Junge Flüchtlinge und Seiteneinsteiger

Bildung kann nicht warten, auch nicht in in hessischen Schulen!

HLZ 6/2016: Schule leiten

2015 kamen fast 80.000 Flüchtlinge nach Hessen, zwei Drittel waren männlich. 60 Prozent waren Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene bis 25 Jahre. Die größte Gruppe der Flüchtlinge kam aus Syrien, die zweitgrößte aus Afghanistan, gefolgt von Flüchtlingen aus Albanien, Pakistan und Eritrea. Aufgabe der öffentlichen Bildungseinrichtungen ist es, passende Bildungsangebote zu finden und zu gestalten. Bei einer Befragung durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) hatten 13 % der Asylsuchenden über 20 Jahre im Herkunftsland eine Hochschule besucht, 17,5 % ein Gymnasium und 30 % eine Mittelschule; 24 % hatten lediglich die Grundschule besucht und 8 % keine Schule.

Aktionsplan der Landesregierung

Die Maßnahmen des Aktionsplans der hessischen Landesregierung reichen von der Förderung des kommunalen Wohnungsbaus bis zu mehr Stellen für den Verfassungsschutz. Insgesamt sollen die im Haushalt 2016 vorgesehenen Ausgaben des Landes für die Integration von Flüchtlingen von dem bereits auf 628 Millionen Euro erhöhten Haushaltsansatz auf über eine Milliarde Euro steigen. Der vom Landtag im Dezember verabschiedete Haushalt für 2016 sieht für den Bildungsbereich folgende Maßnahmen vor: 

  • 630 zusätzliche Stellen im Bereich des Ministeriums für Soziales und Integration (HMSI)
  • 800 neue Stellen im Bereich des Hessischen Kultusministeriums (HKM) 

Nach Angaben von Kultusminister Alexander Lorz (CDU) sollen von den für den Schulbereich vorgesehenen 40 Millionen Euro 30 Millionen für Intensivsprachförderung für Flüchtlinge und Zugewanderte unter 18 Jahren aufgewendet werden und 10 Millionen Euro für die Beschulung von jungen Erwachsenen bis 21 Jahren. Die Zahl der Stellen in Intensivkursen soll von 1.374 im November 2015 auf über 2.000 erhöht werden. Für die psychologische Betreuung von traumatisierten Flüchtlingskindern sind elf zusätzliche Stellen in den Staatlichen Schulämtern vorgesehen.

Der Hauptpersonalrat der Lehrerinnen und Lehrer (HPRLL) konnte erreichen, dass bei der personellen Versorgung der Intensivklassen Kolleginnen und Kollegen den Vorrang bekommen, die eine Lehrerausbildung haben und sich verpflichten, mit dem überwiegenden (nicht ausschließlichen) Teil ihrer Pflichtstunden für einen Zeitraum von maximal fünf Jahren in Intensivklassen zu unterrichten. Außerdem macht sich der HPRLL für ein ausreichendes und qualitativ hochwertiges Angebot für die Fort- und Weiterbildung stark.

Deutsch als Zweitsprache

Für die Maßnahmen im Bereich Deutsch als Zweitsprache (DaZ) und als Fremdsprache (DaF) – von den Vorlaufkursen vor der Einschulung bis zu den InteA-Kursen für junge Erwachsene (Integration und Abschluss) – stellte das HKM im Mai 2016 1.992 Stellen zur Verfügung. Dazu gehören auch Deutsch & PC an Grundschulen mit hohem Zuwandereranteil, Deutsch-Förderkurse an allgemeinbildenden Schulen und Intensivkurse an allgemeinbildenden und beruflichen Schulen.

Vorlaufkurse vor der Einschulung und Sprachkurse bei Zurückstellung gehören in den Bereich der vorschulischen Angebote und müssten eigentlich aus dem Haushalt des Sozialministeriums finanziert werden. Ihre Finanzierung aus dem Kultusetat reduziert die Spielräume für Deutschförderkurse, sodass teilweise keine Angebote im Bereich der Nachförderung nach dem Besuch der Intensivklasse mehr stattfinden können. Auch für Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund, die in Hessen geboren worden sind und ebenfalls eine Förderung benötigen, bleiben zu wenige Stunden übrig.

Im Mai 2016 gab es 657 Intensivklassen und Alphabetisierungskurse an allgemeinbildenden Schulen. Die InteA-Klassen an beruflichen Schulen, die in Kooperation mit dem HMSI durchgeführt werden, gibt es erst seit diesem Schuljahr. Im Mai 2016 wurden dafür 367 Stellen zur Verfügung gestellt. Die Zuweisung von derzeit 14 vier Stellen für die neuen Angebote an den Schulen für Erwachsene soll weiter erhöht werden. Für 20-jährige Flüchtlinge, die bereits alphabetisiert sind, sollen 1.500 Plätze zur Verfügung gestellt werden.

Intensivklassen an Schulen

Die Bereitstellung von 800 zusätzlichen Stellen ist ein Schritt in die richtige Richtung. Es handelt sich um eine Daueraufgabe, denn die Schülerinnen und Schüler in den Intensivklassen werden zum allergrößten Teil in Regelklassen der allgemeinbildenden und besonderen Bildungsgänge der berufsbildenden Schulen wechseln. Damit sie auch dort gute Bedingungen vorfinden, muss es für alle Lehrkräfte Fortbildungsangebote für DaZ, DaF und einen sprachsensiblen Fachunterricht geben.

Intensivklassen können ab zehn Schülerinnen und Schülern gebildet werden, über 16 erfolgt eine Teilung der Gruppe. Die Verordnung zur Gestaltung des Schulverhältnisses sieht für die Grundschulen mindestens 20 Wochenstunden, in den anderen Schulformen mindestens 28 Wochenstunden vor (§ 50 Abs.3). Die GEW protestierte auf vielfältige Weise gegen die inzwischen erfolgte Kürzung auf 18 Stunden an den Grundschulen bzw. 22 Stunden in der Sekundarstufe I.

30 % der Intensivklassen befinden sich an Grundschulen. Die Intensivklassen in Bereich der Sekundarstufe I sind vor allem an Haupt- und Realschulen (40 %) und Integrierten und Kooperativen Gesamtschulen (54 %). Die Intensivklassen an Förderschulen mit dem Schwerpunkt Lernen (3,5 %) kooperieren mit den Regelschulen. Nur 2,5 % der Intensivklassen befinden sich an Gymnasien. Bei der Zuweisung zu einer Intensivklasse darf es keine „Vorauswahl“ im Hinblick auf einen zu erwartenden Schulabschluss geben.
Die Intensivklasse soll optimale Möglichkeiten bieten, Deutsch zu lernen, sich selbst zu finden, insbesondere auch nach traumatischen Fluchterlebnissen, und die Voraussetzungen für eine erfolgreiche Mitarbeit in der Regelklasse und für einen Schulabschluss schaffen. Die schulischen Bedingungen stehen dem oft im Weg:
Schülerinnen und Schüler müssen nach dem Besuch der Intensivklasse die Schule verlassen, weil es keinen Platz in der Regelklasse gibt. Diese Plätze dürfen auch nicht vorgehalten werden, obwohl die Kinder und Jugendlichen wegen der abgesenkten Stundenzahl bereits einen Großteil des Unterrichts in der Regelklasse verbringen.

Wer in einer Intensivklasse war, darf keine InteA-Klasse besuchen, aber auch bei anderen Angeboten der Beruflichen Schulen gibt es hohe Hürden. Doch wo sollen ältere Jugendliche dann ihre Abschlüsse erwerben?
Auch für den Übergang von der Grundschule in weiterführende Schulen müssen Hürden abgebaut und Ressourcen zur Nachförderung bereit gestellt werden. Hier müssen auch die Gymnasien stärker einbezogen werden, ohne dass dies zu Lasten der Lern- und Arbeitsbedingungen geht.

InteA gestalten statt verwalten

In die neuen InteA-Maßnahmen können Jugendliche aufgenommen werden, die bei Beginn der Beschulung mindestens 16, aber noch nicht 20 Jahre sind. Die Beschulung von unbegleiteten minderjährigen Asylbewerbern (UmA) beginnt erst mit der Zuweisung zu einer Gebietskörperschaft. Sie darf ausschließlich im zuständigen Schulamtsbezirk stattfinden. Dies gilt auch, wenn der Jugendliche bereits eine Schule besucht oder einer Schule zugewiesen wurde und erst danach einer Einrichtung in einem anderen Schulamtsbezirk zugewiesen wurde. Die Zahl der Schülerinnen und Schüler in einer InteA-Klasse wurde auf 20 erhöht.
Angesichts der in dieser Altersgruppe besonders großen Heterogenität müssen dringend qualifizierte Fort- und Weiterbildungsangebote auch im Bereich der Alphabetisierung von jungen Erwachsenen bereit gestellt werden. Die Bandbreite reicht von jungen Erwachsenen, die bereits ein Studium aufgenommen oder abgeschlossen hatten, bis zu jungen Erwachsenen, die noch nie eine Schule besucht haben und alphabetisiert werden müssen. Das ist bei mittlerweile 20 Schülerinnen und Schülern in einem InteA-Kurs ein unbeschreiblich schwieriges Unterfangen, eigentlich nicht machbar.

Fachtagungen der GEW

Die GEW hat im März drei Fortbildungstage für Lehrkräfte in Intensivklassen und InteA-Maßnahmen durchgeführt. Weitere Veranstaltungen folgten im Mai. Auf der Grundlage dieses Erfahrungsaustauschs erneuerte die GEW ihre Forderung an die Landesregierung, „ein Gesamtkonzept für die Bildungsintegration von zugewanderten Kindern und Jugendlichen in Hessen vorzustellen und umzusetzen sowie die dafür notwendigen Ressourcen bereitzustellen“. Im Mittelpunkt stehen die Forderungen nach einer Verkleinerung der Lerngruppen und einer Rücknahme der Stundenkürzungen in den Intensivklassen, nach zusätzlichen Stellen für Lehrkräfte, sozialpädagogische Fachkräfte und Schulpsychologen und einem Ausbau des Fortbildungsangebots. Die GEW fordert, dass Seiteneinsteigerinnen und Seiteneinsteiger sowohl in der Intensivklasse als auch in der Regelklasse angerechnet werden müssen, da sie beide Klassen besuchen und die Eingliederung in die Regelklasse vorbereitet werden muss. Außerdem fordert sie eine Ausweitung des Rechts auf Schulbesuch auch über die Schulpflicht hinaus und schulische Angebote für junge Erwachsene bis 27 Jahre.