„Es gibt halt keine Lehrkräfte...“

HLZ März/April 2023

Forderungen nach kleineren Klassen und besseren Arbeitsbedingungen werden in der letzten Zeit nur noch mit dem Hinweis zurückgewiesen, man würde ja gerne, aber es gebe ja nun einmal keine Lehrkräfte. Und das Mantra vom Lehrkräftemangel soll jetzt auch noch für eine weitere Verschlechterung der Lern- und Arbeitsbedingungen herhalten, wie die Wissenschaftliche Kommission der Kultusministerkonferenz (KMK) empfiehlt (HLZ S.24f.).


Die GEW hat auf fehlerhafte Berechnungen und mangelnde Vorausschau der KMK schon hingewiesen, als andere noch von der „demografischen Rendite“ sprachen, mit der man die Probleme im Bildungswesen lösen könne. Auch jetzt ist die GEW nicht untätig und hat auf allen Ebenen konkrete Vorschläge vorgelegt, wie dem Lehrkräftemangel mittelfristig beizukommen ist und was kurzfristig getan werden kann. Das 15-Punkte-Programm gegen den Lehrkräftemangel fasst die wichtigsten Vorschläge und Forderungen zusammen (1). Diese reichen von einem besseren Gesundheitsschutz zur Vermeidung von Frühpensionierungen und besseren Arbeitsbedingungen, die junge Menschen motivieren können, den Beruf zu ergreifen, über den Ausbau der Studienplätze und die Abschaffung des NC bis zur Anerkennung von ausländischen Abschlüssen und zu einem „gemeinsamen Kraftakt Quer- und Seiteneinstieg“.


Die hohe Zahl von Lehrkräften ohne grundständige Lehrkräfteausbildung an hessischen Schulen war im Januar einmal mehr auch Thema im Kulturpolitischen Ausschuss des Landtags. Den höchsten Anteil verzeichnen die Grundschulen, wo 24 % der Lehrkräfte kein Lehramt haben und damit zumeist nur befristet beschäftigt sind. Doch statt diese Kolleginnen und Kollegen berufsbegleitend zu qualifizieren und dauerhaft in die Kollegien zu integrieren, droht vielen von ihnen nach fünf Jahren das Aus. Vermehrt wird die GEW wieder mit Fällen konfrontiert, wo befristet Verträge ausschließlich deshalb nicht verlängert werden, um das Risiko einer erfolgreichen Entfristungsklage zu minimieren: Statt erfahrene und bewährte Vertretungskräfte weiter zu beschäftigen, werden wieder neue Vertretungskräfte ohne jede Unterrichtserfahrung eingestellt, um die Lücken zu stopfen.


Auch die GEW Hessen setzt deshalb auf eine berufsbegleitende Qualifizierung und Weiterbildung von Quereinsteigerinnen und Quereinsteigern mit einer ausreichenden Freistellung, einer Entlastung der  Mentorinnen und Mentoren in den Schulen und einer verlässlichen Berufs- und Aufstiegsperspektive. Nachdem das Hessische Kultusministerium lange gemauert hat und sogar davon sprach, der Lehrkräftemangel in den Grundschulen sei spätestens 2025 „beendet“, haben jetzt erste Gespräche mit der GEW über eine Qualifizierungs­offensive für den Quereinstieg begonnen.


Dass gerade beim Quereinstieg, ohne den kurzfristig keine Entspannung in Sicht ist, eine bundesländerübergreifende Koordination erforderlich ist, um den begrifflichen und rechtlichen Wirrwarr zu ordnen,  ist auch Gegenstand einer Expertise von Mark Rackles „Wege aus dem Lehrkräftemangel“ (2). Der ehemalige Berliner Staatssekretär für Bildung, Jugend und Wissenschaft (2011-2019) schlägt zur Koordination der Maßnahmen gegen den Lehrkräftemangel einen Staatsvertrag der Bundesländer vor, der eine gesetzliche Verpflichtung „zum  Aufbau und Erhalt von Mindestkapazitäten in den Ausbildungsstrukturen“ normiert.


Harald Freiling, HLZ-Redakteur

(1) https://www.gew.de/15-punkte-gegen-lehrkraeftemangel
(2) Mark Rackles: Wege aus dem Lehrkräftemangel. Zukunftsvertrag Lehrkräftebildung und bundesweite Ausbildungsoffensive 2023-2032. Hrsg.: Rosa-Luxemburg-Stiftung. Berlin Dezember 2022 (Download: https://rackles.com  und https://www.rosalux.de )