Wo sind die Konzepte?

Eltern und Beschäftigte sitzen in einem Boot

HLZ 4/2021: Personalratswahlen

Die aktuelle Situation in den Bildungseinrichtungen betrifft alle gleichermaßen hart: die Eltern, die Beschäftigten und am meisten wohl die Kinder selbst. Die Kultusministerkonferenz, aber auch die Landesregierung mit ihrer eigenwilligen Umsetzung der Regelungen zur Pandemiebekämpfung im Bildungsbereich haben die Lebens- und Arbeitsrealität der Familien, die aus einer Extremsituation irgendwie das Beste machen müssen, vollständig aus den Augen verloren.

Eltern werden alleine gelassen

Kurz vor den Weihnachtsferien appellierte die Landesregierung an die Eltern von Kita- und Schulkindern bis Klasse 7, diese möglichst zuhause zu behalten. Viele Eltern hätten das gern getan, wurden aber von Bund und Land kaum unterstützt. Die zusätzlichen Kindkranktage (insgesamt 20 Arbeitstage pro Kind, maximal 40 Tage, für Alleinerziehende 40 Tage, maximal 90 Tage) wurden so langsam umgesetzt, dass man kaum daran denken konnte, diese in Anspruch zu nehmen. Denn viele Arbeitgeber lehnten sich zurück und sahen keinen rechtlichen Rahmen, diese Kinderkranktage schon vor der rechtlichen Umsetzung zu gewähren. Eine rechtssichere Übertragung des erweiterten Anspruchs auf Beamtinnen und Beamte lässt bis heute auf sich warten, so dass die Lehrkräfte auf den guten Willen der Schulleitung angewiesen sind. 

Die Regelung zur Aussetzung der Präsenzpflicht für die Klassen 1 bis 6 galt bis zum 19. Februar, seitdem wird dort ein Wechselunterricht angeboten. Entspannung für die Eltern: Fehlanzeige! Auch für die Notbetreuung, wenn es sie überhaupt gibt, gilt der dringende Appell, die Kinder möglichst nur an den Präsenztagen in die Schulen zu schicken und ansonsten zuhause zu betreuen. 

Eltern sollen also weiter Erwerbsarbeit und Carearbeit unter einen Hut bekommen und ein Ende ist nicht in Sicht. Sie werden mit drängenden Fragen allein gelassen: Wie lange braucht die Krankenkasse eigentlich, um die Tage zu erstatten? Und was passiert eigentlich, wenn ich jetzt alle Kindkranktage nehme und damit vielleicht bis Ostern mit den Kindern zuhause bleiben kann und die Kinder dann aber im Herbst tatsächlich krank werden?

Die Folgen waren schon in der Phase bis zur Aufnahme des Wechselunterrichts offenkundig: Immer mehr Eltern waren gezwungen, ihre Kinder in die Kita und in die Schule zu schicken. In einzelnen Gruppen und Klassen waren bis zu 70 Prozent der Kinder vor Ort. Gleichzeitig gelten im öffentlichen Raum weiterhin auch für Kinder Abstandsregeln, die das gemeinsam Spielen quasi unterbinden. Die Kontaktreduzierung findet also weiter nur im privaten Raum statt. Damit tragen Familien, Haushalte und Privatpersonen die meiste Last, denn im Arbeitskontext bleiben Produktionsstätten geöffnet. Auch im öffentlichen Dienst verweigern Arbeitgeber das Homeoffice, selbst dort, wo es möglich wäre! 

Wenn es in der öffentlichen Diskussion um Schule und Kita geht, dann geht es nur selten um Räume ganzheitlicher Bildung, die auch emotionale und soziale Bildung einschließt, sondern um Wissensvermittlung. Dies ist der tiefere Grund für den Unwillen der KMK, etwas an Lehrplänen zu ändern oder die Lehrformen und -inhalte an die Pandemie anzupassen. Gerade jetzt in der Krise sind Anpassungsfähigkeit und Resilienz gefordert, doch was die Kinder vielerorts gezeigt bekommen, ist formaler Starrsinn. Offensichtlich werden Schulen und Kitas vorrangig als Einrichtungen für die Aufbewahrung von Kindern gesehen, damit die Erwachsenen ihre Arbeitskraft in den Dienst der Wirtschaft stellen können. Aber das ist nicht das Bildungsverständnis einer Bildungsgewerkschaft: Bildung ist mehr als ein formeller Abschluss!

Zudem wird ein mühsamen entwickelter gesellschaftlicher Konsens gebrochen: Die politischen Initiativen der letzten Jahre waren darauf ausgerichtet, dass sich Eltern, die in Deutschland einer Erwerbsarbeit nachgehen, auf Betreuung und Bildung in Kitas und Schule verlassen können. Dafür wurde in den letzten Jahren viel Geld investiert: in den Ausbau von Betreuungskapazitäten, in den Rechtsanspruch auf eine Betreuung auch für Kinder unter drei Jahren und in den Ausbau von Ganztagsschulen. Das waren immer auch frauenpolitische Maßnahmen, damit Frauen einer Erwerbsarbeit nachgehen können. Jetzt in der Pandemie wird das stillschweigend in Frage gestellt: Wenn es so einfach ist, Kinder im Homeoffice zu betreuen, warum brauchen wir dann überhaupt Kitas? Und wie schnell gewöhnen sich die Arbeitgeber daran, dass es doch auch mit Kind zu Hause geht? 

Frauenpolitisches Rollback

Dieses Rollback führt zu einer Entgrenzung von Lohn- und Sorgearbeit und geht vor allem zu Lasten von Frauen, die die Krise auffangen und langfristige Einschnitte in ihrer beruflichen Laufbahn in Kauf nehmen sollen. Von einer tatsächlichen Gleichstellung der Geschlechter sind wir noch weit entfernt!

Dazu kommt die Abwertung der Bildungsberufe. Seit Jahrzehnten kämpfen wir dafür, dass Kitas und Schulen nicht nur Aufbewahrungsanstalten sind. Es geht um Bildung, frühkindliche Bildung, soziales Lernen und, ja, auch um Fachwissen! Jetzt so zu tun, als könnten Eltern das im Vorbeigehen am Küchentisch leisten, ist eine Dequalifizierung der Arbeit, die die Beschäftigten in den Bildungseinrichtungen leisten! 

In den Schulen werden Lehrkräfte als eierlegende Wollmilchsäue sehenden Auges in den Burnout getrieben: Sie sollen Präsenzunterricht, Wechselunterricht, Online-Unterricht und Notbetreuung parallel stemmen, Prüfungen vorbereiten und abnehmen, bei Eltern und Kindern, die Unterstützung brauchen, nachhaken – und sich gegebenenfalls auch noch um ihre eigenen Kinder kümmern. 

Gleichzeitig haben die Lehrkräfte wie die Erzieherinnen und Erzieher in den Kitas große Angst, an dem Virus zu erkranken und eigene Kinder oder Eltern anzustecken. Denn es ist klar: Wer Kindern beim Essen helfen oder Windeln wechseln soll, kann keinen Abstand halten.

Es ist erschütternd: Nach einem Jahr Pandemie schafft es die Politik nicht, mehr als Appelle an Eltern und ein paar zusätzliche Kinderkranktage zu verkünden! Wo sind die Konzepte? Schulen und Kitas haben viele Anregungen gegeben, was sie brauchen, um Kinder durch die Pandemie zu begleiten. Die Gewerkschaften sagen laut, was getan werden muss, um den Gesundheitsschutz für die Beschäftigten zu erhöhen. Wann setzt sich die Politik ernsthaft mit diesen Ideen auseinander? Und wann nimmt sie den Zwiespalt, in dem sich Eltern befinden, wirklich wahr? Ein paar warme Worte reichen nicht aus. Die Eltern und die Beschäftigten in den Bildungseinrichtungen sitzen in einem Boot. Was sie eint, ist die traurige Tatsache, dass beide Gruppen weder wahrgenommen noch ernstgenommen und wertgeschätzt werden. 


Dr. Isabel Carqueville, Dr. Simone Claar
Dr. Isabel Carqueville ist Referentin für Sozialpädagogik und Weiterbildung bei der GEW Hessen. Dr. Simone Claar ist Nachwuchsgruppenleiterin an der Universität Kassel und ehrenamtlich im Referat Hochschule und Forschung der GEW Hessen tätig.