Sprachverbote

Vom Gendern und anderen Sorgen | HLZ März 2024

 

Vorweg: Ich schreibe geschlechterinklusiv mit Sonderzeichen und spreche sie mit Sprechpausen wie zum Beispiel in Schul-hof, Spiegel-ei oder eben Lehrer-in aus. All diejenigen, die diese Vorbemerkung bereits zum Augenrollen verleitet, sollten unbedingt weiterlesen!
 

Chronische Unterbesetzung und Notbetreuungen an KiTas, Lehrkräftemangel an geradezu allen Schulformen, eine ständig wachsende Anzahl an Zusatzaufgaben und ein Betreuungsschlüssel, der kaum Zeit für inklusive Beschulung und individuelle Förderung lässt – nicht selten führt die andauernde Überbelastung im Bildungssystem zu hohen Krankenständen und weiteren Engpässen beim Personal. Die Frage „Haben wir denn keine anderen Sorgen als das Gendern?“ ist in Anbetracht der Missstände im hessischen Bildungssystem daher mehr als nachvollziehbar. Verwunderlich ist nur, dass nun ausgerechnet diejenigen, die all die Jahre versuchten, den stattfindenden Sprachwandel mit dieser Frage als Minderheitenanliegen zu bagatellisieren, das „Gendern“ permanent selbst zum Diskussionsgegenstand machen.
 

Beinahe hat es den Anschein, als sollten die medienwirksam geforderten Genderverbote ein tatkräftiges Handeln suggerieren, während das Anpacken inhaltlicher Schwerpunkte zur Verbesserung der Lern- und Lehrbedingungen weiterhin nicht auf der Agenda steht. Oder geht es bei dem im Koalitionsvertrag der neuen Landesregierung angekündigten Verbot des Genderns mit Sonderzeichen in staatlichen und öffentlich-rechtlichen Institutionen wie Schulen, Universitäten und dem Rundfunk doch um etwas Anderes? Ein Blick auf die emanzipatorische Entwicklung des „Genderns“, die jüngsten Empfehlungen des Rechtschreibrats und die politischen Hintergründe der Debatte soll darlegen, warum es sich bei einem politisch angeordneten Verzicht auf Sonderzeichen in staatlichen und öffentlich-rechtlichen Institutionen um mehr als nur eine Orientierung an schriftsprachlicher Korrektheit handeln muss.
 

Entwicklung des „Genderns“

Sprache gibt uns die Möglichkeit, miteinander in Kontakt zu treten. Sie bestimmt darüber, was in einer Gesellschaft sichtbar, tabuisiert oder schlichtweg existent wird. Längst gilt Sprache daher als eine bedeutende soziale Handlungsebene, in der sich gesellschaftliche Machtverhältnisse und Anerkennungsnormen widerspiegeln. Die Annahme, es sei möglich, in der eigenen Sprachverwendung nicht zu gendern, ist deswegen eine Illusion. Hinter der individuellen Entscheidung, ob und welche Geschlechter in meinem Sprachgebrauch vorkommen, steckt bereits eine – wenngleich nicht immer bewusst gewählte – persönliche Positionierung. Selbst das von manchen als bequemer und neutraler empfundene generische Maskulinum (z. B. der Lehrer) steht für eine Haltung, die es für ausreichend erachtet, andere Geschlechter als das männliche lediglich mitzumeinen. Eine Nicht-Nennung von Geschlechtern kann eine sinnvolle Alternative hierzu sein, jedoch ist es allein mit der Verwendung neutraler Begriffe (Lehrkraft) nicht möglich, existierende geschlechtsspezifische Ungleichheiten abzubilden. Die Nennung zweier Geschlechter (Lehrerin und Lehrer; LehrerIn) war daher viele Jahre das Ziel emanzipatorischer Kämpfe.
 

Spätestens seit der Erweiterung des Personenstandsgesetzes um ein dritte und vierte Option (divers, männlich, ohne Angabe, weiblich) im Jahre 2018 muss es jedoch eine Möglichkeit geben, weitere Geschlechter in der Sprache abzubilden. Bereits 2006 wurde hierzu der Unterstrich als Geschlechterlücke (Gender gap) zur Sichtbarmachung grammatikalisch und gesellschaftlich ausgeblendeter Geschlechter vorgeschlagen. Drei Jahre später kam der Genderstern als schon im IT-Bereich genutzter Platzhalter dazu. Zu Genderstern und Unterstrich hat sich seit 2015 der Doppelpunkt gesellt, der vermeintlich barrierefreier sein soll – was der Deutsche Blinden- und Sehbehindertenverband jedoch verneint.
 

Jüngste Empfehlungen des Rechtschreibrats

Und auch der Rat für deutsche Rechtschreibung, auf dessen Empfehlungen sich die hessischen Regierungsparteien in ihrem Koalitionsvertrag berufen, bekräftigt, dass allen Menschen mit geschlechtergerechter Sprache begegnet werden soll und möchte die Entwicklung der sprachlichen Verwendung weiter beobachten. In einer Sitzung am 14. Dezember 2023 wurde daher ein Ergänzungspassus zu Sonderzeichen beschlossen, was einen Schritt hin zur Anerkennung der gar nicht mehr so neuen geschlechterinklusiven Sprachformen darstellt.
 

Ein Verbot von Gendern mit Sonderzeichen missachtet also nicht nur die ohnehin stattfindende ständige Weiterentwicklung der alltäglichen Sprache, sondern ignoriert gesellschaftliche Entwicklungen und rechtliche Forderungen nach einer sprachlichen Gleichbehandlung aller Geschlechtsidentitäten. Die Empfehlungen des deutschen Rechtschreibrats werden ebenfalls konterkariert. Nichtsdestotrotz haben Volksbegehren gegen das Gendern und politisch angeordnete Genderverbote aktuell bundesweit Hochkonjunktur. Während sie in Hessen und Bayern bislang nur angekündigt wurden, sind sie in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein bereits Realität. Der Leiter der Landesrechtsschutzstelle der GEW Sachsen, Juri Haas, berichtet in einem Interview mit der taz von angedrohten Sanktionen gegenüber Landesbediensteten, die sich für die weitere Verwendung der Sonderzeichen entschieden haben.
 

Mit welchen Konsequenzen Hessens Schüler*innen, Angestellte und Beamt*innen gegebenenfalls zu rechnen haben werden, ist indes unklar. Es zeichnet sich jedoch ab, dass es sich bei den angekündigten Verboten für Hochschulen und Rundfunk um unzulässige Eingriffe in die vom Grundgesetz geschützte Wissenschafts- und Pressefreiheit handelt, gegen die sich sowohl verschiedene Wissenschaftler*innen als auch der Landesverband des Deutschen Journalistenverbands (DJV) und der Rundfunkrat öffentlich positioniert haben. Inwieweit Sprachverbote die freiheitlich-demokratischen Grundrechte von Lehrenden und Lernenden einschränken, wird ebenfalls rechtlich zu prüfen sein. Eine Sorge mehr also für die gewerkschaftliche Rechtsberatung und die Rechtsabteilungen der Landesbehörden, die sich zukünftig sowohl mit möglichen Formen der Sanktionierung als auch mit der längst überfälligen Prüfung der Rechtmäßigkeit solcher Eingriffe in die öffentliche Sprache beschäftigen werden müssen.
 

Politische Hintergründe

Letztendlich wird aus einer orthografischen Frage, dem Gendern mit Sonderzeichen, ein Thema von dramatisierender gesellschaftlicher Bedeutung. Hinter den lauten Debatten um Genderverbote verbirgt sich dabei nichts Geringeres als altbekannte rechte Diskursstrategien. Denn seit jeher instrumentalisieren (rechts-)populistische Gruppen und Parteien die Frage nach geschlechter-inklusiver Sprache für identitätspolitische Zwecke und verbreiten mit Szenarien von einer „Sprachpolizei“ Ängste und Unsicherheit in der Gesellschaft. Die heraufbeschworenen Angstbilder entbehren jeglicher Substanz und dienen letztlich zur Verbreitung eines antipluralistischen Weltbilds. Dennoch funktionieren sie in einer ohnehin von vielen als unsicher empfundenen Zeit besonders gut. Die überhitzt und emotional geführten Genderdebatten sind Ausdruck dessen und schaffen ein Klima, in dem es schwierig wird, sachlich aufeinander zuzugehen.
 

Dass nun ausgerechnet diejenigen, die mit diesem Argument häufig gegen eine sie vermeintlich unterdrückende „Cancel Culture“ wettern, Sprachverbote fordern, anstatt der sprachlichen Entwicklung und den nötigen demokratischen Aushandlungsprozessen ihren Lauf zu lassen, erscheint geradezu paradox. Die hessischen Regierungsparteien CDU und SPD täten also gut daran, derartige Diskurse nicht weiter zu bedienen und sich anderen Sorgen zu widmen.
 

Um den parallel zum Erstarken konservativer und (rechts-)populistischer Haltungen aufkommenden Rufen nach Genderverboten und möglichen weiteren ideologischen Eingriffen in das Bildungssystem, die öffentliche Verwaltung und andere öffentlich-rechtliche Institutionen vorzugreifen, hat der GEW Bundesausschuss Queer einen Antrag an den Hauptvorstand gestellt, in dem er den Einsatz der GEW gegen Verbote zur Verwendung von Sonderzeichen fordert. Der Antrag wurde ohne Gegenstimmen im November 2023 beschlossen. Die breite Zustimmung ist ein klares Zeichen gegen Sprachverbote und auch die Vorsitzende der GEW, Maike Finnern, hat im Kontext der Klage eines Berliner Vaters gegen das Gendern an Schulen gesagt: „Sprache befindet sich in einem ständigen Wandel. Das muss sich auch im schulischen Unterricht abbilden können.“
 

Die Diskussion und auch das Streiten über Sprache gehören zu ergebnisoffenen Aushandlungsprozessen und einer funktionierenden Demokratie. Ein politisch angeordnetes Eingreifen in die öffentliche Sprache ist deswegen ein massiver ideologischer Eingriff in demokratische Prozesse und die gesellschaftliche Weiterentwicklung. Unabhängig davon, wie jede*r Einzelne es persönlich mit dem Gendern nun halten mag, sollte die bröckelnde Brandmauer gegenüber antidemokratischen Debatten und rechter Sprachpolitik uns allen also große Sorge bereiten und zur Wachsamkeit aufrufen!
 


* Tina Breidenich, Lehrkraft an einer IGS, Lehrbeauftragte*r Institut für Soziologie Goethe-Universität Frankfurt, Leitungsteammitglied Bundesausschuss Queer der GEW und Personengruppe Frauen* Bezirksverband Mittelhessen