Aufgewertet? Noch lange nicht

Arbeitsbedingungen im Sozial- und Erziehungsdienst verbessern

HLZ März/April 2023

Bei Erscheinen dieser HLZ streiten die Kolleginnen und Kollegen im öffentlichen Dienst des Bundes und der Kommunen für 10,5 Prozent mehr Lohn, mindestens 500 Euro, und für Verbesserungen für Auszubildende. Zum Geltungsbereich des Tarifvertrags für den öffentlichen Dienst (TVöD) zählen auch die Beschäftigten der Kommunen, die dem Sozial- und Erziehungsdienst (SuE) zugeordnet werden und als Erzieher:innen oder Sozialarbeiter:innen arbeiten.


Während es aktuell um eine Lohnrunde geht, in der die Tabellenentgelte verhandelt werden, gab es bereits im vergangenen Jahr die sogenannte Aufwertungsrunde für den SuE-Bereich. Bei der Bewertung ihrer Ergebnisse beantworteten Rüdiger Bröhling und Andreas Werther im Rahmen eines Artikels in der HLZ 9-10/2022 (S.16) die berühmte Frage, ob das Glas eher „halb voll oder halb leer“ ist, mit der Tendenz zu einem „halb vollen Glas“. Mit der Einführung von Regenerationstagen und der SuE-Zulage und mit der perspektivischen Verkürzung der Stufenlaufzeiten im Jahr 2024 wurden wertvolle Verbesserungen erreicht.


An dieser Stelle soll die Frage nach dem Stand der Aufwertung nicht nur unter tarifpolitischen Aspekten betrachtet, sondern auch aus gesellschaftspolitischer Perspektive in den Blick genommen werden.
 

Rechtsanspruch zu Lasten der Beschäftigten

In den Kitas nimmt die Arbeitsbelastung nicht erst seit den beschwerlichen Umständen der Coronapandemie zu. Ein gesundheitsbedrohender Arbeitsalltag mit hohen psychischen und körperlichen Belastungen, mit Lärm und Infektionen führt zu einer hohen Krankenquote. Viele Erzieher:innen arbeiten in Teilzeit und können sich nicht vorstellen, den Beruf bis zur Rente auszuüben, viele steigen aus.


Die Arbeitssituation in den Kitas wurde maßgeblich durch den forcierten Ausbau des Rechtsanspruches auf Kinderbetreuung zugespitzt. Die Ausweitung des Rechtsanspruchs wurde dabei allerdings nicht von entsprechenden Strategien zur Fachkraftgewinnung, z.B. einer massiven Ausbildungsinitiative, flankiert. Es lässt sich durchaus davon sprechen, dass der Gesetzgeber sehenden Auges die mangelnde personelle Ausstattung und die damit verbundene Überlastung der Beschäftigten in Kauf genommen hat.


Ähnlich verhält es sich in anderen Berufszweigen der Sozialen Arbeit. „Überlastung“ ist der zentrale Begriff, um die Stimmung der Kolleg:innen zu kennzeichnen. Zunehmend schwierigeren sozialen Problemlagen bei vielen Menschen und einem wachsendem Bedarf an Hilfen steht zu wenig Personal gegenüber. Auch hier hat die Politik das Problem der steigenden Bedarfe nicht mit einer Ausweitung von Einrichtungen und zusätzlichem Personal beantwortet. Erhöht haben sich für die Beschäftigten vor allem die Fallzahlen.


Dequalifizierung? Aufwertung geht anders!

Aufwertung muss auch als Prozess verstanden werden, der Anerkennung und Wertschätzung mit sich bringt. Dies äußert sich nicht nur hinsichtlich tarifpolitischer Aspekte, sondern auch maßgeblich in befriedigenden Arbeitsbedingungen und der Bereitstellung von ausreichenden Ressourcen.


Doch das Gegenteil ist der Fall: Im Kitabereich droht eine Dequalifizierung der Profession. Unter dem Druck des Fachkraftmangels schlägt die hessische Landesregierung einen gefährlichen Weg ein: Sie beginnt den Begriff der Fachkraft zu verwässern und aufzuweichen. Somit wird nicht nur die pädagogische Arbeit in den Kitas selbst entwertet, sondern zugleich auch das ganze Ausmaß des Fachkraftmangels verschleiert. Denn wenn fachfremde Zusatzkräfte in immer größerem Umfang auf den Fachkraftschlüssel angerechnet werden, hat man eben nicht mehr Fachkräfte ausgebildet, sondern nurmehr einen größeren Personenkreis zu Fachkräften erklärt.


Die Qualität der Arbeit kommt durch permanente Überlastung und Fachkraftmangel stark unter Druck. In dieser Situation sendet der von der Bundesregierung auf den Weg gebrachte, als planlos zu bezeichnende und schlecht flankierte Rechtsanspruch auf Ganztag im Grundschulalter das fatale Signal an die Kolleg:innen: Lasst alle Hoffnung fahren, es ist kein Land in Sicht, eine Perspektive auf Verbesserung der Situation besteht nicht!
 

Die Qualität der Arbeit ist in Gefahr

Gefragt ist das Gegenteil: Eine glaubwürdige Strategie zur Überwindung der aktuellen Situation muss her, damit Fachkräfte gehalten, gewonnen oder auch wiedergewonnen werden können. Es gibt viele sinnvolle Ideen, wie die Arbeitsbedingungen verbessert werden können: mehr Investitionen in Gesundheitsschutz, Aufstiegsmöglichkeiten für Erzieher:innen und vieles mehr. Sollten solche Verbesserungen tatsächlich in Angriff genommen werden, müssten sie in eine glaubwürdige Perspektive zur Überwindung des Fachkraftmangels und der gesellschaftlichen Aufwertung des Berufsfeldes eingebunden sein, um nachhaltig Wirkung zu entfalten.
 

Wichtige Inhalte einer solchen Strategie wären
  • eine massive Ausbildungsinitiative mit bezahlten Ausbildungsgängen,
  • ein ehrlicher Umgang mit der Dimension des Fachkraftmangels, also keine Anrechnung von Nichtfachkräften auf den Fachkraftschlüssel und verbindliche Qualifizierungsangebote für Zusatzkräfte,
  • eine verlässliche Bestandsaufnahme in allen hessischen Kommunen zur derzeitigen personellen Ausstattung im Ganztag als Basis, um den Prozess zur Realisierung des Ganztagsanspruchs ab 2026 politisch steuern zu können,
  • eine intensive Qualitätsdebatte, die einerseits verbindliche Kriterien erarbeitet und andererseits Maßnahmenpläne entwirft, die bei Unterschreitung des Fachkraftmindestbedarfs angeben, was noch leistbar ist und was nicht,
  • attraktive Arbeitsbedingungen mit Gehaltsverbesserungen, Gesundheitsschutz, Entwicklungsmöglichkeiten und kleineren Gruppen bzw. niedrigeren Fallzahlen und
  • nicht zuletzt eine zwingende Tariftreue bei der Auftragsvergabe an freie Träger, denn noch immer arbeiten viele SuE-Kolleg:innen unter dem Niveau des TVöD.


Ohne umfangreiche Investitionen im Bereich der frühkindlichen Bildung und der Sozialen Arbeit ist die eben skizzierte Strategie nicht umsetzbar. Dass die finanziellen Mittel vorhanden wären, verdeutlicht Kai Eicker-Wolf in seinem Beitrag in dieser HLZ (S.18-19). Die Sondervermögen während der Coronapandemie und zur immensen Aufrüstung der Bundeswehr zeigen: Das Geld ist da. Zudem ist eine höhere Besteuerung der Superreichen und der Unternehmensgewinne unerlässlich. Es fehlt aber letztendlich am politischen Willen, den Sonntagsreden zur Bedeutung des Sozial- und Erziehungsdienstes Taten folgen zu lassen. Die gesellschaftspolitische Aufgabe besteht darin, den nötigen Druck auf die Akteur:innen in Bund, Ländern und Kommunen zu entfalten. Ohne eine verbesserte solidarische Bezugnahme auf die Beschäftigten in den Care-Berufen und eine wirkungsvolle Allianz mit den Adressat:innen der Arbeit des Sozial- und Erziehungsdienstes, also Eltern und Familien sowie Klient:innen aller Generationen, wird der nötige Druck kaum aufzubauen sein.


Isabel Carqueville, Rüdiger Bröhling und Andreas Werther

Aktuelle Beiträge und weiterführende Artikel aus der Arbeit der GEW-Fachgruppe Sozialpädagogische Berufe findet man auf der Homepage der GEW: https://www.gew-hessen.de/bildungspolitik/sozialpaedagogische-berufe