Den Kindern eine Stimme geben

Ein Fotobuch von Alea Horst für Kinder und Erwachsene

HLZ 2022/5: Wir gegen den Klimawandel

Wenn man deinen Namen googelt, stößt man auf deine ursprüngliche Profession als Hochzeitsfotografin. Das machst du heute nicht mehr?

Ich habe viele Jahre lang Hochzeiten auf Schlössern fotografiert, Dekoration, Torten, Brautkleider aus Spitze und die vielen Emotionen bei den Feiern festgehalten. Gleichzeitig sah ich im Fernsehen Bomben auf Aleppo fallen und Menschen, die an den europäischen Außengrenzen angespült wurden. Ich fand das unerträglich, aber ich wusste nicht, was ich persönlich dagegen tun kann. Irgendwann aber musste ich handeln. Also habe ich auf der Insel Lesbos in Griechenland meinen ersten Hilfseinsatz gemacht. Erst dort habe ich das ganze Ausmaß dieser entsetzlichen Situation begriffen. Das hat mein Leben umgekrempelt. Anschließend habe ich mich bei vielen Hilfsorganisationen beworben und mittlerweile über 20 Länder bereist. Häufig arbeite ich als Fotografin, aber ich packe überall mit an: Lebensmittel verteilen, Altkleider sortieren, Seenotrettung, Reports schreiben, bei der medizinischen Versorgung helfen... Jetzt spreche ich auch auf Demos zu Menschenrechtsthemen und organisiere Ausstellungen. Bald war klar, dass dies alles nicht als Freizeitbeschäftigung zu machen war und ich habe 2021 die Hochzeitsfotografie aufgegeben.

Wie gehst du mit den Gefahren um, denen du dich aussetzt?

Ich war in Syrien, Afghanistan, Äthiopien und Mexiko an Plätzen, wo andere wohl eher nicht freiwillig hingehen würden. Aber ich möchte so viel wie möglich verstehen und weiß, dass viele Menschen am liebsten in ihrem Heimatland bleiben möchten. Wenn ich dort ein Hilfsprojekt unterstützen kann, ist das einfach am nachhaltigsten. Mein Gefühl ist, dass wir,  die wir privilegiert sind, den Menschen dort etwas schulden. Natürlich ist es gefährlich, und meine Familie macht sich oft Sorgen um mich. Aber sie unterstützen mich und wir sprechen viel über meine Erlebnisse. Wenn sie meine Bilder sehen, können sie verstehen, warum ich das mache. Und es wird sowieso für uns alle viel gefährlicher, wenn wir jetzt nicht handeln.

Man sieht immer viele Kinder auf deinen Fotos, oft lächeln oder lachen sie in die Kamera. Was bewegt dich dabei?

Etwa die Hälfte aller Menschen auf der Flucht weltweit sind Kinder! Sie können überhaupt nichts für Krieg und Vertreibung und gleichzeitig fängt die Armutsspirale bei ihnen an. Wenn die Kinder nicht zur Schule gehen können, können sie später keinen guten Beruf lernen und sich selbst nicht genügend versorgen. Aus dieser Perspektivlosigkeit entsteht auch viel Gewalt und Extremismus. Aber ich liebe es, mit Kindern Quatsch zu machen. Sie kommen häufig einfach zu mir hingerannt und dann haben wir zusammen Spaß, mit Händen und Füßen. Egal wo ich bin, in Slums oder Elendslagern, die Menschen versuchen immer das Beste aus der Situation zu machen. Sie sind freundlich, laden mich zum Tee ein, haben Hoffnung. Sie haben eine Würde, die ich unbedingt achten möchte. Ich möchte sie nicht als Opfer darstellen oder Klischeebilder produzieren. Sondern sie als Mensch zeigen, der genauso ist wie du und ich. Der Träume hat und Wünsche, der lacht und weint und seine Kinder liebt. Jedes Foto ist außerdem ein Stück weit auch ein Spiegel des Fotografen. Ich begegne den Menschen freundlich und hoffe auf einen Dialog. Ich glaube, das merken sie. Sie lächeln zurück und vertrauen mir. Wenn ich fotografiere, bin ich sehr präsent. Ich mache das nicht heimlich, sondern bin irgendwie immer Teil der Szene.

Wie gehst du damit um, so viele schreckliche Dinge zu sehen? Schützt dich deine Kamera?

Ich finde nicht, dass mir die Kamera mehr Abstand gibt oder ein Schutz ist. Wenn ich mich ganz in die Situation hineinbegebe, sind die Menschen mir gegenüber offen und es entstehen die besten Fotos. Das Schlimmste an meiner Arbeit sind nicht die Dinge, die ich sehe. Am schlimmsten ist für mich, zu merken, wie vielen Menschen in Deutschland es egal ist, was auf der Welt passiert. Wir tun noch viel zu sehr so, als ginge uns das alles nichts an, als könnten wir nichts für Unrecht oder Krieg, Ausbeutung oder Umweltverschmutzung. Dabei sind wir mitverantwortlich und müssen uns auch mit den Konsequenzen unseres Handelns beschäftigen. Natürlich tut es weh, sich der Sache zu stellen. Aber die Ungerechtigkeit passiert ja trotzdem, egal wie angestrengt wir wegschauen. Nach den Auslandsreisen verbringe ich viel Zeit in meinem naturnahen Garten und im Wald. Das hilft mir, die Hilflosigkeit wieder in Kraft umzuwandeln. Die Natur hilft mir, damit klarzukommen, dass ich nicht alles verändern kann.

Was war ein bewegender Moment für dich?

Ich erinnere mich noch an einen Teenager, der gerade alleine übers Meer nach Lesbos gekommen war und mit meinem Handy seine Mutter in Syrien anrief, um ihr zu sagen, dass er die Überfahrt überlebt hat. Er und seine Mama fingen an zu weinen und ich konnte dann auch nicht mehr. Unerträglich ist für mich, wie an den europäischen Außengrenzen mit Geflüchteten umgegangen wird. Es wird ihnen überall gezeigt, dass man sie nicht haben möchte. Teilweise wird extra Hilfe verweigert, um es ihnen noch schwerer zu machen, obwohl genügend Helfer, Gelder und Organisationen da wären.

Wie kam die Idee zum Kinderbuch?

Die Frauen vom Klett Kinderbuch Verlag haben mich angesprochen, nachdem sie meine Lesbos-Fotos bei Facebook gesehen hatten. Wichtig war ihnen, dass auch Kinder im Buch zu Wort kommen. Ich habe mich wahnsinnig über die Anfrage gefreut und bin erneut nach Lesbos gefahren, um eigens dafür noch einmal mit den Kindern dort zu sprechen. Dabei wurde mir klar, dass ich ihnen mit dem Buch eine Stimme geben möchte und selbst nur über die Bilder erzählen will.

Warum ist dieses Buch wichtig?

Erstens, weil mittlerweile niemand mehr mit Betroffenen sprechen kann und schon gar keine Fotos mehr gemacht werden dürfen. Es wird strukturell alles dafür getan, um das Thema und die Menschen vor der Öffentlichkeit abzuschotten. Das Buch ist also wie ein Kassiber. Zweitens: Wer in einem Land wie Deutschland groß wird, wächst in einer Welt voller Perspektiven und Wahlmöglichkeiten auf. Wir können uns wenig in Menschen hineinversetzen, die kaum eine Wahl haben. Wir wissen nicht, wie es ist, im Krieg gewesen zu sein und nur mit dem, was man am Körper trägt, ein neues Leben woanders anfangen zu müssen. Wenn die Menschen dann auch noch anders aussehen, fremde Kleidung und Kopftuch tragen, wird es noch schwieriger, sich mit ihnen zu identifizieren. Dieses Buch soll helfen, einander besser zu verstehen, und den Menschen die Augen öffnen. Es wird sicherlich kein Bestseller, aber es ist für mich wichtig, weil es Kindern eine Stimme gibt, die sonst nie gehört werden.


Wie man Alea e.V. unterstützen kann

Zur Koordination der von ihr unterstützten Hilfsprojekte hat Alea Horst jetzt den Verein Alea gegründet. Eine im April 2022 geplante erneute Reise nach Afghanistan musste in den Herbst verschoben werden. Dort arbeitet sie mit Asiyah International zusammen, die Brunnen baut, Lebensmittel verteilt und medizinische Versorgung leistet. Immer wieder fährt Alea nach Lesbos, unter anderem um das medizinische Projekt von Fabiola Velasquez zu unterstützen, hier eine Übersicht. Wenn sie nicht gerade auf einer ihrer Reisen in Krisengebiete ist, dann wohnt Alea Horst in Reckenroth im Westerwald. Sie ist also auch für Initiativen und Schulen in Hessen gut zu erreichen und kommt gern zu Lesungen in die Schulen. Die Martin-Buber-Schule in Groß-Gerau bereitet gerade eine Ausstellung ihrer Fotos vor, bei einer Veranstaltung der GEW Groß-Gerau berichtete sie im Rahmen der Internationalen Wochen gegen Rassismus.

Alle Informationen und Spendenkonten Kontaktadresse: alea@aleahorst.de