Wir begrüßen ausdrücklich, dass der Kinder- und Jugendschutz die „höchste Priorität“ für die Koalition hat und sie diesen sicherstellen und verbessern will. Das ist seit vielen Jahren dringend nötig, da es für die Institutionen der Sozialen Arbeit und deren Fachkräfte immer schwieriger wird, diesen Schutz tatsächlich zu gewährleisten. Die Beschäftigten in den Jugendämtern sind überlastet, es gibt vor allem zu wenige stationäre Einrichtungen, die Kinder und Jugendliche aufnehmen und betreuen können, und dies führt häufig dazu, dass Verantwortung von einer Institution zur nächsten verschoben, aber dem Kind oder Jugendlichen nicht nachhaltig geholfen wird. Beispielsweise wird anstelle weitergehender Maßnahmen ambulante Hilfe oft nur weitergeführt, um irgendwie das Schlimmste zu verhindern.
Ebenfalls zu begrüßen ist, dass die Fachberatungs- und Präventionsangebote evaluiert und flächendeckend sichergestellt werden sollen. Ob das nachhaltig hilft, wenn die Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe weiterhin unterbesetzt arbeiten, ist fraglich. Ohne kräftige Investitionen in den kommenden Jahren, um Fachkräftemangel und knappen Ressourcen zu begegnen, wird das nicht gelingen. Kolleginnen und Kollegen vor Ort und Betriebsräte erfahren, dass es in der Regel einzelne Beschäftigte trifft, wenn institutionelles Versagen beim Kinder- und Jugendschutz vorliegt. Das kann zu einer innerbetrieblichen Kultur der Angst führen, in der Fehler nicht mehr angesprochen werden. „Prävention vor Intervention“ muss heißen, dass immer auch institutionelle Rahmenbedingungen und deren Verbesserungen betrachtet werden, damit besserer Kinder- und Jugendschutz keine hohle Phrase bleibt.
Es ist ein Fortschritt, wenn die Einrichtung eines „interdisziplinären Kompetenzzentrums Kinderschutz“ geplant ist, mehr Therapieplätze geschaffen, Kinderschutzambulanzen erweitert und die stationäre Jugendhilfe ausgebaut werden sollen. Geradezu als Witz klingt es aber für die Beschäftigten der Sozialen Arbeit, wenn auf die derzeit (sic!) großen Herausforderungen der Jugendhilfe hingewiesen wird. Als ob wir als GEW nicht seit vielen Jahren darauf aufmerksam gemacht hätten, dass es an Fachkräften und Einrichtungen der Sozialen Arbeit fehlt und was das für die Beschäftigten und ihre Klienten bedeutet. Klar, dass sich das jetzt nicht mehr von heute auf morgen ändern lässt.
Wenn einerseits von flächendeckendem Kinderschutz gesprochen wird und andererseits von der Öffnung von Fachkräftekatalogen und sogenannten multiprofessionellen Teams, ohne darzulegen, woher die mittelbare pädagogische Zeit für professionelle Einarbeitung, Austausch und Reflexion kommen und wie die Strukturen in den Einrichtungen geschaffen werden sollen, um professionell miteinander zu arbeiten, so macht das hellhörig und lässt nichts Gutes erwarten. Es klingt eher danach: Wie bekommt man möglichst viele Menschen in den Bereich der Sozialen Arbeit, schafft auf dem Papier Kinderschutzkonzepte und ein Zentrum, das sich dem „Thema“ widmet, und vor Ort ändert sich wenig bis nichts. Stattdessen müssen immer mehr unterschiedliche Professionen und Hilfskräfte, so motiviert sie sein mögen, den Kinder- und Jugendschutz gewährleisten. Wir fordern stattdessen die Ausweitung der Ausbildung an den Fachhochschulen im Bereich Soziale Arbeit und Sozialpädagogik sowie Fachkräftegewinnung durch gute Arbeitsbedingungen, tarifgebundene Löhne und Lohnsteigerungen. Wir werden die Vorhaben der Koalition genau verfolgen und kritisch begleiten und dabei die Arbeitsbedingungen sowie die Qualität der pädagogischen Arbeit weiterhin in den Mittelpunkt stellen, denn nur so lässt sich ein professioneller Kinder- und Jugendschutz tatsächlich entwickeln.
Auszug aus dem Koalitionsvertrag:
Kinderschutz ist eine dauerhafte, gesamtgesellschaftliche Aufgabe und hat für uns höchste Priorität. Dabei denken wir stets vom Kind her und wollen eine Kultur des Hinsehens. Für uns ist klar: Prävention muss vor Intervention stehen. (…) Wir schaffen ein interdisziplinäres Kompetenzzentrum Kinderschutz, das der Qualifizierung von Familienrichterinnen und Familienrichtern, Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeitern, Medizinerinnen und Medizinern und anderem Fachpersonal dient und gleichzeitig auch Ort der Forschung zum Thema Kinderschutz ist. (S. 32 f.)
Zur Stärkung der Jugendämter werden wir dort Kinderschutzkoordinatorinnen und Kinderschutzkoordinatoren ansiedeln, die gemeinsam mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Sozialen Dienstes fundierte Gefährdungseinschätzungen und die daraus resultierenden notwendigen Maßnahmen umsetzen können. (S. 33)
Die Jugendhilfe steht derzeit vor großen Herausforderungen. Es fehlt an Einrichtungen, Plätzen und Personal. (…) werden wir den Fachkräftekatalog öffnen und multiprofessionelle Teams stärken. (S. 34)