Open Source-Produkte, die in der Regel nicht von echter Freier Software unterschieden werden können, gelten auch in den GEW-Diskussionen oft per se als erstrebenswerte Alternative zu den kommerziellen Angeboten der Digitalgiganten. Harald Vajkonny ist Hochschuldozent und Direktor des Vereins Frankfurt Free Software and Culture Institute und seit den 80er Jahren mit allen Fragen der Programmierung befasst. Er hinterfragt im folgenden Beitrag einige weit verbreitete Mythen über Open Source.
Um sich eine differenzierte Meinung bilden zu können, ist es notwendig, zu verstehen, warum wir eigentlich den Einsatz
von Freier Software fordern. An dieser Stelle möchte ich mich jedoch darauf beschränken, mit ein paar Mythen über
Open Source aufzuräumen:
Mythos 1: „Open Source-Software wird von enthusiastischen Amateuren unbezahlt in ihrer Freizeit entwickelt - so wie bei Wikipedia.“
Nein, das ist so nicht richtig. Open Source-Software wird von professionellen Softwareingenieuren entwickelt, die weltweit
zumeist für ein gutes Honorar arbeiten, mit dem Auftrag, Open Source-Software zu entwickeln. Sie arbeiten unter
anderem
- für Hochschulen und Forschungseinrichtungen,
- für IT-Firmen wie Google, IBM, Oracle oder Apple, die bewusst auf das Open Source-Modell setzen, um so eine schnellere Standardisierung zu erreichen,
- für gemeinnützige Stiftungen wie die Mozilla Foundation, die speziell dafür geschaffen wurden, eine erfolgreiche Open Source-Software weiterzuentwickeln,
- für kleine mittelständische Unternehmen, die sich die weltweite Verfolgung von Urheberrechtsverletzungen nicht leisten können und trotzdem wollen, dass ihr Produkt schnell verbreitet wird, wenn es Open Source verfügbar ist. Gewinn erwirtschaften diese Firmen dann nicht durch Software-Lizenzen, sondern unter anderem über Administration, Schulung und Support.
Mythos 2: „Open Source-Software ist nicht kommerziell. Der Einsatz pro Open Source ist ein Einsatz contra Kapitalismus.“
Nein, Open Source-Software ist auch kommerziell, aber es wird anders gewirtschaftet. Der Gegenbegriff zu Open Source
ist nicht „kommerziell“, sondern „proprietär“. Proprietäre Geschäftsmodelle fassen Software als unverkäufliche „immaterielle
Ware“ auf, deren Nutzung sie gegen Gebühr gestatten. Open Source-Unternehmen sehen Softwareentwicklung
als eine Dienstleistung an, wobei das Ergebnis oder ein Nebenprodukt davon dann in öffentlichen Allgemeinbesitz
übergeht. Zum besseren Verständnis hier ein Vergleich: Ein proprietärer Friseur betrachtet eine Frisur als geistiges Eigentum
und gestattet die Nutzung gegen Gebühr nur auf Zeit. Er darf vorschreiben, wie sie gezeigt oder verändert wird. Bei
einem Open Source-Friseur bezahlt man einmalig. Was danach mit der Frisur passiert, ist egal.
Die Gründe, warum Unternehmen den Open Source-Ansatz wählen, sind vielfältig:
- Das Unternehmen arbeitet primär durch Erbringung einer Dienstleistung, zum Beispiel im Bereich der Webentwicklung.
- Die eingesetzte Software ist nur Hilfsmittel am Rande. Die kostenlose Verbreitung der Software dient unter anderem der Herstellung einer Nachfrage nach Fachkräften und bildet so einen Markt für diese Dienstleistung, so wie das unter anderem bei TYPO3 oder Wordpress der Fall ist.
- Das Unternehmen will eine schnelle Verbreitung seiner Software, um eine daran geknüpfte Dienstleistung oder Hardware verkaufen zu können. Ein besonders bekanntes Beispiel ist das Betriebssystem Android.
- Die Software entstand im Rahmen der Wissenschaft und gehört nun – wie das Textverarbeitungssystem LaTeX – der Allgemeinheit.
- Die Software wird freigegeben, damit andere Akteure Schnittstellen rasch herstellen können, ohne technische und juristische Informationen einholen zu müssen. Ein Beispiel ist die Datenbank-Software MySQL.
- Die Software stammt aus der Konkursmasse einer Firma. Die Rechte daran wurden an eine Stiftung transferiert, um die Arbeitsplätze der Entwickler und das Know-How – wie bei dem 3D-Animationspogramm Blender – nicht zu verlieren.
- Der Ideengeber hat nicht das notwendige Kapital oder die Kompetenz, um ein Unternehmen zu gründen, und spendet sie daher der Allgemeinheit.
Mythos 3: „Durch den Einsatz von Open Source-Software ist der Datenschutz gewährleistet.“
Der Datenschutz ist nur gewährleistet, wenn die Software nicht nur quelloffen ist (Open Source), sondern auch noch frei ist (Free Software). Dabei ist Free Software nicht mit kostenloser Freeware zu verwechseln. So ist Android als Open Source-Produkt komplett quelloffen, d. h. jeder kann die Funktionsweise dieses Betriebssystems studieren und feststellen, dass persönliche Daten weitergesendet werden oder dass das Gerät unbemerkt ferngesteuert werden kann. Um Free Software zu sein, müsste es auch noch möglich sein, den Code selbst zu verändern und auf das Gerät zurückzuspielen.
Durch einen fest verbauten Chip auf dem Smartphone wird aber geprüft, ob es sich um eine von Android freigegebene
Version handelt, sonst nimmt das Gerät die Software nicht an. Das Betriebssystem Android ist also Open Source, aber keine Free Software.
Open Source ist eine notwendige, aber keine hinreichende Voraussetzung für den Schutz persönlicher Daten! Nur der
Einsatz von Free Software erlaubt es, Eingriffe in die Datensouveränität zu unterbinden oder durch Entwicklungsaufträge
unterbinden zu lassen. Für alle Nutzer von Software ist es daher wichtig zu verstehen, was sich hinter den Begriffen
Open Source und Free Software verbirgt. Diese differenzierte Diskussion sollte auch als Bildungsauftrag aufgegriffen
und vertieft werden.
Harald Vajkonny
Hintergrundfoto: Markus Spiske on Unsplash