In einem Brief an alle hessischen Schulen ruft das Hessische Umweltministerium zur Teilnahme an der Aktion „Sauberhafter Schulweg“ am 27. Juni 2017 auf, die im Rahmen der Umweltkampagne „Sauberhaftes Hessen“ in diesem Jahr zum 15. Mal durchgeführt wird. Die Projektleitung hat die Firma organic Marken-Kommunikation GmbH in Frankfurt, die mit dem Motto „Sozial-Ethik als Botschaft“ wirbt.
Ausdrücklich weist das Umweltministerium in seinem Schreiben an alle Schulen auf eine „zusätzliche Aktion zum ‚Sauberhaften Schulweg‘“ hin, bei der „in ausgewählten REWE-Märkten in der Zeit vom 26.06. – 07.07.2017 wie am ‚Sauberhaften Kindertag‘ eine ‚Sauberhafte Rallye‘ für umweltbewusste Alternativen im Sortiment eines Supermarkts durchgeführt“ werden kann.
Nun ist es sicherlich nicht falsch, Schülerinnen und Schüler für das Thema Abfallvermeidung und Abfallbeseitigung zu sensibilisieren. Doch was im Rahmen dieser Kampagne angeboten wird, ist ein Missbrauch der Kinder und des Umweltgedankens für Werbezwecke.
Wer daran zweifelt, kann den Plan der Firma REWE für diese Rallye auf der Homepage der Kampagne „Sauberhaftes Hessen“ nachlesen:
„Jede Gruppe erhält einen Einkaufskorb oder wagen sowie einen Einkaufszettel. Die Marktleiter erklären die ‚Spielregeln‘ und vermitteln allgemeine Infos zur Rallye. Der Einkaufszettel umfasst folgende Produkte: Äpfel, Belegtes Brötchen, Apfelsaftschorle oder Wasser. Es geht bei der Rallye nicht um konkretes Abfallsammeln wie bei den Sammelaktionen, sondern vielmehr darum, wie Abfall im Supermarkt vermieden werden kann. Anhand einer vorab auf DIN A3 ausgedruckten Infografik wird den Kindern bei jeder Station kurz erklärt, was die jeweilige Aufgabe ist, und interessante Hintergrundinformationen vermittelt. Die Produkte, die die Kinder auswählen, dürfen sie behalten. (…) Am Ende der Rallye wird der Einkauf anhand der Infografik nochmals besprochen. Die Kinder erfahren, ob sie ‚sauberhaft‘ eingekauft haben, und erhalten die Infografik als Postkarte und einen Monster-Magnet (zum Fixieren der Postkarte am Kühlschrank) als Belohnung. Einige gesunde Snacks und Getränke werden von REWE zur Verfügung gestellt. Die Produkte, die die Kinder ausgewählt haben, können ebenfalls verzehrt werden.“
Zuerst werden Kinder also im Rahmen eines Unterrichtsganges in einen REWE-Markt geführt, wo sie dann mit Produkten und Giveaways geködert werden. Die Zusatzinformation zur Verpackung ist nur Beiwerk. Die Frage, weshalb REWE verpackte Produkte auch dann nicht aus dem Sortiment nimmt, wenn es offensichtlich Alternativen gibt, wird nicht gestellt. Auch nicht die Frage, weshalb viele Eltern nach wie vor die verpackten Produkte bevorzugen, die nämlich zumeist billiger sind. So ist die Frage der Verpackung auch eine soziale Frage, mit der man sich bei REWE nicht auseinandersetzen möchte. Deshalb wird diese Aktion auch nur für Kindergärten und Grundschulen angeboten, wo kritische Nachfragen seitens der Kinder eher nicht zu erwarten sind.
Ein wesentliches Ziel von Werbeaktionen, die speziell Kinder ansprechen, beschrieb Vance Packard bereits 1957 in seinem Buch über die Psychologie der Werbung: „Die Dividende aus den in den Jugendmarkt gesteckten Investitionen besteht natürlich aus der Produkt- und Markentreue, die den späteren zuverlässigen Erwachsenenmarkt schafft.“ (1)
Zudem zeigen wissenschaftliche Untersuchungen, dass Werbung bei Heranwachsenden um vieles wirksamer und nachhaltiger ist als bei Erwachsenen mit eher gefestigten Meinungen und Marken- und Produktbeziehungen. Birgit Koch und Maike Wiedwald vom Vorsitzendenteam der GEW Hessen forderten das hessische Kultusministerium im Namen der GEW auf, diese Aktion, auch im Hinblick auf das im neuen Hessischen Schulgesetz verankerte Werbeverbot an Schulen, zu unterbinden. Das Kultusministerium dürfe sich nicht vor den Karren eines einzelnen Unternehmens spannen lassen und müsse eine vermeintlich pädagogische Kampagne stoppen, bei der Kinder aus Kindertagesstätten und Grundschulen klassenweise in die REWE-Läden geführt werden. Inzwischen forderten auch der Landeselternbeirat und die Landesschülervertretung Hessen einen Stopp der Kampagne.
Christoph Baumann
Referat Schule im GEW-Landesvorstand
(1) Vance Packard: The Hidden Persuaders. 1957 (Übersetzung: Die geheimen Verführer. Frankfurt 1969, S.117)
Nach Redaktionsschluss
14 Tage nach dem Brief der GEW erklärte das Kultusministerium, man prüfe, „ob und wie die Aktion fortgesetzt“ werde. Solange noch keine Entscheidung gefallen sei, ruhe die Umwelt-Rallye (www.hessenschau.de).