Wahlprüfsteine zum Thema Mitbestimmung

1. Wie bewerten Sie die vorgenommenen Änderungen, insbesondere im Hinblick auf den Ausbau demokratischer Rechte der Personalvertretungen, die in den letzten Jahrzehnten kontinuierlich eingeschränkt wurden?
Die Landesregierung hat das Hessische Personalvertretungsgesetzes redaktionell umfassend, inhaltlich aber nur an einigen Stellen novelliert. Wie wollen Sie in diesem Zusammenhang die Anrechnungszeiten insbesondere der Schulpersonalräte verbessern?
Eine Einschränkung der Rechte der Personalvertretungen sehen wir nicht. Mit der Novellierung erfährt das Personalvertretungsrecht in Hessen im Gegenteil verbesserte Beteiligungsrechte für Beschäftigte des öffentlichen Dienstes, dienstrechtliche Anpassungen und grundsätzliche Weiterentwicklungen, die auch dem technischen Fortschritt Rechnung tragen. Das hessische Personalvertretungsrecht wurde insgesamt zeitgemäß modernisiert und dabei eine Reihe von Verbesserungen für die engagierten Personalräte in Hessen erzielt. Auch die Mitbestimmungstatbestände wurden erweitert, beispielsweise im Hinblick auf mobiles Arbeiten, die Einführung von Kurzarbeit sowie bei der Aufstellung allgemeiner Urlaubsgrundsätze sowie der Anordnung von Dienstbereitschaft, Bereitschaftsdienst, Rufbereitschaft, Mehrarbeit und Überstunden. Die Entlastung der Schulpersonalräte durch Ermäßigungsstunden halten wir für sachgerecht.
Die von der schwarzgrünen Landesregierung geschaffene verfassungswidrige Besoldung der Beamtinnen und Beamte wird durch den nun verabschiedeten Gesetzentwurf nicht beendet, die Rechtsgrundlagen entsprechen auch weiterhin nicht den verfassungsrechtlichen Anforderungen, auf die der VGH Kassel in seiner Entscheidung vom 30.11.2021 verweist. Die verfassungswidrige Besoldung der letzten Jahre wird von der Landesregierung auch weiterhin ignoriert, für die kommenden beiden Jahre findet mit jeweils 3 Prozent die Inflationsentwicklung nicht ausreichend Berücksichtigung. Auch wir als SPD werden diese von der Landesregierung über Jahre herbeigeführte Ungerechtigkeit nicht in einem Haushaltsjahr korrigieren können. Eine zeitnahe Wiederherstellung der verfassungsgemäßen Besoldung der hessischen Beamtinnen und Beamte wird aber priorisiert. Die Personalräte werden ihre Rechte durch die Abbildung ihrer wichtigen Arbeit in Anrechnungsstunden besser durchsetzen können. Darüber hinaus werden wir die Arbeit der Personalräte in Schulen, Schulämtern und am Kultusministerium durch eine wertschätzende und kooperative Arbeitsweise unterstützen.
Wir betrachten die kürzlich erfolgte Novellierung des Hessischen Personalvertretungsgesetzes als einen Schritt in die richtige Richtung und wollen im Dialog mit den Gewerkschaften und anderen Beteiligten die Rechte der Personalvertretungen deshalb auch in Zukunft bedarfs- und interessengerecht und im Sinne einer vertrauensvollen Zusammenarbeit zwischen Beschäftigten und Dienststellenleitungen weiterentwickeln. Aufgrund des derzeit überaus angespannten Lehrkräftearbeitsmarkts war eine Anhebung der Entlastungsstunden in dieser Legislaturperiode nicht möglich. Wir halten das Thema aber selbstverständlich im Blick und werden immer wieder prüfen, ob Anpassungen möglich sind.
Das Personalvertretungsgesetz hat für die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes in Hessen große Bedeutung. Es geht um Mitbestimmung und Beteiligung der Beschäftigten. Es ist ein wichtiger Schutzmechanismus, um sicherzustellen, dass die Interessen der Beschäftigten in öffentlichen Einrichtungen berücksichtigt werden. Das Gesetz legt fest, dass die Beschäftigten das Recht haben, ihre Interessen durch gewählte Personalräte zu vertreten und mit der Dienststelle zu verhandeln. Wir haben auch einen Änderungsantrag dazu eingebracht (Drucksache 20/10566), der leider abgelehnt wurde. Wir konnten daher dem Personalvertretungsgesetz in der jetzigen Form nicht zustimmen, da aus unserer Sicht mit diesem Gesetzentwurf eine Chance vertan wurde, das Personalvertretungsrecht auf die heutige Zeit anzupassen und moderne Formen der Arbeit mit modernen Formen der Personalvertretung zu kombinieren. Gerade im Bereich der Digitalisierung der modernen Arbeitswelt sind im Entwurf keine Mitbestimmungsrechte, sondern maximal Beteiligungsrechte vorgesehen. Das ist ein entscheidender und wesentlicher Unterschied, gerade bei den anstehenden Transformationen in der öffentlichen Verwaltung. Wie wir hierbei die Anrechnungszeiten, insbesondere von Schulpersonalräten verbessern können, werden wir noch prüfen.
Was die Mitbestimmung innerhalb des öffentlichen Dienstes angeht ist Hessen schon lange ganz hinten! Als DIE LINKE. setzen wir uns schon seit 2008 für eine umfassende inhaltliche Novellierung des HPVG ein. Wir haben stets die Vorlagen und Initiativen des DGB dazu unterstützt und in die parlamentarischen Debatten eingebracht. Die von Schwarzgrün vorgenommene Novelle ist weitestgehend eine Umstellung der Paragrafen, ohne aber eine wesentliche inhaltliche Verbesserung für die Personalräte zu bringen. Wir fordern weiterhin eine gleichberechtigte Mitbestimmung im öffentlichen Dienst in Hessen, die auf Augenhöhe stattfindet. Dafür ist es aber zwingend notwendig, dass u.a. das Letztentscheidungsrecht von Einigungsstellen wieder eingeführt wird! Zudem muss die Mitbestimmung ausgeweitet und die Ausstattung der Personalräte erheblich verbessert werden! Dafür treten wir auch weiterhin aktiv an der Seite der Gewerkschaften ein.

2. Wie stehen Sie zum kirchlichen Sonderrecht, das die Mitbestimmung und die Rechte der Arbeitnehmer:innen nach wie vor auf eklatante Weise einschränkt?
Es handelt sich um eine bundespolitische Frage, weshalb nur eine allgemeine Einschätzung möglich ist. Unsere Gesellschaft verdankt den christlichen Kirchen und den hunderttausenden Angestellten enorm viel! Die Vielzahl an caritativen, seelsorgerischen oder Bildungsangeboten sind unschätzbar wertvoll für dutzende Millionen Menschen in unserem Land. Das Bundesverfassungsgericht hat daher mehrfach das kirchliche Selbstbestimmungsrecht betont. Selbstverständlich unterstützen und begrüßen wir Unternehmungen der Kirche, ihr Arbeitsrecht an moderne Anforderungen anzupassen. Wir begrüßen insbesondere die Klarstellung, dass für kirchliche Dienstverhältnisse der Kernbereich der privaten Lebensführung der Mitarbeitenden künftig rechtlich keine Rolle mehr spielt. Das ist eine wichtige und notwendige Entscheidung.
SPD, FDP und Grüne haben auf Bundesebene im Koalitionsvertrag vereinbart, eine Angleichung des kirchlichen Arbeitsrechts an das staatliche Recht gemeinsam mit den Kirchen zu prüfen. Diese Prüfung wollen wir abwarten.
Soweit den Kirchen durch das Grundgesetz ein gewisser Freiraum zugestanden wird, das kollektive und das individuelle Arbeitsrecht nach ihrem Selbstverständnis selbst zu regeln, ist das zu respektieren. Wir verfolgen aber mit Interesse, dass das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen im höherrangigen Recht der Europäischen Union seine Grenzen findet. Die jüngere höchstrichterliche Rechtsprechung zeigt, dass die Kirchen als die größten Arbeitgeber in Deutschland in elementaren Fragen des Arbeitsrechts nicht außerhalb der staatlichen Rechtsordnung stehen können.
Das kirchliche Sonderrecht gewährt der Kirche bestimmte Privilegien und erlaubt ihr, in einigen Bereichen von den allgemeinen arbeitsrechtlichen Bestimmungen abzuweichen. Wir sehen kritisch, dass dies zu einer Ungleichbehandlung der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen führen kann und dadurch ihre Rechte beeinträchtigt werden können. Auf der anderen Seite sollten religiöse Organisationen das Recht haben, ihre eigenen Regeln und Anforderungen festzulegen, um ihre religiöse Identität und Autonomie zu wahren. Die Einmischung des Staates in die inneren Angelegenheiten der Kirche könnten deren Fähigkeit zur Ausübung ihrer religiösen Aufgaben erschweren.
Wir lehnen den Sonderweg der Kirchen beim Dienstrecht und bei der Mitbestimmung ab. Der sog. "Dritte Weg" ist eine Sackgasse für die Beschäftigten! Da nahezu allen Einrichtungen von Caritas und Diakonie, ebenso wie bei privaten Sozialeinrichtungen, nach betriebswirtschaftlichen Kriterien geführt werden, ist eine Benachteiligung der Beschäftigten bei Mitbestimmung, aber auch beim Tarifrecht, nicht mehr zeitgemäß. Hier sollte also ebenso das Betriebsverfassungsgesetz greifen! Wir haben uns zudem in der Vergangenheit bei nahezu alle Aktionen, die von ver.di in Hessen zum Abschluss von Tarifverträgen in kirchlichen Einrichtungen durchgeführt wurden aktiv beteiligt.

3. Wie stehen Sie zum sogenannten Tendenzschutz, dass die Mitbestimmung von Betriebsräten bei Trägern der Sozialen Arbeit einschränkt?
Es handelt sich um eine bundespolitische Frage, weshalb nur eine allgemeine Einschätzung möglich ist. Tendenzbetriebe sind Betriebe, bei denen nicht die ökonomische Orientierung im Vordergrund steht, sondern unmittelbar und überwiegend politische, erzieherische, wissenschaftliche oder künstlerische Zwecke verfolgt werden. Daher fallen auch Träger der Sozialen Arbeit hierunter. Die Regelungen des BetrVG besteht, damit Tendenzbetriebe in der Ausübung ihrer Grundrechte vor einer Beeinträchtigung durch betriebsverfassungsrechtliche Einflüsse bewahrt werden. Aktuell sehen wir hier keinen dringlichen Handlungsbedarf.
SPD, FDP und Grüne weisen in ihrem Koalitionsvertrag auch darauf hin, dass sie die Mitbestimmung weiterentwickeln wollen und das Betriebsrätemodernisierungsgesetz evaluieren wollen. Die Einschränkung der Mitbestimmungsrechte von Betriebsräten sehen wir grundsätzlich kritisch.
Soweit die Tätigkeit des jeweiligen Trägers im Sinne unmittelbar und überwiegend karitativen Zwecken dient, halten wir den in § 118 BetrVG gewährten Tendenzschutz für angemessen.
Der Tendenzschutz kann dazu führen, dass die Mitbestimmung von Betriebsräten bei Trägern der Sozialen Arbeit eingeschränkt wird, da diese Träger ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nach ihren spezifischen Zielen und Werten auswählen können. Einer Organisation mit spezifischen ideologischen oder religiösen Zielen sollte es möglich sein, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auszuwählen, die diese Ziele teilen. Dies kann zur Wahrung der Identität und Zielsetzung dieser Organisationen beitragen. Hierbei sehen wir aber auch die Gefahr, dass der Tendenzschutz die Mitbestimmung von Betriebsräten und die Rechte der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer einschränkt und damit eine potenzielle Gefahr für die Arbeitnehmerrechte und die Chancengleichheit bei der Beschäftigung.
Auch die sozialen Einrichtungen von karitativen Trägern müssen sich am "Markt" behaupten und stehen in direkter Konkurrenz zu den privaten Trägern. Es ist nicht einzusehen warum die Mitbestimmung der Beschäftigten und ihrer Betriebsräte weiter eingeschränkt wird. Wir sind für eine umfassende Mitbestimmung in allen Betrieben und Einrichtungen. Die Einschränkungen durch den sog. Tendenzschutz lehnen wir grundsätzlich ab!

4. Wie stehen Sie zu einer verbindlichen Aufnahme der Themen Arbeitnehmer:innenrechte, Tarif und Gewerkschaften in den Bildungskanon von Schule, Ausbildung und Studium?
Im Sinne einer noch besseren Vergleichbarkeit und weil viele Menschen dies fordern, werden wir Schritt für Schritt Kerncurricula in den Schulfächern fortentwickeln, damit überall in Hessen bestimmte Lerninhalte standardmäßig unterrichtet werden. Wir führen damit verbunden ein Update der Lehrinhalte durch, um in Zukunft mehr praktische Lebenskompetenzen in der Schule zu vermitteln. Junge Menschen müssen frühzeitig lernen, wie man Verträge abschließt, für das Alter vorsorgt, sich gesund ernährt oder mit Fake-News im Internet umgeht. In diesem Zusammenhang können auch Kenntnisse über die Rechte von Arbeitnehmern sowie das partnerschaftliche System von Lohnverhandlungen und der Tarifbindung zu grundlegenden praktischen Lebenskompetenzen gehören.
Wir unterstützen die Forderung. Unser Ziel ist es, die Berufs- und Lebensweltorientierung in allen Schulformen zu stärken und schulformübergreifend die Themen Transformation, Finanzen rund um Mietverträge, Steuererklärung, Leben und Arbeiten in der digitalen Welt und vieles mehr zur selbstständigen Lebensführung zu behandeln. Alle Schüler:innen, Auszubildenden und Studierenden sollten im Laufe der schulischen und beruflichen Ausbildung über die Themen Arbeitnehmer:innenrechte, Tarif und Gewerkschaften behandeln.
Wir teilen die Einschätzung, dass ein grundlegendes Wissen über die Funktion und den Stellenwert von Gewerkschaften in unserer Demokratie ebenso wie wesentliche Grundlagen des Arbeitnehmer*innenrechts Teil der Schulbildung sein sollten. Die Vermittlung der Bedeutung von Arbeitnehmer*innen als ökonomische Akteur*innen sowie des Stellenwerts organisierter Interessenwahrnehmung durch z.B. Verbraucherverbände, Gewerkschaften etc. ist in den Kerncurricula „Politik und Wirtschaft“ auch entsprechend verankert. Die Ausgestaltung von Studienangeboten unterliegt hingegen der Freiheit von Forschung und Lehre und liegt somit in der Hand der autonomen Hochschulen.
Wir wollen in Übereinstimmung mit den auf Bundesebene ergriffenen Maßnahmen die ökonomische und finanzielle Bildung auch an hessischen Schulen stärken, unter anderem durch die Einrichtung mindestens einer Professur mit wirtschaftsdidaktischem Profil, der Überarbeitung von Kerncurricula und der Ausweitung von Fortbildungen. Das gesamte Thema Lohnfindung sowie die Rechte von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern sollten aus unserer Sicht Teil des Bildungskanons sein.
: Leider müssen wir feststellen, dass Schüler:innen und Studierende so gut wie gar nicht auf die Arbeitswelt vorbereitet sind. Deshalb halten wir es für besonders notwendig und dringlich, dass sie über Ihre Rechte als zukünftige Arbeitnehmer:innen, auf die betrieblichen Mitbestimmung und auch auf die Rolle der Gewerkschaften intensiv vorbereitet werden. Dies sollte, in Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften, verbindlich in die Lehrpläne mit aufgenommen werden.