Bild: Milkos | istockphoto.com
Sie sind ... [1]
- „wahrer Innovator“
- „vertrauensvoller Berater“
- „leidenschaftlicher Fürsprecher“
- „authentischer Autor“
- „weltweit tätiger Botschafter“
Zu ihren Aufgaben gehört es ... [2]
- „to pave the way for their peers in the effective use of technology” (für Ihre KollegInnen den Weg zu effektiver Technologienutzung zu ebnen)
- “help Microsoft to lead innovation” (Microsoft helfen, im Bereich Innovationen führend zu sein)
- “advocate and share their thoughts on effective use of technology in education with peers and policy makers“ (Ihre Ideen zu effektiver Technologienutzung im Bildungsbereich gegenüber KollegInnen und politischen Entscheidungsträgern zu verfechten und zu teilen)
- “provide insight (…) on new products and tools” (Einblicke in neue Produkte und Tools zu ermöglichen)
- “to promote innovation“ (für Innovationen zu werben)
Bei dieser scheinbaren Jobbeschreibung handelt es sich allerdings mit Nichten um die Position in der Lobby- oder Marketingabteilung eines Konzerns. Diese Passagen sind originale Aufgabenbeschreibungen und -zuweisungen seitens Apple und Microsoft für Lehrerinnen und Lehrer, die sich für die Teilnahme zu konzernexklusiven Programmen anmelden sollen. Nach erfolgreichem Absolvieren und quasi Auswahl durch die Konzerne, können sich die Lehrerinnen und Lehrer dann z.B. Microsoft Innovative Educator Expert (MIEE), Apple Distinguished Educator (ADE) oder – wenn Sie sich besonders „bewähren“ – auch Apple Certified Trainer (ACT)[3]. In Deutschland sind das Beamte und Angestellte im Staatsdienst, die dann im Dienste der Konzerne Vorträge halten, Fortbildungen anbieten, Schulen beraten. Manchmal geht es sogar so weit, dass man Apple Distinguished Educator und Trainer in regionalen Medienzentren findet, von wo aus die staatlich organisierte Betreuung von Schulen im Bereich Digitalisierung stattfindet.
Derartige Programme und Initiativen gehen aber auch noch weiter – ausgehend aus den USA inzwischen auch in Deutschland angekommen: ganze Schulen werden „übernommen“ und auch entsprechend betitelt. So rühmt sich beispielsweise Microsoft: „Für das Schuljahr 2016/2017 hat Microsoft weltweit 4.800 Lehrende und 851 Schulen aus über 100 Ländern nominiert, darunter sind 175 Lehrerinnen und Lehrer sowie 26 Schulen aus Deutschland vertreten. Das Gesamtbudget von Microsoft für die weltweite Bildungsinitiative beläuft sich auf 750 Millionen US-Dollar über einen Zeitraum von 15 Jahren (2003 bis 2018).“[4] Microsoft Showcase School kann aber nicht jede Schule werden, denn: „Bewerben kann sich jede Schule, die bereits Microsoft-Lösungen wie Surface-Tablets, Office 365 Education, Office Mix, OneNote, Skype oder Minecraft nutzt.“ Aber auch weitere Konzerne erkennen das Marketingpotential, das darin schlummert, ganze Schulen nah an sich zu binden und Exklusivität zu Gunsten der eigenen Produkte herzustellen – natürlich stets mit dem möglichst zu wahrenden Anschein der Gemeinnützigkeit. In Hannover gibt es inzwischen die erste „Apple Distinguished School“ in staatlicher Trägerschaft.[5] Und auch Apple beschreibt in einem Dokument zu diesem Schulprogramm für 2017-2019 ganz klar die „Voraussetzungen für eine Apple Distinguished School“[6]:
- „Ein Oneto-One Programm mit iPad oder Mac für Schüler und Lehrer ist seit mehr als zwei akademischen Jahren eingerichtet. Alle Schüler an Ihrer Schule nutzen Apple Geräte als primäres Lerngerät. Alle Lehrer an der Schule nutzen Apple Geräte als primäres Unterrichtsgerät.“
- „Lehrkräfte integrieren Apple Apps zur Erstellung von Inhalten (Fotos, iMovie, GarageBand, Pages, Keynote, Numbers und iBooks Author), Lernapps aus dem App Store, Bücher aus dem iBooks Store und Lernmaterialien aus iTunes U intensiv in den Lehrplan.“
- „Lehrer verfügen über eine hohe Kompetenz beim Verwenden von Apple Produkten. Für Schulen der Primar und Sekundarstufe in Deutschland müssen vor Ablauf der Bewerbungsfrist 75 Prozent der Lehrer an der Schule als Apple Teacher anerkannt sein.“
Und in Hessen ist Landrat Will (SPD) im Kreis Groß-Gerau besonders stolz auf die erste und bisher einzige (ebenfalls in staatlicher Trägerschaft) „Samsung Lighthouse School“: „Wir haben viele Leuchttürme im Kreis Groß-Gerau, aber dieser leuchtet besonders hell“, sagte er deshalb bei der offiziellen Unterzeichnung der Zusammenarbeit des NGR (Neues Gymnasium Rüsselsheim) mit dem Partner Samsung“[7].
„Klippe umschifft““, schreibt der Zeitungsredakteur, da es auch ihm offenbar merkwürdig anmutet, dass eine Schule derart exponiert und bevorteilt wird. Doch bemerkenswert wird es nicht erst, wenn man beim SPD-Landrat anfragt, ob er denn den Inhalt und das konkrete Ausmaß der „Kooperation“ (offenbar in Form von Sponsoring) transparent zu machen bereit sei. Dies wird nämlich nicht beantwortet, da es ja schließlich nicht der Schulträger sei, der den Vertrag unterzeichnet habe (man sei nur bei der Unterzeichnung anwesend gewesen). Dem Kultusministerium liegt der Vertrag ebenfalls nicht vor und die Schulleitung des Neuen Gymnasiums Rüsselsheim gewichtet das „schutzwürdige Interesse am Ausschluss des Informationszugangs der Firma Samsung“ höher als die Informationsfreiheitsrechte der BürgerInnen (siehe hierzu die Pressemitteilung der GEW Hessen[8]).
In einem Recherchebeitrag der WELT aus dem Jahr 2013 bezeichnen Vertreter von Bildungsministerien aus Niedersachsen und Rheinland-Pfalz derartige Ansinnen der IT-Konzerne sehr skeptisch[9]: „In ihrer Offenherzigkeit schon fast putzig“ nennt Wolf-Jürgen Karle vom Ministerium für Bildung und Wissenschaft des Landes Rheinland-Pfalz die Beschreibung auf der Webseite und erklärt: „Für Lehrkräfte im Beamten- wie im Beschäftigtenverhältnis gilt das Neutralitätsgebot. Jede einseitige Unterrichtung und Information ist unzulässig. Deswegen sieht das Ministerium „bei einer Resonanz aus der Lehrerschaft“ auf das Apple-Programm einen Verstoß „gegen geltendes Recht in Rheinland-Pfalz“ Und: „Die beschriebenen Fortbildungsreisen verstoßen gegen die Antikorruptionsrichtlinien, die für alle beim Land beschäftigten Lehrkräfte gelten“, lautet die Erklärung des niedersächsischen Kultusministeriums.“ Umso bemerkenswerter mutet es an, dass die Vorstöße der Konzerne auch nach ähnlich gelagerten Rückmeldungen aus anderen Ländern 2013 offenbar ungebremst weiterlaufen.
Im Rahmen einer aktuell noch laufenden Abfrage zur Zulässigkeit derartiger Titel (siehe oben) für Lehrkräfte antwortet das hessische Kultusministerium im September 2018[10]: „Die Regelungen finden sich in § 58 Abs. 2 HBG sowie in § 3 Abs. 15 HSchG, wonach das Führen eines solchen Titels nicht gestattet ist.“ Wie es dann sein kann, dass eine ganze Schule einen konzernennahen/-exklusiven Titel à la „Samsung Lighthouse School“ bei einer offenbar über einen vertraglich geregelten Zeitraum hinweg exklusive Ausstattung mit Geräten stattgefunden hat, erschließt sich wohl nur in einer eigenen Logik des Ministeriums, die sich offenbar aus einer bewussten Unwissenheit herleitet[11]: „Da die erbetenen Informationen dem Hessischen Kultusministerium nicht vorliegen, kann ihrem Antrag nicht entsprochen werden.“
Und genau hierin liegt die Gefahr, die sich aus den hier ausführlich beschriebenen Entwicklungen absehen lässt:
In dem Maße, in dem der Staat seine Aufgaben im Rahmen der Lehreraus- und Fortbildung vernachlässigt und sogar an Konzerne mit erkennbaren und formulierten Eigeninteressen (Exklusivität oder Werbewirksamkeit zu Gunsten der eigenen Produkte) abgibt, verliert er die eigene Expertise in diesem Bereich. In mehreren Bundesländern kann man dies bereits an den erschreckend geringen Fortbildungsangeboten staatlicherseits ablesen. In Mecklenburg-Vorpommern werden z.B. ganze Pilotprojekte von der als Schenkung/Spende bereitgestellten Hardware bis hin zur ebenfalls durch einen Dritten übernommenen, produktexklusiven Fortbildung ausgelagert. Und auch in Hessen wird nicht erst mit der Formulierung im neu hinzugefügten § 3 Abs. 15 im Schulgesetz deutlich, dass Sponsoring zum legitimen (und wohl auch erwünschten) Bestandteil des Schulsystems werden soll. Denn – und eine andere Lesart ist kaum möglich – der Staat ist nicht mehr in der Lage, die ihm hoheitlich aufgetragenen Aufgaben zur vollumfänglichen Finanzierung von Schulen nachzukommen. Und auch im Bereich der Lehreraus- und Fortbildung ist man offenbar nicht mehr in der Lage, der Versuchung zu widerstehen, Dritten Zugänge zu gewähren, die den Anschein der Abhängigkeit hervorrufen. Garniert wird das gerne mit dem Argument, die Konzerne seien nunmal diejenigen, die sich mit den eigenen Produkten am besten auskennen. Das ist nicht nur ein Affront gegenüber den trotz viel zu geringer Mittel- und Personalausstattung gute Arbeit leistenden Medienzentren. Wer sich zudem erst an derartige Strukturen gewöhnt hat, wird mittelfristig nicht mehr in der Lage sein, dies aus eigener Kraft zu bewältigen – und wird darüber hinaus auch inhaltlich nicht mehr unabhängig seinen ursprünglichen Aufgaben nachkommen können.
Es ist angesichts der beschriebenen Tendenzen und Entwicklungen nur noch eine Frage der Zeit, bis wir uns die Frage stellen werden müssen, wie wir uns aus dieser selbstverschuldeten Unmündigkeit wieder befreien können. Um eine sich hierzu ihres eigenen Verstandes bedienende Generation zu erziehen, scheint die Etablierung von Apple Distinguished Schools, Microsoft Showcase Schools und Samsung Lighthouse Schools nicht der cleverste Ansatz zu sein.
René Scheppler
[1] https://www.apple.com/de/education/apple-distinguished-educator/ (am 18.11.2018)
[2] https://education.microsoft.com/microsoft-innovative-educator-programs/mie-expert (am 18.11.2018)
[3] https://training.apple.com/trainer (am 18.11.2018)
[4] Dokument liegt der HLZ-Redaktion vor
[5] www.haz.de/Umland/Gehrden/Nachrichten/Auszeichnung-fuer-die-Oberschule-Gehrden
[6] Dokument liegt der HLZ-Redaktion vor
[8] www.gew-hessen.de/home/details/samsung-lighthouse-school-in-ruesselsheim/
[9] www.welt.de/print/wams/wirtschaft/article121973638/Luxus-fuer-Lehrer.html
[10] Schreiben liegt der HLZ-Redaktion vor“
[11] Antwortschreiben auf IFG-Anfrage zur Kooperation von Samsung und dem Neuen Gymnasium Rüsselsheim vom 08.10.2018 liegt der HLZ-Redaktion vor