HLZ: Ihr arbeitet alle in unserer AG Multiprofessionalität mit. Was macht ihr beruflich und wie sind eure Erfahrungen?
David: Ich bin UBUS-Kraft an einer Grundschule in Schwalbach. Mich betrifft das Thema besonders wegen der Schulsozialarbeit. Ich habe Sozialpädagogik in Fulda studiert.
Steve: Ich habe Soziale Arbeit in Frankfurt studiert. In den Ambulanten Hilfen zur Erziehung komme ich in Kontakt mit Beschäftigten an Schulen. Darüber hinaus bin ich Betriebsrat bei der ASB Lehrerkooperative. Bei uns arbeiten circa 40 Kolleg:innen in den Eingliederungshilfen an Schulen, wir haben zwölf Einrichtungen im Ganztag. Wir haben einen eigenen Tarifvertrag mit dynamischer Anbindung an den TVöD, viele Träger haben keinen. Wenn prekär Beschäftigte neben verbeamteten Lehrkräften arbeiten, macht das was mit der Zusammenarbeit.
Heike: Multiprofessionalität betrifft mich an der Grundschule. Im Kern stehen für mich die Lehrerin, das Kind und die Eltern. Und dann kommen viele Professionen dazu: Ärzte, Therapeuten, Logopäden, Ergotherapeuten, UBUS-Kräfte, Teilhabeassistenten. Manchmal ist das Aufkommen an Erwachsenen in einer Klasse so groß, dass ich mich frage, ob das wirklich weiterhilft.
Frank: Ich arbeite als Sozialpädagogische Fachkraft in einer Förderschule für körperliche und motorische Entwicklung und bin von Beruf Ergotherapeut. Ich mache Einzelförderung und Gruppenangebote. Als Landesbeschäftigter bin ich Teil der Schule. Wir haben auch Schulassistenzen, die keine Ausbildung haben und die die Schüler:innen im Unterricht begleiten. Oft kommen auf acht Kinder acht Erwachsene. Tagtäglich bin ich mit vielen Professionen konfrontiert, doch wir haben nur einmal im Jahr bei den Förderplangesprächen Gelegenheit zu einem intensiven Austausch.
Stefan: Durch meine Arbeit an einer Förderschule für geistige Entwicklung war ich schon immer mit Erzieher:innen in der Klasse. Wir haben immer mehr Sozialpädagog:innen, die die Arbeit der Förderschullehrkräfte machen sollen. Es kommen noch verschiedene Kräfte von anderen Trägern hinzu. Da gibt es öfter mal Reibungspunkte, die uns auch im Personalrat beschäftigen. Die verschiedenen Blickwinkel sind aber auch eine Bereicherung.
Julia: Ich bin UBUS-Fachkraft an einer kooperativen Gesamtschule im Kreis Marburg-Biedenkopf. Ich habe Soziale Arbeit an der Hochschule RheinMain studiert. Multiprofessionalität bedeutet für mich die Zusammenarbeit mit Lehrerinnen und Lehrern und der Schulsozialarbeit. An Runden Tischen hat man Beamte und Angestellte, auch Teilhabeassistenzen. Schule wird immer mehr zu einem prekären Arbeitsfeld.
Tina: Ich arbeite an einer integrierten Gesamtschule mit Ganztag. Seit drei Jahren leite ich eine Klasse mit vier GE-Kindern. So sind wir in einer Regelklasse mit 24 Schüler:innen und bis zu fünf Erwachsenen: Ich als Klassenleitung, Förderschullehrkraft und drei Teilhabeassistent:innen. Daraus ergeben sich immer mal wieder Aushandlungsprozesse: Wer hat welche Verantwortlichkeit und wer bestimmt darüber?
HLZ: Verstehe ich das richtig, dass mehr Personal in der Klasse nicht immer die beste Lösung ist?
Heike: Durch die vielen Professionen brauche ich unheimlich viel Zeit, um mit ihnen zu kooperieren. Die habe ich überhaupt nicht. Wie geht es dir damit, David?
David: Bei den Teilhabeassistent:innen ist es wechselhaft. Manchmal klappt es gut, das ist aber abhängig von der Kooperation. Schulsozialarbeit ist bei mir nicht existent. Die Aufgaben und Verhaltensauffälligkeiten werden mehr. Es ist schwer zu vermitteln, dass ich nicht die Schulsozialarbeit ersetzen kann. Sie wäre extern und nicht wie ich an die Schulleitung gebunden.
Tina: Es ist wichtig zu schauen, welche Haltung zur Inklusion die Leute haben, die zusammenarbeiten.
Steve: Bei uns gibt es auch Teilhabeassistent:innen im Betrieb. Mein Ziel ist, auch sie zu vertreten. Sie sollten Schulungsangebote bekommen, um sich zumindest etwas zu professionalisieren. Die Forderung nach ausschließlich mehr Fachkräften ist richtig, aber die Realität ist eine andere.
Julia: Ich frage mich auch manchmal, ob wir nicht eigentlich zu viele sind. Und ob das im Schulsetting ein Hindernis ist. Ich will meinen Job nicht in Frage stellen, aber es muss klar definiert werden, wer welche Aufgaben übernimmt. Es gibt Konflikte auch wegen der unterschiedlichen Blickrichtungen auf denselben Fall, dasselbe Kind. Wir müssen lernen, sie unter einen Hut zu bringen.
Stefan: Ich kann mich an eine Zeit erinnern, in der wir uns lange im Team unterhalten haben über die Kinder. Heute heißt es, ihr schafft das schon mit der Zusammenarbeit. Ein gewerkschaftliches Thema ist die Forderung nach Kooperationszeit. Bei einem eingearbeiteten professionellen Team reicht ein Blick, Hilfskräften muss ich erstmal alles erklären.
Heike: Ich kann super zusammenarbeiten mit einer Teilhabeassistenz, die Krankenschwester ist bei einem Kind mit Diabetes. Da ist völlig klar, was ihr Job ist. Schon in kleinen Teams aus Grundschul- und Förderschullehrkraft liegt so viel im Argen. Für den Ganztag fordern wir ganz klar Fachkräfte und dass alle beim Land angestellt sind.
Frank: Ich kann nur zustimmen. Schule ist inzwischen die Verwaltung von Mangel. In den nächsten Jahren werden wir nicht das Personal bekommen, das wir brauchen. Was ist unsere Aufgabe als Gewerkschaft? Sie an der Schule willkommen zu heißen! Das ist natürlich viel einfacher, wenn da nur ein Arbeitgeber ist und nicht vier. Pro drei Klassen wollen wir immer eine Sozialpädagogische Fachkraft, so dass Tandems gebildet werden können.
Heike: Bei uns gibt es die Eingangsstufe. Alle Kinder werden mit fünf eingeschult, das erste Schuljahr ist auf zwei Jahre gestreckt. Seit den 1970er Jahren sind wir daher doppelt gesteckt, Erzieherin und Lehrkraft. Daran halten wir fest.
HLZ: Wir haben vor einigen Tagen diskutiert, dass der von uns positiv verstandene Begriff Multiprofessionalität inzwischen ganz anders verwendet wird. Beim Startchancen-Programm sollen darunter nichtqualifizierte Assistenzkräfte subsumiert werden.
Julia: Stimmt, er muss wieder positiv belegt werden. Dafür braucht es entsprechende Rahmenbedingungen und Konzepte. Es muss Zeiten geben, in denen man sich intensiv abspricht. Man kann auch mal sagen, ich brauche deine Unterstützung gerade nicht, das ist okay. Vielleicht wurden zu viele in das System reingestopft, ohne dass abgeklärt wurde wofür.
David: Für den Nachmittag haben wir noch städtische Betreuungsangebote mit Fachkräften, die sehr gut mit der Schule kooperieren. Mit dem kommenden Rechtsanspruch werden es immer mehr prekäre Hilfskräfte, der Elternschaft gegenüber ist jedoch von Ausbau die Rede. Es braucht einen multiprofessionellen Ganztag mit den verschiedenen Berufsgruppen. Wir dürfen gleichzeitig die Leute nicht zurücklassen, die uns im ersten Moment eine Mehrbelastung sind, aber doch eigentlich etwas verbessern wollen.
Tina: Mehr Erwachsene heißt nicht automatisch mehr Qualifikation. Wie werden die verschiedenen Professionen zusammengebracht? Insbesondere wenn alle unterschiedliche Arbeitgeber:innen haben. Wer ist im Fall von Konflikten vermittelnd oder wenn nötig weisungsbefugt? Als Klassenlehrkraft sehe ich nicht meine Aufgabe darin.
Frank: Was Tina sagte, zeigt auf, dass uns die Mangelverwaltung am Arbeitsplatz Schule spaltet. Als Lehrkräfte erlebt ihr als Prellbock eine Ausweitung von Arbeitszeit und habt kaum noch Zeit für die eigene Aufgabe, das Unterrichten.
Heike: Die Landesregierung sieht den Ganztag so: vormittags ist Unterricht, nachmittags Betreuung. Dieses Verständnis schwappt in die Schule rein. Hautsache die Kinder sind untergebracht. Dagegen müssen wir angehen.
HLZ: Gibt es diese Probleme auch in den nichtschulischen Bereichen der Sozialen Arbeit?
Steve: In unserem Betrieb haben wir ja viele, die sich in diesem Spannungsfeld bewegen. In den Ambulanten Hilfen zur Erziehung gibt es das auch. Ein Kind hat oder „macht“ Probleme und das Jugendamt richtet beispielsweise eine Sozialpädagogische Familienhilfe ein. Man versucht mit der Schule in Kontakt zu treten, soll therapeutische Hilfe initiieren und dann gibt es noch das Jugendamt als Auftraggeber. Einen Runden Tisch umzusetzen, ist oft schwierig. Häufig ist anderen nicht klar, wofür die Sozialarbeit zuständig ist und was ein Hilfeplan bedeutet. Wenn die Hilfe scheitert, hat das Jugendamt oft nur die Möglichkeit einer Inobhutnahme. Aber da haben wir auch einen Mangel an Plätzen.
HLZ: Was bedeutet das alles für unsere Gewerkschaftsarbeit?
Steve: Ich finde sehr gut, dass wir uns in dieser AG mit beiden Fachgruppen für Sozialpädagogische Fachkräfte – die in der Schule und die in anderen Bereichen – regelmäßig austauschen. Wir sollten mehr zusammen kämpfen.
Heike: Der Austausch Grundschullehrerin – Förderschullehrerin ist auch dringend notwendig.
David: Wir sollten zusammen etwas aufstellen, was alle im Blick behält, und schlüssige Forderungen nach außen tragen.
Steve: Das Ziel sollte sein: ein Betrieb, ein Arbeitgeber, eine Arbeitnehmervertretung und ein Tarifvertrag für alle!
Julia: Als GEW müssen wir fordern, dass aus dem Ganztag keine Schülerverwaltung wird. Wir müssen die Forderungen nach Professionalität und guten Rahmenbedingungen nach vorne stellen.
Tina: Wenn wir von Multiprofessionalität sprechen, sprechen wir von gut qualifizierten Fachkräften. Dass sie nebeneinander arbeiten, ist nicht ausreichend. Kooperation und gute Kommunikation müssen gefördert werden. Dafür braucht es mehr Zeit. Ich kann mir auch gemeinsame Fortbildungen gut vorstellen. Das könnte helfen, mehr Verständnis und Einblicke in die jeweiligen Aufgaben zu bekommen.
Frank: Eine Gewerkschaft muss für anständige Arbeitsbedingungen sorgen. Schon an der Universität sollten die Lehrämter mehr voneinander mitbekommen. Wir müssen auch die Vision einer Schule für alle haben. Wir müssen benennen, dass das System kaputtgespart wird. Das Thema Multiprofessionalität ist für uns eine ganz große Klammer.
Stefan: Den Begriff Multiprofessionalität müssen wir gegen die Abwertung verteidigen. Dass wir hier aus den verschiedenen Professionen zusammensitzen, das macht auch Spaß!