Bildungspolitik

Verdrehte Fakten in den Begründungen für Hessens Gender-Verbote

Geschlechtergerechte Sprache soll verboten werden

Wir, das Bündnis “Vielfalt für ein starkes Hessen”, mit 29 queeren Organisationen, und die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), sind irritiert von den aktuellen Entwicklungen in Hessen. Aufgrund des Gender-Verbots für Schüler*innen hat das Bündnis letzte Woche erneut ein Gesprächsangebot an die Hessische Landesregierung gestellt. Einen Tag später legte sie weiter nach. Nun wird auch den Minister*innen das Gendern mit Sonderzeichen verboten. Eine Ankündigung auf CDU-Kanälen verweist auf die BILD-Zeitung und spricht herablassend von einem “Irrsinn von Genderstern”.

Diese Art der Sprache erinnert uns sehr stark an das antifeministische und bei der rechtsextremen AfD beliebte Narrativ des sogenannten Genderwahns. Auch CDU-Minister Manfred Pentz kopiert einen Kampfbegriff der AfD, wenn er “Wir wollen keine Sprachpolizei” sagt. Paradoxerweise, während er durch das Unterzeichnen eines Gender-Verbots selber als Sprachpolizei agiert. In einem inzwischen gelöschten (aber im Internet archivierten) vorherigen Posting der CDU Hessen zeigt die Aussage “CDU-Politiker verbietet SPD-Ministerien das Gendern”, dass es neben eines populistischen Kulturkampfes auch um Machtspiele geht. Beides darf nicht auf dem Rücken von queeren Menschen ausgetragen werden.

Während eine Übernahme von solchen antifeministischen und antiqueeren Narrativen durch konservative Parteien nicht neu ist, sind wir irritiert davon, dass die SPD dies ebenfalls mitträgt. Insbesondere, nachdem sie der queeren Community im Wahl-O-Mat Hessen vor der Wahl die gegenteilige Position versprach. Dabei werden im öffentlichen Diskurs außerdem viele Fakten verdreht oder weggelassen, was zu Irrtümern führt. Diese möchten wir hier gerne klarstellen.
 

Irrtum 1: Der Rat der deutschen Rechtschreibung bestimmt die Gender-Verbote.

Das wurde so von der Hessischen Landesregierung bereits beim Gender-Verbot für Schüler*innen dadurch suggeriert, dass mit der “Positionierung des Rats für deutsche Rechtschreibung” argumentiert wurde. Fakt ist jedoch, dass der Rechtschreibrat in seiner Pressemitteilung vom 15. Dezember 2023 schrieb:

“Vorgaben für die Bewertungspraxis liegen in der Zuständigkeit der Schulpolitik und obliegen nicht dem Rat für deutsche Rechtschreibung.”

Das bedeutet im Klartext, dass aus der Beobachtung vom Rechtschreibrat, dass Gendersterne noch nicht “zum Kernbestand der deutschen Orthographie” gehören, nicht ein Gender-Verbot folgt. Im Gegenteil wird in der Pressemitteilung vom Rechtschreibrat sogar die Option erwähnt, dass eine “rezeptive Toleranz” von Gendersternen eine Option wäre.

Dass man für ein Gender-Verbot kämpft, ist also eine politische Entscheidung, die nicht beim Rat der deutschen Rechtschreibung lag. Aus unserer Sicht wird hier der Standpunkt des Rechtschreibrats von der Hessischen Landesregierung verzerrt und instrumentalisiert. Ironischerweise führt nun ausgerechnet federführend die CDU, die gegen einen von niemandem geforderten Gender-Zwang wetterte, einen Zwang zum Nicht-Gendern ein.
 

Irrtum 2: Die Gender-Verbote sollen für ein einfacheres Textverständnis sorgen.

Das Wirtschaftsministerium kommunizierte laut hr als Begründung des Gender-Verbots: “Zu einer bürgernahen Verwaltung gehört auch eine einheitliche und verständliche Sprache.” Fakt ist, dass es Untersuchungen zum Textverständnis bei Benutzung des Genderssterns gibt. Die TU Braunschweig fasst die Untersuchung zusammen mit:

“Insgesamt spricht die Forschung zu geschlechtergerechter Sprache und Textverständlichkeit dafür, dass geschlechtergerechte Sprache die Verständlichkeit nicht beeinträchtigt, solange die geschlechtergerechten Formen den gewohnten Formen ähnlich sind.”

Sonderzeichen seien laut dem hessischen Wissenschaftsminister “gerade für Menschen mit einer Lern-, Seh- oder Hörbeeinträchtigung ein großes Hemmnis”. Es gibt die “leichte Sprache”, die in solchen Fällen deutlich zielführender wäre. Die Tatsache, dass das eigene Angebot der hessischen Regierung in leichter Sprache stark vernachlässigt wird, zeigt jedoch, dass dieses Argument eher eine Ausrede ist. Ebenfalls gilt für Menschen mit einer Sehbeeinträchtigung laut der Uni Marburg:

“Personen, welche Texte mit einem Screenreader auslesen, können durch Einstellungen weitgehend selbst bestimmen ob Genderzeichen gar nicht vorgelesen, teilweise vorgelesen oder vollständig vorgelesen werden.”
 

Irrtum 3: Gendern funktioniert auch ohne Sonderzeichen.

Laut Hessenschau besagt die neueste Anweisung mit dem Gender-Verbot für Minister*innen, dass “geschlechtsneutrale Formulierungen oder die männliche und die weibliche Form verwendet werden” sollen. Doch das geht nur bedingt.

Geschlechtsneutral zu formulieren ist in vielen Fällen mit Genderstern deutlich einfacher als ohne. Als Beispiel kann das Wort “Opportunist*in” betrachtet werden, welches deutlich leichter und schneller zu lesen ist als die Formulierung “eine die Gelegenheit ergreifende Person”. Das Verwenden der weiblichen und männlichen Form verlängert Texte nicht nur, sondern blendet auch Menschen aus, die sich nicht den beiden Geschlechtern zuordnen lassen.
 

Irrtum 4: Es soll kein Kulturkampf um das Gendern geführt werden.

Ministerpräsident Boris Rhein (CDU) erklärte laut Hessenschau im Februar vor dem Landtag, dass er keinen “Kulturkampf” um das Gendern führen wolle. Inzwischen lenkt die Hessische Landesregierung fast wöchentlich mit dem Thema Gendern ab. Ihr Kampf spiegelt einen Konflikt zwischen traditionellen und modernen Ansichten über Sprache und Gleichberechtigung wider. Das ist per Definition also ein Kulturkampf um das Gendern, welcher Ministerpräsident Boris Rhein führt. Ein sehr unnötiger Kulturkampf, zu Lasten von queeren Menschen, der zudem auch noch von den wichtigen Forderungen der queeren Community ablenkt.
 

– Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW)
 
– Bündnis “Vielfalt für ein starkes Hessen” - Hier alle Informationen und Möglichkeiten zum Engagement


Bündnispartner*innen:

  • AIDS-Hilfe Offenbach e.V.
  • Autonomes queer-feministisches Frauen||referat im AStA der Justus-Liebig-Universität
  • Broken Rainbow e.V.
  • Colorful e.V.
  • CSD Darmstadt
  • CSD-Wiesbaden
  • DGB-Jugend Südhessen
  • dgti e.V.
  • Evangelisches Stadtjugendpfarramt Wiesbaden
  • FLC – Frankfurter Leder Club e.V.
  • Goluboy Wagon e.V.
  • KANA Jugendkirche
  • LAK ver.di Regenbogen Hessen
  • LandesFrauenRat Hessen (LFR Hessen)
  • LIBS e.V. – Lesben Informations- und Beratungsstelle
  • LimBUNT e.V.
  • LSVD Hessen e.V.
  • Luckys FFM
  • OFfen Queer
  • pro familia Hessen gGmbH
  • PROUT AT WORK-Foundation
  • Queer in Stadt und Kreis Offenbach
  • Queeres Zentrum Wiesbaden e.V.
  • queerformat – pro familia Kreis Groß-Gerau
  • T*räumchen Kassel/AIDS-Hilfe Kassel e.V.
  • The Vegan Rainbow Project
  • VelsPol Hessen e.V. – das queere Netzwerk für Polizei, Justiz und Zoll in Hessen
  • Warmes Wiesbaden e.V.
  • vielbunt e.V.

        Kontakt


         Referent Bildungspolitik

           Dr. Roman George
           069–971293–20
           Fax 069–971293–93 
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