Wer soll das alles bezahlen?

Die Bildungsausgaben sind in Deutschland weiter relativ gering

HLZ März/April 2023

Deutschland gibt – gemessen an seiner Wirtschaftsleistung, dem Bruttoinlandsprodukt (BIP) – im internationalen Vergleich relativ wenig Geld für Bildung aus. Die entsprechenden Vergleichszahlen können der aktuellen OECD-Datenbank entnommen werden: Danach betragen die Ausgaben von den Kitas bis zu den Hochschulen (ohne Ausgaben für Forschung) 4,9 Prozent und liegen damit unter dem OECD-Durchschnitt von 5,3 Prozent. Um etwa mit Großbritannien (6,1 Prozent) gleichzuziehen, müssten die deutschen Bildungsausgaben um 45 Milliarden Euro steigen. Wollte Deutschland gar den Spitzenwert von Norwegen (7,9 Prozent) erreichen, dann wären Mehrausgaben in Höhe von gut 120 Milliarden Euro (!) erforderlich.


Die relativ geringen Bildungsausgaben Deutschlands korrespondieren mit erheblichen Mängeln: Es fehlen Erzieherinnen und Erzieher in den Kitas und Lehrkräfte an den Schulen, und auch an den Hochschulen sind die Personalschlüssel zu gering bemessen. Zudem besteht bei der Bildungsinfrastruktur ein erheblicher Investitionsstau. So weist das aktuelle KfW-Kommunalpanel im Schulbereich einen Investitionsrückstand von 45,6 Milliarden Euro aus, bei den Kitas von 10,6 Milliarden.

Die Politik steckt den Kopf in den Sand

Obwohl der Fachkräftemangel und der Investitionsstau im deutschen Bildungssystem nicht zu leugnen sind, werden diese häufig ignoriert oder kleingeredet. Selbst eine genaue Bestandsaufnahme der Mängel, etwa die detaillierte Erhebung des Investitionsstaus im hessischen Schulbereich, wird von der Landesregierung seit Jahren verweigert. Die Vorschläge zur Beseitigung oder Linderung von Problemen erweisen sich unter Umständen sogar als kontraproduktiv.


Ein Beispiel dafür sind die aktuellen Vorschläge der Ständigen Wissenschaftlichen Kommission der Kultusministerkonferenz, die mit Forderungen nach Arbeitszeitverlängerung, größeren Klassen und einer Beschränkung der Möglichkeit zur Teilzeitbeschäftigung den Lehrkräftemangel gerade nicht reduzieren, sondern perspektivisch weiter verschärfen werden (HLZ S. 24f.).


Bereits vor der Corona-Pandemie lag die durchschnittliche Wochenarbeitszeit von Lehrkräften nach den Ergebnissen der von der GEW Frankfurt und der GEW Hessen durchgeführten Frankfurter Arbeitszeit- und Arbeitsbelastungsstudie bei fast 48 Stunden (HLZ S.14f.). Die Herausforderungen der letzten Jahre haben das Ausmaß der Belastung weiter vergrößert, so dass auch die Überlegung, Teilzeitarbeit für Lehrerinnen und Lehrer zu erschweren, eine abwegige Überlegung ist. Diese dürfte dazu führen, dass viele Lehrkräfte deutlich länger in Elternzeit bleiben, denn schließlich muss die Betreuung kleiner Kinder gewährleistet sein. Zudem arbeiten viele Lehrkräfte aufgrund ihrer bereits jetzt zu hohen Belastung nicht in Vollzeit, da sie einen qualitativ guten Unterricht leisten und ihre Gesundheit erhalten wollen – das heißt, sie verzichten faktisch auf einen Teil ihrer Entlohnung, um einen qualitativ guten Unterricht zu leisten. Eine Einschränkung von Teilzeitbeschäftigung dürfte die Zahl erkrankter Lehrkräfte weiter erhöhen.
 

Höhere Bildungsausgaben sind nötig …

Tatsächlich müsste es gerade angesichts eines prognostizierten sinkenden Arbeitskräftepotenzials darum gehen, Beschäftigung im Bildungsbereich attraktiver zu machen, denn schließlich ist gute Bildung aus gesellschaftlichen und auch aus wirtschaftlichen Gründen elementar. Eine Verschlechterung der Arbeitsbedingungen ist kontraproduktiv, wenn zusätzliche Studierende für Lehrämter gewonnen werden sollen.


Zudem gibt es gute gesamtwirtschaftliche Gründe, gerade die Bereiche der personenbezogenen Dienstleistungen – und hier insbesondere Bildung sowie Gesundheit und Pflege – zu stärken. Zum einen wird sich auch in Zukunft der Trend fortsetzen, dass der produzierende Bereich durch Rationalisierungsmaßnahmen und damit einhergehende Produktivitätsfortschritte an Beschäftigungsmöglichkeiten einbüßt. Demgegenüber werden etwa im Bildungsbereich und in der Kranken- und Altenpflege, die wenig oder gar keine Rationalisierungspotenziale aufweisen, dringend Beschäftigte gesucht.


Zum anderen weist Deutschland seit Jahren einen hohen Überschuss im Außenhandel auf, und dies insbesondere durch den Export von materiellen Gütern. Ein Exportüberschuss aber bedeutet, dass Deutschland insgesamt unter seinen Verhältnissen lebt, da es mehr produziert, als es selbst verbraucht. Auch aus Sicht des Auslands ist der permanente deutsche Außenhandelsüberschuss kein Grund zur Freude, denn aus dieser Perspektive ist der deutsche Export auch ein Export der deutschen Arbeitslosigkeit. Es wäre daher sinnvoll, die Wertschöpfung in Deutschland stärker binnenorientiert auszurichten – und hier liegt eine Stärkung des Bildungssystems auf der Hand. Da es sich dabei um einen vor allem öffentlich finanzierten Bereich handelt, stellt sich die Frage der Finanzierung.


Der im Jahr 2009 gefasste Beschluss, die Schuldenbremse im Grundgesetz zu verankern, hat den Spielraum in den öffentlichen Haushalten massiv eingeschränkt. Durch die Schuldenbremse ist eine Kreditfinanzierung von staatlichen Investitionen so gut wie untersagt. Die Warnung, dass sich hierdurch der schon bestehende Investitionsstau vergrößern wird, hat sich voll und ganz bewahrheitet: Allein im Bereich der Bildungsinfrastruktur, also insbesondere bei Kitas, Schulen und Hochschulen, beläuft sich dieser auf rund 100 Milliarden Euro.
 

… und ein Umsteuern ist auch finanzierbar

Da sich die Schuldenbremse als Investitionsbremse erwiesen hat, müsste sie eigentlich abgeschafft werden. Da hierzu aktuell (noch) der politische Wille fehlt, wird sie mittlerweile in großem Umfang umgangen: So speist die Bundesregierung ihren Klima- und Transformationsfonds mit Mitteln in Höhe von 60 Milliarden Euro. Die Kreditaufnahme in dieser Größenordnung erfolgt, indem nicht genutzte Kreditermächtigungen zur Bekämpfung der Coronakrise verwendet werden. Aber der Klima- und Transformationsfonds ist nicht das einzige Sondervermögen, mit dem die Schuldenbremse faktisch umgangen wird: Dies erfolgt auch bei der Finanzierung von Strom- und Gaspreisbremsen durch den Wirtschaftsstabilisierungsfonds oder das gleich im Grundgesetz verankerte „Sondervermögen Bundeswehr“ in Höhe von 100 Milliarden Euro. Auf Basis dieser Summe hätte auch ein „Sondervermögen Schulinfrastruktur“ im Grundgesetz verankert werden können – und das Thema Investitionsstau in Kitas, Schulen und Hochschulen wäre von der Tagesordnung verschwunden.


Neben dem Bund umgehen mittlerweile auch einzelne Bundesländer die Schuldenbremse. Sowohl das Saarland als auch der Stadtstaat Bremen haben kreditfinanzierte Sondervermögen in Höhe von drei Milliarden Euro beschlossen, um damit einen Transformationsfonds bzw. einen Krisenfonds zur Bewältigung des Strukturwandels finanziell auszustatten. SPD und Bündnis 90/Die Grünen in Niedersachsen haben im Koalitionsvertrag die Einrichtung eines Niedersachsenfonds festgeschrieben, der klimaverträgliche Investitionen in den Wohnungsbau, die Hochschulen, die Schulen und die Krankenhäuser tätigen soll. Auch in Hessen wäre trotz des Urteils des Staatsgerichtshofs gegen das Sondervermögen der schwarz-grünen Landesregierung eine Umgehung der Schuldenbremse möglich (HLZ S.26f.).
 

Ungleichverteilung durch Steuerpolitik korrigieren

In Deutschland weisen verschiedene Indikatoren wie die stetig steigende Armutsquote darauf hin, dass die Ungleichheit in den vergangenen zwei Jahrzehnten zugenommen hat. Besonders ungleich sind die Vermögen verteilt: Auf die reichsten zehn Prozent entfallen rund zwei Drittel des Gesamtvermögens. Nach Angaben der Nothilfe- und Entwicklungsorganisation Oxfam besitzen die sechs reichsten Milliardäre in Deutschland mehr als die ärmsten 40 Prozent der Bevölkerung. Eine höhere Besteuerung von großen Vermögen könnte genug Geld mobilisieren, um im Bildungsbereich in der mittleren Frist für mehr Beschäftigung zu sorgen. Die beiden wesentlichen Steuerarten zur Besteuerung von Vermögensbeständen sind neben der Grundsteuer die Erbschafts- und Vermögensteuer, deren Aufkommen in Deutschland ausschließlich den Bundesländern zufließt. Durch eine allgemeine Vermögensteuer, die Vermögen ab einer Millionen Euro belastet und deren Steuersatz moderat von ein bis auf zwei Prozent ansteigt, und durch eine angemessene Belastung von großen Unternehmenserbschaften würden dem hessischen Landeshaushalt Mittel in Höhe von mehr als drei Milliarden Euro zufließen.
 

Mehr Geld für gute Bildung

Zur vergangenen Landtagswahl hatte die GEW Hessen ein Sofortprogramm in Höhe von 500 Millionen Euro gefordert. Angesichts der mittlerweile größer gewordenen Probleme erscheint die Forderung nach einem doppelt so großen Sofortprogramm berechtigt, das alle Bereiche des hessischen Bildungssystems erfasst. Im Schulbereich etwa wären für eine gewisse Zeit zusätzliche und gut ausgestattete Maßnahmen zur Qualifizierung von Quer- und Seiteneinsteiger:innen notwendig. Damit wäre den Schulen kurzfristig geholfen und auch den Vertretungslehrkräften, die sich von Vertrag zu Vertrag hangeln und nach 5 Jahren vor die Tür gesetzt werden. Ihnen könnte so eine dauerhafte Perspektive und auch ein Aufstieg bei der Bezahlung geboten werden. Auch die neue tarifvertraglich vereinbarte Entgeltordnung bietet Aufstiegschancen in Abhängigkeit von Berufsjahren und Fortbildung (HLZ S.34f.). Geld kostet auch die dringend erforderliche Entlastung der Lehrkräfte durch eine Reduzierung der Klassengrößen und eine Senkung der Pflichtstundenzahl.


Auch das ist finanzierbar: Eine Senkung der Klassenobergrenze auf maximal 23 Kinder und Jugendliche und auf 20 Kinder an Grundschulen und eine Reduzierung der Pflichtstunden um 1,5 Pflichtstunden würde in Hessen rund 450 Millionen Euro kosten. Beide Maßnahmen wären pädagogisch sinnvoll und würden zudem den Beruf für künftige Lehrkräfte attraktiver machen.


Auch die Forderung, die Besoldung der Grundschullehrkräfte an die aller anderen Lehrämter anzupassen, galt lange als „nicht finanzierbar“ und als das „Wolkenkuckucksheim“ der GEW. In der Kampagne der GEW „Zeit für mehr Zeit – Zeit für gute Bildung“ wollen wir den Schwung mitnehmen und vor der Landtagswahl die berechtigten und finanzierbaren Forderungen für gute Bildung und gute Arbeitsbedingungen in den Bildungseinrichtungen auf die Tagesordnung setzen.
Kai Eicker-Wolf