Für den 5. Juli 2024 hatten die Junge GEW Hessen und der hessische Landesverband der Falken Christina König zu einem Vortrag über den praktischen Umgang mit extrem rechten Jugendlichen eingeladen. Christina König promoviert zu Paradoxien der Sozialen Arbeit an der Goethe-Universität Frankfurt und ist seit 2018 Dozentin an der Frankfurt University of Applied Sciences. Sie lehrt im Bereich Soziale Arbeit und hat dabei einen Fokus auf die Beziehungsarbeit zu Jugendlichen, Gewalttheorien, Sozialräumlichkeit und Ungleichheitskategorien. Die Tätigkeit als Sozialarbeiterin kennt sie nicht nur aus der Theorie, sondern auch aus eigener Erfahrung: Sie war in Jugendzentren, Wohngruppen mit Jugendlichen sowie in den Bereichen Streetwork und Nachbarschaftshilfe beschäftigt. Aktuell arbeitet sie erlebnispädagogisch mit kriminalisierten Jugendlichen.
Paradoxie der offenen Jugendsozialarbeit
Der Vortrag im Studierendenhaus in Bockenheim wurde von unterschiedlichsten Personengruppen besucht: Teenager, die selbst bei den Falken – einem politischen Kinder- und Jugendverband – aktiv sind, interessierte Studierende der Frankfurt University of Applied Sciences, Personen aus dem Umfeld der Jungen GEW und praktisch arbeitende Sozialarbeiter:innen.
Christina König sprach zu Beginn ihres Vortrags über die offene Jugendsozialarbeit, insbesondere über Jugendzentren. Dabei stellte sie das Prinzip der Offenheit in den Mittelpunkt: Alle Jugendlichen können zu den Öffnungszeiten der Einrichtungen kommen, dabei sein und mitmachen. In ihrer Forschung arbeitet König biographisch, sie führt also ausführliche Interviews mit Sozialarbeiter:innen, meist in Kleinstädten in Hessen sowie in anderen Bundesländern. Einen Fokus legt sie dabei auf Personen, die bereits seit Jahrzehnten in der gleichen Einrichtung arbeiten. In den Interviews, aus denen sie – in anonymisierter Form – in ihrem Vortrag zitierte, wurde deutlich, dass die Anwesenheit von rechten Jugendlichen das Prinzip der Offenheit an seine Grenzen bringt.
Ein Ansatzpunkt für Christina König war dabei, dass sich in den 1990er Jahren extrem rechte Gruppen in offenen Jugendzentren organisieren konnten. Dazu zählt auch der Nationalsozialistische Untergrund (NSU), der mit zehn Morden die größte rechtsterroristische Mordserie in der Geschichte der Bundesrepublik verübt hat. Die interviewten Sozialarbeiter:innen waren dabei allerdings nicht selbst politisch rechts eingestellt – im Gegenteil, sie verstanden sich meist als progressiv und demokratisch. Vielmehr konfrontiert die rechte Ideologie mancher Jugendlicher die Soziale Arbeit als humanistische Profession mit ihren Grenzen. Kurzum: Angesichts des hohen Stellenwerts des Prinzips der Offenheit dieser Orte wurden keine Hausverbote gegen rechte Jugendliche ausgesprochen, da das Konzept offener Jugendzentren keine Ausschlüsse oder Hausverbote vorsieht. Der Tatsache, dass die Anwesenheit der rechten Jugendlichen ihrerseits zu noch größeren Ausschlüssen anderer Gruppen führt, etwa migrantisierter oder queerer Jugendlicher, stehen die Sozialarbeiter:innen ohnmächtig gegenüber.
Die Arbeitsrealität der Sozialarbeiter:innen, die Christina König durch ihre Forschung kennengelernt hat, ist frustrierend: Die Arbeitsbelastung ist hoch, durch die Konfrontation mit Armut oder anderen Problemen der Jugendlichen fällt es den Angestellten in Jugendzentren schwer, sich von den individuellen Leidensgeschichten der Jugendlichen abzugrenzen. Auf ein ohnehin schon überlastetes System der Sozialarbeit treffen organisierte rechte Gruppen. Die Sozialarbeiter:innen vor Ort sind teilweise bereits mit Gewalt konfrontiert oder müssen sie erwarten, wenn sie sich deutlicher gegen sie positionieren würden.
Wie offen sind offene Jugendzentren?
Während der Diskussion wurde deutlich, dass solche Probleme in einer Großstadt wie Frankfurt nicht in dieser Form auftreten. Die Praxis, mit der die Sozialarbeiter:innen rechten Jugendlichen begegnen, wurde kontrovers diskutiert: Können einzelne Angestellte eines Jugendzentrums doch Einfluss nehmen? Ist es also besser, wenn sich die Jugendlichen dort aufhalten als woanders? Ja, sagten manche Stimmen aus dem Publikum, andere widersprachen vehement: Die Ausschlüsse, die ansonsten für andere, schutzbedürftige Jugendliche entstünden, seien nicht damit zu rechtfertigen, dass organisierte rechte Jugendliche vielleicht zum Nachdenken gebracht werden könnten.
Einigkeit bestand darin, dass vor diesem Hintergrund die Kürzungen in den Sozialhaushalten verschiedener Landesregierungen und der Bundesregierung gefährlich sind. Es bedarf einer gesicherten Unterstützung, um die Sozialarbeiter:innen vor Ort (wieder) handlungsfähig zu machen. Außerdem müssen die Konzepte der offenen Sozialarbeit hinterfragt und die negativen Konsequenzen aufgearbeitet werden.
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