellierung des Lehrerbildungsgesetzes werden wir auch prüfen, ob eine zeitliche Ausweitung des bislang 6-semestrigen Lehramtsstudiums für Grundschule erforderlich ist.“

Positionen der GEW für ein neues HLbG

Die GEW hat die gegenwärtige Praxis der Aus- und Fortbildung von Lehrerinnen und Lehrern differenziert analysiert, Schwachpunkte aufgedeckt und Reformperspektiven entwickelt (1). Auch die im Rahmen des bundesweiten Zukunftsforums Lehrerbildung der GEW entwickelten „Leitlinien für eine innovative Lehrer_innenbildung“ (2) flossen in die Vorschläge der hessischen GEW ein. Im Folgenden werden einzelne für die GEW unabdingbare Eckpunkte einer zukünftigen Reform dargestellt.

Erste Phase: Das Lehramtsstudium

  • Um Lehrkräfte umfassend fachlich, fachdidaktisch und erzieherisch vorzubereiten, soll die Zahl der Lehramtsstudiengänge auf vier Typen reduziert werden: das Lehramt für die Grundschulen (Klassen 1 bis 6), das Lehramt für Sekundarschulen (Klassen 5 bis 13), das Lehramt an Förderschulen und das Lehramt an Berufsbildenden Schulen. Mit der Schaffung eines einheitlichen Lehramts für Sekundarschulen soll sichergestellt werden, dass alle Studierenden hinreichende Kenntnisse in den Fachwissenschaften, Fachdidaktiken und Bildungswissenschaften erwerben, um alle Schülerinnen und Schüler optimal zu fördern und auf den bestmöglichsten Bildungsabschluss vorzubereiten.
  • Die Studiendauer für alle vier Lehrämter soll zehn Semester Mindeststudienzeit betragen, da die zu erwerbenden Kompetenzen und Kenntnisse in allen Lehrämtern gleich umfangreich sind. Alle Lehrämter müssen konsequenterweise mit der Eingangsstufe A 13 besoldet werden.
  • Die Entscheidung zur Einführung und Ausgestaltung eines Praxissemesters im Hauptstudium des Lehramtsstudiums soll an die Ergebnisse der Evaluationen der Erprobung des Praxissemesters an den Universitäten Gießen, Frankfurt und Kassel gekoppelt werden.
  • Inklusive Pädagogik, antisexistische und antirassistische Pädagogik sowie Umgang mit Heterogenität und Diversity, Deutsch als Zweitsprache (DaZ), Deutsch als Fremdsprache (DaF), Literalität im Mehrsprachigkeitskontext, Sprachförderung im Fachunterricht sowie Demokratiepädagogik und Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) sind als Querschnittsthemen in das Lehramtsstudium zu integrieren.
  • Die Kooperation der Träger der verschiedenen Phasen der Lehrerbildung ist zu konkretisieren, z.B. im Hinblick auf die gemeinsame Planung, Durchführung und Auswertung der Praxisphasen im Studium. Koordinationsinstanz für das Lehramtsstudium und die Kooperation mit den übrigen Phasen der Lehrerbildung sind die „Zentren für Lehrerbildung“ an den Universitäten. Dort sind Kooperationsräte einzurichten, an denen alle an der Lehrerbildung beteiligten Institutionen (Universitäten, Studienseminare und Schulen) kooperieren. Die Zentren für Lehrerbildung und die Hessische Lehrkräfteakademie entwickeln gemeinsam ein Spiralcurriculum, das die drei Phasen der Lehrerbildung inhaltlich vernetzt.


Zweite Phase: Das Referendariat

Die Dauer des Vorbereitungsdiensts von 21 Monaten soll beibehalten werden. Die modularisierte Struktur soll durch vier Stränge ersetzt werden, die die gesamte Ausbildung durchziehen - zwei fachdidaktische Stränge, einen allgemeinpädagogischen Strang sowie einen bewertungsfreien, auf Beratung und Reflexion der Berufsrolle zielenden Strang. In den beiden fachdidaktischen Strängen und im allgemeinpädagogischen Strang finden in der ersten Hälfte der Ausbildung je zwei bewertungsfreie Unterrichtsbesuche statt.

  • Arbeitsfelder wie Diagnostik, individuelle Förderung, inklusive Pädagogik, sprachsensibler Unterricht, Lebens-, Arbeitswelt- und Studienorientierung, Demokratiepädagogik, Bildung für nachhaltige Entwicklung, interkulturelle und antirassistische und antisexistische sowie gendergerechte Bildung sind in die fachdidaktische und allgemeinpädagogische Ausbildung zu integrieren.
  • Im Vorbereitungsdienst muss Raum geschaffen werden für den Erwerb von Kompetenzen in multiprofessioneller Kooperation.
  • Der Prozesscharakter der Ausbildung soll gestärkt werden; eine Bewertung der praktischen Unterrichtstätigkeit und der sonstigen Leistungen soll erst ab der zweiten Hälfte der Ausbildung stattfinden.
  • Nach der ersten Hälfte der Ausbildung soll eine Beratungskonferenz stattfinden, an der die drei zuständigen Ausbilderinnen und Ausbilder für die beiden Unterrichtsfächer und die allgemeinpädagogische Ausbildung, die beratenden, nicht bewertenden Ausbilderinnen und Ausbilder, ein Mitglied der Schulleitung, ein Mitglied der Seminarleitung sowie die Mentorinnen und Mentoren teilnehmen.
  • Während des Vorbereitungsdiensts finden keine Prüfungen statt, die bei Nichtbestehen zur Entlassung aus dem Vorbereitungsdienst führen.
  • In der Zweiten Staatsprüfung ist die Lehrkraft des Vertrauens stimmberechtigtes Mitglied des Prüfungsausschusses.
  • Studierende mit dem Lehramt für Sekundarschulen erhalten die Möglichkeit, ihren Vorbereitungsdienst am Studienseminar für Berufsbildende Schulen zu absolvieren und dann bei entsprechender Ausbildung auch das Lehramt für Berufsbildende Schulen zu erwerben.


Berufseingangsphase

Viele Lehrkräfte sind nach ihrer Einstellung sehr hohen Belastungen ausgesetzt. Sie müssen neben der vollen Unterrichtsverpflichtung alle Aufgaben einer Lehrkraft übernehmen und sich in Kollegial- und Arbeitsstrukturen der Schule einarbeiten. Unter dem Druck der Arbeitsbelastung können in der ersten und zweiten Phase erworbene Qualifikationen teilweise wieder verloren gehen. Daher fordert die GEW die Einführung einer zweijährigen Berufseinstiegsphase, in der die Berufseinsteiger ihre in der Lehrerbildung erworbene Qualifikation vertiefen und ergänzen können. Angesichts der Beanspruchung in der Berufseingangsphase ist dies nur mit einer reduzierten Stundenverpflichtung in den ersten beiden Jahren möglich.

Dritte Phase: Die Fortbildung

Der Staat hat die Verpflichtung, Fortbildung anzubieten, die sowohl der Schul- und Unterrichtsentwicklung als auch der Weiterentwicklung der beruflichen Qualifikation der Lehrkräfte mit allen ihren Facetten und unter Einbeziehung neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse dient. Finanzielle Mittel sind dafür bereitzustellen. Daher fordert die GEW, dass die Hessische Lehrkräfteakademie ein Programm entwickelt, das neben den bisher fehlenden fachlichen, didaktischen, fachdidaktischen und unterrichtspraktischen Themen auch Möglichkeiten bietet, sich mit den Entwicklungen im Bildungswesen, in der Gesellschaft insgesamt und in der Erziehungswissenschaft kritisch auseinanderzusetzen und Schulentwicklung in diesem Kontext zu analysieren. Die Didaktik und Methodik inklusiven Unterrichts in multiprofessionellen Teams, inklusive Schulentwicklung, interkulturelle und antirassistische Pädagogik, sprachsensibler Unterricht und Bildung für nachhaltige Entwicklung müssen besondere Schwerpunkte darstellen.

Chancen auf Veränderung?

Mündliche Verlautbarungen aus dem HKM lassen befürchten, dass es zu keiner Strukturveränderung in der zweiten Phase kommt. Der Bewertungsmarathon und die Fragmentierung von Unterricht in einzelne Bewertungsdimensionen würden so erhalten bleiben. Die kritische Evaluation der Erprobung des Praxissemesters lässt dagegen einige Veränderungen im Lehramtsstudium erwarten. Man wird gespannt sein, wie die im Koalitionsvertrag benannten Ziele der Verstärkung des Praxisbezugs in der Ausbildung sowie der Vernetzung aller an der Lehrerbildung beteiligten Institutionen realisiert werden. Entscheidend für die Beurteilung der Novellierung wird auch sein, wie die Implementierung der im Koalitionsvertrag genannten Themen gelingen wird.

Dr. Franziska Conrad
Franziska Conrad war bis zu ihrer Pensionierung Leiterin des Studienseminars für Gymnasien in Darmstadt und Mitglied der Leitung des Referats Aus- und Fortbildung im Landesvorstand der GEW Hessen. Außerdem vertrat sie die GEW Hessen im Zukunftsforum Lehrer_innenbildung.


(1) Die wichtigsten Beschlüsse der GEW zur Lehrerbildung findet man auf der Homepage der GEW Hessen unter Bildung > Referat Aus- und Fortbildung.
(2) Download: www.gew.de/lehrer-innenbildung/zukunftsforum-lehrer-innenbildung