Berufsbildung im Bildungsbericht

Autor:innengruppe fordert gesamtgesellschaftliche Verständigung | HLZ 9/10 2024

Der alle zwei Jahre publizierte nationale Bildungsbericht Bildung in Deutschland wird von der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder und dem Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert. Er umfasst die Bildungsbereiche der frühkindlichen, schulischen, hochschulischen sowie der beruflichen Bildung und der Weiterbildung. Wir befassen uns in diesem Artikel mit dem Schwerpunktthema des Berichts 2024, der beruflichen Bildung. In den nächsten Ausgaben der HLZ werden wir auf weitere Bereiche des Bildungsberichtes eingehen.

Im Schwerpunktthema wird berufliche Bildung bereichsübergreifend betrachtet, wobei die Berufsausbildung, die hochschulische Bildung, die Weiterbildung sowie die Übergänge und Schnittstellen zwischen diesen Bereichen einbezogen werden. In der Analyse „wird berufliche Bildung weiter gefasst als in ihrer traditionellen, stark jugendzentrierten und auf Berufsausbildung fokussierten Auslegung. Sie wird als ein lebenslanger Lernprozess verstanden, der mit der Entwicklung von Vorstellungen über Berufe in der Kindheit beginnt und mit dem teilweisen oder vollständigen Austritt aus der Erwerbstätigkeit (…) endet“. Dies schließt „alle Angebote und Aktivitäten ein, die im Lebenslauf zur Entwicklung, Erhaltung oder Erweiterung der berufsbezogenen Handlungs- und Beschäftigungsfähigkeit beitragen.“ (S. 263)


Berufliche Ausbildung

Für die duale Berufsausbildung war 2023 bundesweit ein Anstieg der Ausbildungsverhältnisse zu verzeichnen, wobei mit 456.000 neuen Verträgen die Zahl des Jahres 2019 vor der Coronapandemie noch nicht wieder erreicht wurde. 2022 überstieg die Zahl der angebotenen Ausbildungsplätze zum ersten Mal seit 1995 die Zahl der nachgefragten. Allerdings gab es weiterhin große Passungsprobleme, sodass viele Jugendliche keinen Ausbildungsplatz erhielten. In der Informatik überstieg die Nachfrage das Angebot an Ausbildungsplätzen, während in den Hotel- und Gaststättenberufen, im Ernährungshandwerk sowie in Reinigungsberufen in großem Umfang Ausbildungsplätze unbesetzt blieben. Auszubildende nichtdeutscher Staatsangehörigkeit beziehungsweise mit einer Migrationsgeschichte sind in diesen Berufen, die aufgrund teilweise geringer Verdienstmöglichkeiten und ungünstiger Arbeitsbedingungen wenig nachgefragt werden, überproportional vertreten und tragen so zur Reduktion des Fachkräftemangels bei. Zu den berufsbedingten Passungsproblemen kommt ein regionales Mismatch sowie ein sogenanntes „verhaltensbezogenes Mismatch“, wenn Bewerber:innen von Arbeitgeberseite abgelehnt werden, weil sie nicht deren Erwartungen entsprechen.

Im Bereich der vollschulischen Berufsausbildungen, darunter die Erziehungs- und Pflegeberufe, stagnierten die Neuzugänge und waren in den Pflegeberufen sogar leicht rückläufig. Die zur Behebung des Fachkräftemangels erforderliche Steigerung konnte nicht erreicht werden. Im Übergangssektor kam es nach einem Rückgang in den vorangegangenen Jahren seit 2021 zu einer Steigerung von 25.000 Personen, die vor allem auf die Integration ukrainischer Kriegsflüchtlinge zurückgeführt wird. Vor allem Jugendliche mit maximal Erstem Schulabschluss (Hauptschulabschluss) sind im Übergangssektor vertreten, um einen weiteren Schulabschluss zu erwerben und/oder in eine reguläre Berufsausbildung zu gelangen. Jedoch kommt es für 40 Prozent von ihnen auch nach bis zu 36 Monaten nicht zur Aufnahme einer Ausbildung. Ob das am 1. April 2024 in Kraft getretene Gesetz zur Aus- und Weiterbildungsförderung, welches ein Berufsorientierungspraktikum, einen Mobilitätszuschuss sowie einen Einstieg in die Ausbildungsgarantie vorsieht, zu Verbesserungen führen wird, bleibe abzuwarten. Die Einschränkung der Ausbildungsplatzgarantie auf Regionen mit Unterversorgung an Ausbildungsmöglichkeiten könne den Erfolg der Maßnahme gefährden. Auch die Wirkung von weiteren Maßnahmen, wie die Flexibilisierung der Teilzeitausbildung nach dem novellierten Berufsbildungsgesetz von 2020, sei noch zu gering. Das gilt ebenso für die Gewinnung von Absolvent:innen mit (Fach-)Hochschulzugangsberechtigung sowie für eine bessere Berufsorientierung an Gymnasien und Fachoberschulen, wie sie die Exzellenzinitiative berufliche Bildung vorsieht.

Mit Blick auf den großen Übergangssektor, der jährlich circa eine viertel Million Neuzugänge hat, regt der Bildungsbericht zusätzliche und individuellere Förderung in Bezug auf ausbildungsrelevante Kompetenzbereiche sowie eine Betreuung während der gesamten Ausbildungsdauer an. Auch die Ergebnisse der PISA- und der IQB-Studien sowie eine gestiegene Vertragslösungsquote und gesunkene Erfolgsquoten in der dualen Ausbildung zeigten, dass die bisherigen Maßnahmen nicht ausreichen.


Lehrkräfte im berufsbildenden Schulwesen

Die bundesweit leicht angestiegenen Studierendenzahlen für das berufliche Lehramt werden als Erfolg neuer Studienmodelle wie des Masterstudiums gewertet. Jedoch seien die Auswirkungen auf die Schulen noch nicht absehbar, da sich nicht alle Absolvent:innen nach dem Studium für den Lehrberuf entscheiden. Etwa ein Fünftel der Lehrkräfte an berufsbildenden Schulen hat keine Lehramtsausbildung. Mangel an Lehrkräften besteht bei den beruflichen Fachrichtungen sowohl in den gewerblich-technischen als auch in den sozialpädagogischen und pflegerischen Berufen.

Übergang zur Hochschule

Der Akademisierungsprozess der vergangenen Jahre, in dem sich der Anteil der Schulabsolvent:innen, die ein Studium aufnehmen, von circa einem Drittel im Jahre 2005 auf circa die Hälfte 2011 erhöhte, stagniert derzeit. Er werde sich jedoch nach neuesten Prognosen der Kultusministerkonferenz aufgrund der demografischen Entwicklung in den nächsten Jahren weiter fortsetzen. Um den Bedarf an hochqualifizierten Fachkräften in MINT-Fächern, vor allem der Informatik, im Lehramt und in der Medizin, künftig zu decken, wird angeregt, internationale Studierende noch besser zu integrieren. Zudem sei der sozialen Ungleichheit beim Zugang zum Studium, die sich während der gesamten Schulzeit aufbaut, stärker entgegenzuwirken. 78 Prozent der Kinder aus Akademiker:innenfamilien nehmen ein Studium auf, aber nur 25 Prozent aus Nichtakademiker:innenfamilien. Diese sollten beim Übergang von der Schule zur Hochschule besser beraten und informiert werden. Der Bildungsbericht bezieht sich hier auf wissenschaftliche Interventionsstudien: Die „Wahrscheinlichkeit einer Studienaufnahme bei studieninteressierten Schüler:innen aus nichtakademischen Elternhäusern“ habe sich um 12 Prozentpunkte erhöht, „wenn sie an einem nur 20-minütigen Workshop teilnahmen, in dem sie über die Kosten, die finanziellen Unterstützungsangebote und den Nutzen eines Studiums informiert wurden.“ (S. 213)

32 Prozent der Studierenden an Universitäten und Fachhochschulen haben ihre Hochschulreife im beruflichen Schulwesen erworben. Von ihnen stammten nur 25 bis 40 Prozent aus Akademiker:innenfamilien, im Unterschied zu 53 Prozent bei allen Studierenden. Das berufliche Schulwesen trägt insofern zur sozialen Öffnung bei und bildet ein gewisses Korrektiv der im dreigliedrigen Schulwesen aufgebauten sozialen Ungleichheit.


Weiterbildung

Berufliche Weiterbildung liegt zu circa 70 Prozent in betrieblicher Hand, ist staatlich nur indirekt über Anreize und Finanzierungshilfen lenkbar und kommt überproportional bereits gut vorgebildeten Personen zugute. Unter der Vielzahl an staatlichen sowie kommerziellen Anbietern wird die wachsende Rolle privater Fachhochschulen hervorgehoben, die häufig kurzfristiger auf die Nachfrage in der Weiterbildung reagierten als staatliche Hochschulen. Bei den Sprach- und Integrationskursen für Geflüchtete sei für die kommenden Jahre mit wachsendem Mangel an qualifizierten und pädagogisch gebildeten Lehrkräften zu rechnen, zumal die Arbeitsverhältnisse der Lehrkräfte zumeist ungesichert sind und deren Weiterqualifizierung oft allein von ihrem persönlichen Engagement abhängt.


Bildungsfinanzierung und Perspektiven

Relativ zur Wirtschaftsleistung blieben die Bildungsausgaben in den vergangenen Jahren weitgehend stabil und betrugen 264 Milliarden Euro im Jahr 2022. Eine wünschenswerte Steigerung der Ausgaben zur Lösung dringender Aufgaben sei nicht erfolgt. Stärker als bisher müsse an der Lösung sozialer Disparitäten und der Integration von Migrant:innen gearbeitet werden, um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken und zur Integration der Gesellschaft und Stabilisierung demokratischer Werte beizutragen. Der gezielte Einsatz von Finanzmitteln im neuen Startchancen-Programm wird als Schritt in die richtige Richtung eingeschätzt. Die GEW wird sich mit diesem Programm, bei dem berufsbildende Schulen bisher wenig berücksichtigt werden, weiterhin kritisch auseinandersetzen.

Der Bildungsbericht fordert, Ziele und Verantwortlichkeiten im pluralen Bildungswesen klarer zu fassen und zu koordinieren sowie Übergänge besser zu gestalten. Zudem sei ein wissenschaftsbasiertes Monitoring über Bildungsverläufe aufzubauen, um mit gesellschaftlichen Anforderungen wie Nachhaltigkeit und Integration Geflüchteter nicht nur reaktiv, sondern gestaltend umgehen zu können.

Seitenangaben beziehen sich auf: Autor:innengruppe Bildungsberichterstattung: Bildung in Deutschland 2024. Ein indikatorengestützter Bericht mit einer Analyse zu beruflicher Bildung, Berlin 2024, wbv, 399 Seiten. Der vollständige Bericht, ältere Ausgaben, verwendete Daten und eine Kompaktfassung können im Web aufgerufen werden unter: www.bildungsbericht.de

Der insider 2/2024, die Zeitschrift der GEWFachgruppe Berufsbildende Schulen Hessen, enthält auf S. 14/15 eine Stellungnahme des DGB zum Bildungsbericht 2024.