Werbung in der Schule

Kinder als interessante Zielgruppe für die Werbewirtschaft

Foto: Manfred Jahreis, www.pixelio.de

Lehrerinnen und Lehrer begleiten junge Menschen, sie helfen ihnen, sie fordern sie heraus und sie fördern sie, wenn sie ins Stolpern geraten. Sie bieten Verlässlichkeit und sind Vertrauenspersonen, die Kinder schützen, an die sich Kinder wenden und an denen sie sich auch abarbeiten können. Und sie gestalten Räume, sei es den Gruppenraum in der Kita oder den Klassenraum in der Schule, die Flure, die Waschräume oder den Pausenhof. Diese Räume, die Pädagoginnen und Pädagogen mit Kindern gestalten, bewahren und pflegen, sind wertvoll. So wertvoll, dass auch andere daran Interesse haben.

Grundsteine für Markenbindung

Zugang zu den pädagogischen Schutzräumen und zu den Kindern, die sich dort aufhalten, sucht vor allem auch die werbetreibende Industrie, denn „Kinder und Jugendliche sind die Kunden und Mitarbeiter, aber auch die Unterstützer und Gestalter der Zukunft“. Zu den Dienstleistern, die dafür sorgen, „dass die Ansprache von Jungen und Mädchen gelingt“, gehört unter vielen anderen das Kinder- und Jugendmarketing Kontor (KjMK) in Rheinbach bei Bonn, das auf seiner Internetseite die folgenden „Zehn Gründe für das Kinder- und Jugendmarketing“ präsentiert (1):

  • Kindheit und Jugend prägen das gesamte Leben: Der Grundstein für Markenbindung und Customer-Lifetime-Value wird in der Kindheit gelegt.
  • Jugendkultur ist die Leitkultur der Gesellschaft: Wer bei jungen Menschen ankommt, erreicht die Mitte der Gesellschaft.
  • Kinder und Jugendliche sind relevante Käufergruppen.
  • Kinder und Jugendliche beeinflussen Familie und Freunde: Von der Pester Power (2) bis zum geschätzten Ratgeber
  • Kinder und Jugendliche sind die Kunden, Unterstützer und Mitarbeiter der Zukunft: Langfristig denken zahlt sich aus.
  • Bewusst oder unbewusst: Jedes Unternehmen hat Kontakte zu Kindern. Man kann nicht nicht kommunizieren.
  • Um Kinder bemühen – Eltern gewinnen: Wertschätzung für die nächste Generation wird mit Sympathie belohnt.
  • Kinder- und Jugendmarketing wirkt nach innen: Sympathie, Loyalität, Mitarbeiterbindung
  • Vorreiter in der eigenen Branche sein: Differenzierungsmöglichkeiten nutzen
  • Die Innovationskraft profitiert: Auseinandersetzung und Austausch mit Jugendlichen gibt Impulse.

Hinter jeder dieser Überschriften verbirgt sich eine Denkweise, die Kinder zu Rezipienten einer psychologisch durchdachten Strategie zu machen. Neben KJMK gibt es zahlreiche professionelle Agenturen, die sich darauf spezialisiert haben, ausgefeilte Strategien für die Ansprache von Kindern und Jugendlichen zu entwickeln und zu verkaufen. Sie heißen dann „cobra youth communications“, „Agentur Junges Herz“, „capito“ oder „Full Moon Kids“. Was sie machen, nennt sich „Bildungskommunikation“, „Bildungsmarketing“ oder schlicht „Werbung am Kind und Jugendlichen“. Und in diesen Strategien spielen Kindergärten und Schulen eine herausragende Rolle, denn das sind die Orte, an denen die „Zielgruppe“ eine nicht unbeträchtliche Zeit ihres Lebens verbringt und in denen man die „Zielgruppe“ ohne „Streuverluste“ erreichen kann, weil sich der Adressat der Werbung und Marketingansprache nicht entziehen kann. Für Professor Tim Engartner (Goethe-Universität Frankfurt) ist belegt, „dass man nur ein Viertel des Budgets braucht, um bei Kindern denselben Werbeeffekt zu erzielen wie bei Erwachsenen“ (3).

Lernen ist pädagogisch betrachtet eine Herausforderung, bei der man sich mit Offenheit ständig auf Neues einlassen muss. Das fordern Erzieherinnen, Erzieher und Lehrkräfte täglich ein. Diese „vielen ersten Male“ in gelingenden Bildungsprozessen sind auch für die Werbung von großem Interesse: „Sie [die Kinder] sind jederzeit umgeben von neuen Eindrücken und Erlebnissen, Persönlichkeiten und Vorbildern, neuen Informationen und Entwicklungen – kaum etwas ist schon einmal da gewesen. Diese ‚vielen ersten Male‘ verankern sich besonders stark und tragen zur Persönlichkeitsbildung bei.“ (KJMK: Zehn Gründe)

Die Agentur „Junges Herz“ bietet einen Einblick in die Werkzeugkiste der Marketingstrategien, die unmittelbar auf Kinder und Jugendliche abzielen: „Plakate aufhängen, Postkarten verteilen, Collegeblöcke verteilen, Spiegelfolien anbringen, Flyer verteilen, Social-Media direkt im Schulumfeld, Hand-To-Hand-Promotion vor Schulen, Events in Schulen organisieren, Unterrichtsmaterial entwickeln, Lehrermarketing betreiben, Verteilung von Stundenplänen, Verteilung von Malheften“ (4)

Manches kommt recht plump daher und doch schaffen es Plakate, Stundenpläne oder Schuljahreskalender mit Werbeaufdrucken immer wieder in die Schulen. „Elaborierte“ Konzepte sehen jedoch anders aus: So berichtete die HLZ über eine Aktion des Möbelherstellers Porta, die inzwischen auch im hessischen Landtag problematisiert wurde und das Kultusministerium zu einem Rückzieher veranlasste (HLZ 5/2018). In diesem Fall bot die Agentur PieFive Grundschulen an, in einigen Unterrichtsstunden durch externe Experten eine Unterrichtseinheit zur Verkehrserziehung durchzuführen. Die Klassenlehrerin oder der Klassenlehrer darf dabei sein und die Kinder freuen sich über die Abwechslung im schulischen Alltag. Eine wichtige Botschaft im Rahmen dieser Einheit ist natürlich das Risiko von Kopfverletzungen. Da arbeitet man auch direkt zusammen mit einer renommierten Stiftung, die sich besonders um derartige Prävention bemüht und auch vollkommen unabhängig ist. Und man hat sogar einen Partner gefunden, der die so wichtigen Fahrradhelme für die Kinder bereitstellt und verschenkt. Und die dürfen sich die Schülerinnen und Schüler als „Belohnung“ am Wochenende in Begleitung ihrer Eltern direkt in der nächsten Filiale des Möbelhauses Porta abholen.

Schulräume als Werbeflächen

Große Unternehmen von Aldi, Lidl über McDonalds bis Galeria Kaufhof sind Partner der 2008 gegründeten Strahlemann-Stiftung, der Bildung „Herzenssache“ ist:„Wir sind überzeugt: Bildung ist der Schlüssel zu einem selbstbestimmten Leben, zu Unabhängigkeit und attraktiven Zukunftschancen. Zu Glück.“ (5)

Wer wollte dem widersprechen! Auf diesem Weg berät die Strahlemann-Stiftung Schulen und Unternehmen „bei allen Schritten und Aktionen rund um die Talent Company und Berufsorientierung“ und hilft den Schulen, spezielle Räume dafür auszustatten. Die Mittel für die Ausstattung von solchen Räumen kommen von den Partnerunternehmen der Stiftung: Eine DIN-A0-Plakatfläche an der „JobWall“ kostet 700 Euro pro Jahr. Ein Quadratmeter kostet 845 Euro oder 145 Euro pro Schülerin und Schüler. Für eine ganze „TalentCompany“, mit der man mindestens 350 Schülerinnen und Schüler erreicht, sind 50.000 Euro zu zahlen:
„Ihr Unternehmen geht eine langfristige Patenschaft mit einer Schule ganz in Ihrer Nähe ein.“ (6)

Die eigentliche Zielsetzung, Kinder und Jugendliche frühzeitig an bestimmte Marken und Namen zu binden, ist für Pädagoginnen und Pädagogen aufgrund der geschickten Verpackung oft auf den ersten Blick nicht als solche zu erkennen. Und selbst auf den zweiten Blick bedarf es neben Zeit und Sensibilität auch immer wieder der aufwändigen Recherche, um die Netzwerke und Finanzierungsmodelle hinter einem Schulwettbewerb oder Unterrichtsmaterial zu entschlüsseln. Und wenn werbelastige Projekte doch mal in die öffentliche Kritik geraten, wie dies beispielsweise bei dem Laufwettbewerb „Speed4“ der Fall war (HLZ 3/2017), der mit Regionalfinalen in Auto-, Möbelhäusern oder Einkaufzentren endete, dann wechselt entweder die Agentur oder das Werbeprojekt selbst einfach den Namen. Statt „Speed4“ heißt der Wettbewerb dann eben „Sportstation“ oder „kindersprint“.

Unabhängige Monitoringstelle

Die GEW fordert daher weiterhin eine unabhängige Monitoringstelle, die Pädagoginnen und Pädagogen unterstützt, indem sie Unterrichtsmaterialien oder Schulprojekte Dritter nach transparenten Kriterien prüft und bewertet. Dies kann auf eigene Recherchen oder auch auf Hinweise aus Lehrer-, Eltern- und Schülerschaft zurückgehen. Die Gatekeeper-Funktion kann nicht alleine auf die einzelne Lehrkraft oder Schulleitung abgewälzt werden, so wie dies die schwarz-grüne Mehrheit mit der Novellierung des Schulgesetzes im Jahr 2017 – auf Druck der Wirtschaftsverbände – intendierte. Eine solche Monitoringstelle würde als beratende, unterstützende Anlaufstelle oder auch einfach als Rechercheplattform dienen, um nicht an jeder Schule alles aufs Neue prüfen zu müssen. Gefragt sind aber auch die Lehrerinnen und Lehrer: Schauen Sie genau hin, wenn mal wieder jemand Ihnen oder Ihren Schülerinnen und Schülern einen Gefallen tun, Ihnen die Arbeit erleichtern, Ihnen oder den Schülerinnen und Schülern ein Geschenk machen möchte oder einfach der Meinung ist, dass ein bestimmtes Thema auf eine direkt mitgelieferte Art und Weise ganz dringend in die Schule gehört.

René Scheppler
GEW-Kreisverband Wiesbaden-Rheingau

Die Veröffentlichung basiert auf einem Artikel in der WLZ des GEW-Kreisverbands Wiesbaden-Rheingau-Taunus und wurde für die HLZ bearbeitet.

(1) kjmk.de/10-gruende-fuer-kinder-und-jugendmarketing
(2) Als Pester Power (deutsch: Macht des Quengelns; Quengelkraft) oder Nag Factor (deutsch: Nörgel-Faktor) bezeichnet man im
Marketing den Einfluss jüngerer Kinder, bei ihren Eltern den Kauf von in der Werbung wahrgenommenen Produkten durch Quen­geln durchzusetzen.
(3) Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung vom 13.11.2015
(4) www.agentur-jungesherz.de/schulmarketing
(5) www.strahlemann.org
(6) Die Broschüre der Stiftung liegt der Redaktion vor.