„Alles, was ihr tut, geschehe in Liebe“

Kirchliche Träger im Bereich der sozialpädagogischen Berufe | HLZ 9/10 2024

„Alles, was ihr tut, geschehe in Liebe“ (1. Kor 16, 14), so lautet die aktuelle Jahreslosung der evangelischen und katholischen Landeskirchen. Was kann alles in Liebe geschehen? Besonders in sozialpädagogischen Berufen ist Liebe ein nicht zu unterschätzendes Gefühl, wenn Kolleg:innen ihren Arbeitsalltag gestalten. Ist die Liebe zum Beruf bedingungslos? Im 1. Brief an die Korinther aus dem Neuen Testament der Bibel steht ebenfalls, dass unter Glaube, Hoffnung und Liebe die Liebe am größten sei. Doch um welche Liebe handelt es sich hierbei? Ist es die aus dem doppelten Gebot der Liebe, demzufolge Gott aus ganzem Herzen und ganzer Kraft geliebt werden soll und der Nächste zu lieben sei wie sich selbst? Wenn dem so wäre, und davon gehe ich zumindest erstmal aus, folgt daraus keine unbedingte Selbstlosigkeit der Kolleg:innen, die für kirchliche Träger arbeiten. Ebenfalls ist der Blick auf sich selbst, das Kollegium und die Fürsorgepflicht der Träger zu richten. Die Liebe zum Beruf ist also keine bedingungslose Liebe, sondern eine mit der Selbstfürsorge verknüpfte Liebe.

Erzieher:innen sind durchschnittlich häufiger krank als Angestellte in anderen Berufsfeldern, abgesehen von der Pflege. Die Ursachen sind vielseitig. Arbeitsbedingte Stressoren können dabei eine Rolle spielen – seien es Mehrarbeit und Überstunden, ein hohes Maß an Flexibilität oder berufsfremde Tätigkeiten. Diese sind nicht nur in Einrichtungen in kirchlicher Trägerschaft, sondern auch bei öffentlichen Trägern gegeben. Anzumerken ist allerdings, dass die Landeskirchen und deren Strukturen im Bereich der freien Träger gemessen an der Zahl der Arbeitsplätze und der Betreuungsplätze die größten Anbieter darstellen. Auch mit Blick auf den ländlichen Raum wird deutlich, welche Relevanz kirchliche Träger haben. Daher kann nicht gefordert werden, dass die Kirchen sich komplett aus dem sozialen und pädagogischen Raum fernhalten, auch wenn es dafür Argumente gäbe. Stattdessen muss die Notwendigkeit der betrieblichen Mitbestimmung betont werden.


Mitbestimmung bei kirchlichen Trägern

Für die Interessen der Beschäftigten ist bei kirchlichen Trägern die Mitarbeitervertretung zuständig. Deren Arbeit unterliegt anderen rechtlichen Bestimmungen als die eines Betriebsrats, denn sie basiert auf dem kirchlichen Arbeitsrecht und ist nicht durch das Betriebsverfassungsgesetz geregelt. Das führt zu einer deutlich schwächeren betrieblichen Mitbestimmung. Die Mitarbeitervertretung darf unter anderem nicht bei Veränderung der betrieblichen Arbeitszeit oder Auszahlungsmodalitäten mitbestimmen. Zudem sind die Rechte der Gewerkschaften eingeschränkt: Anders als im Betriebsverfassungsgesetz vorgesehen, haben Gewerkschaften keine Zugangs- und Beratungsrechte.

Die Kirche geht den sogenannten „dritten Weg“, mit dem sie eine alternative Route beschreite. Der „erste Weg“ sei der Weg, welcher nur durch den Arbeitgeber geebnet wird. Der Arbeitgeber regelt so einseitig ohne Mitbestimmung die Arbeitsbedingungen. Der „zweite Weg“ wird hingegen von Gewerkschaften über Tarifverträge maßgeblich mitverhandelt. Die Kirche vergisst dabei, dass auf dem „zweiten Weg“ die Tarifergebnisse bereits Kompromisse darstellen und die Gewerkschaften beziehungsweise Arbeitnehmer:innen nie alles bekommen, was sie fordern. Der Gedanke des „dritten Weges“ ist, dass sowohl Arbeitgeber:innen als auch Arbeitnehmer:innen dasselbe anstreben und sich daher auf Augenhöhe begegnen. Sie befinden sich schließlich auf dem diakonischen Pfad. Deshalb ist das Streikrecht als Mittel des Arbeitskampfes ausgeschlossen. Da Arbeitskampfmaßnahmen im sozialen Bereich eher die Kinder und Elternschaft träfen, seien diese nicht mit der Nächstenliebe zu vereinbaren. Ein Arbeitskampf wäre ein Kampf unter Geschwistern, welche nach demselben Ziel streben. Unter Geschwistern des Glaubens wird selbstverständlich nicht gekämpft und gestritten.

Der Antiochenische Streit darf dabei nicht berücksichtigt werden. Die anscheinend unrelevanten Apostel Paulus und Petrus stritten dabei um den Umgang mit Christen nichtjüdischer Herkunft. Petrus wollte nicht mit jenen Christen weiter essen, sodass Paulus Petrus unterstellte, nicht nach der Wahrheit des Evangeliums zu handeln (Gal 2, 14). Beide begegnen sich dabei auf Augenhöhe, allerdings nicht ohne unterschiedlicher Meinung zu sein. Paulus wird dabei in seinem Ausdruck recht angreifend, dennoch entsteht daraus keine Feindschaft. Paulus und seine Idee, dass die Einhaltung jüdischen Gesetzes keine christliche Vorschrift sei, setzt sich durch.


Sonderrechte für die Kirchen

Der Gedanke, sich bei Verhandlungen auf Augenhöhe zu begegnen, kann schön sein – aber nur, wenn alle Beteiligten das gleiche verdienen. Das könnte ein anzustrebender Sonderweg der Kirche sein. Eine Erzieherin, die ein genauso hohes Einkommen hat wie der Vorsitzende des Trägers: christlicher Sozialismus im Sinne der urchristlichen Gemeinde aus Jerusalem als wahrer „dritter Weg“.

Der „dritte Weg“, das eigene kirchliche Arbeitsrecht, wurde Ende der 1970er Jahre eingeführt, damit die Arbeitsverträge nicht nur durch die Arbeitgeberseite („erster Weg“) bestimmt werden. Dass Kirchen eigene arbeitsrechtliche Verfahren haben, liegt an Artikel 140 Grundgesetz, welcher unter anderem die Bestimmungen von Artikel 137 der Weimarer Verfassung aus dem Jahr 1919 zum Bestandteil des Grundgesetzes erklärt. Dieser Artikel sichert die Selbstbestimmungsrechte der Kirchen, welche auch das Arbeitsrecht beinhalten. Einerseits mögen manche Abschnitte dieses Artikels sinnvoll sein, beispielsweise dass durch sie eine Staatskirche ausgeschlossen wird. Andererseits kann die Frage gestellt werden, inwieweit die Religionsfreiheit mit einem eigenen Arbeitsrecht einhergehen muss. Diese Form kann den Eindruck erwecken, dass das kirchliche Sonderrecht zu einem Kirchenstaat im Staat führt. Dies sind Privilegien, welche anderen Arbeitgebern verwehrt sind.

Praktisch äußert sich das dadurch, dass Personen aus dem Dienst ausgeschlossen werden können, welche nicht der christlichen Religionsgemeinschaft angehören. Zudem können queere Menschen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung oder ihrer Geschlechtsidentität ebenfalls ausgeschlossen werden. Folglich ist dieser Quasi-Kirchenstaat ein mitunter diskriminierendes Organ, welches sogar einzelne Menschrechte einschränken kann. Die kirchlichen Arbeitgeber, darunter auch die Caritas, argumentieren, dass das daraus folgende Privileg keines sei, weil es bereits im Grundgesetz festgelegt ist. Artikel 140 könnte bei entsprechenden Mehrheiten allerdings abgeändert werden, da er nicht zu den ersten 20 Artikeln des Grundgesetzes gehört, für die eine „Ewigkeitsgarantie“ besteht. Insofern führt diese Argumentation ins Nichts.
Das Grundgesetz beinhaltet einige Normen aus der Weimarer Zeit, welche längst abgeschafft oder zeitgemäß abgeändert werden sollten, und auch bei diesem Artikel scheint mir dies angebracht. Angesichts steigender Austritte aus den Landeskirchen wäre zu empfehlen, die konservative Sackgasse zu verlassen und sich auf einen progressiven Weg zu begeben. Zu wissen, dass kirchliche Träger diskriminierende Tatsachen schaffen, mag für viele ein Grund sein, aus der Kirche auszutreten oder dort nicht beruflich tätig zu werden.


Schlechtere Arbeitsbedingungen auf dem „dritten Weg“

Kernstück des „dritten Weges“ ist die paritätisch besetzte Arbeitsrechtliche Kommission, welche die Regelungen im Diskurs bestimmt. Paritätisch besetzt bedeutet, dass die Arbeitgeber- und die Arbeitnehmerseite gleichviele Personen benennt. Wenn die Kommission zu keinem Kompromiss kommt, können beide Seiten eine Schlichtung beantragen. Der Vorsitz des Schlichtungsausschusses wird per Los bestimmt, wenn es zu keiner Einigung kommt. Inwieweit der Vorsitz unabhängig ist, bleibt fraglich. Praktisch führt der „dritte Weg“, welcher sich ursprünglich am Tarifvertrag des öffentlichen Dienstes orientierte, zu schlechteren Arbeitsbedingungen. Der „dritte Weg“ mag wie eine alternative Route wirken, führt aber auf den „ersten Weg“ zurück. Nur Tarifverträge, welche mit den Gewerkschaften vereinbart werden, ermöglichen Verhandlungen auf Augenhöhe.

Unsere DGB-Schwestergewerkschaft ver.di setzt sich unter anderem für das Altenpflegepersonal bei diakonischen Trägern ein. In Hessen konnte ver.di 2022 einen Tarifvertrag mit diesen abschließen. Dabei begegneten sich beide Seiten tatsächlich auf Augenhöhe. Dennoch beharren kirchliche Träger weiterhin auf ihrem Sonderstatus. Weitere Initiativen der Gewerkschaften, welche die Mitbestimmung und das Streikrecht betrafen, sind teilweise gescheitert. Es ist relevant, kirchliche Träger und ihr eigenes Arbeitsrecht im Blick zu haben und kontinuierlich auf deren ausschließende Strukturen aufmerksam zu machen. Es ist an der Zeit, gemeinsam die Arbeitsbedingungen bei kirchlichen Trägern zu verändern. Die GEW setzt sich vielseitig für kirchliche Angestellte ein, sei es rechtsberatend oder mit Kundgebungen und Demonstrationen. Es darf keine Angestellten zweiter Klasse geben! Ein Ende des „dritten Weges“ sollte daher erkämpft werden. Es bedarf betrieblicher Mitbestimmung und des Abschlusses von Tarifverträgen wie bei öffentlichen Trägern: Zur Not auch mit Streik, dann aber aus und mit voller Liebe! Denn: „Alles, was ihr tut, geschehe in Liebe.“