Gegen Abschiebungen von Schüler_innen

nach Afghanistan

Offener Brief der GEW an Kultusminister

Sehr geehrter Herr Staatsminister,

wir wenden uns an Sie als Kultusminister des Landes Hessen, weil wir über die Abschiebungen von Schüler*innen nach Afghanistan und in andere Länder, auch aus dem laufenden Schulbetrieb heraus, besorgt sind.

Wie Ihnen sicher bekannt ist, stößt die derzeitige vermehrte Abschiebung von aus Afghanistan geflüchteten Menschen in breiten Schichten der Bevölkerung auf Unverständnis und Widerstand. Die GEW Hessen ist der Meinung, dass Afghanistan weder insgesamt noch in Hinblick auf einzelne Landesteile auch nur ansatzweise als „sicheres Herkunftsland“ gelten kann. Im Februar 2016 hat die UN-Unterstützungsmission für Afghanistan (UNAMA) ihren Jahresbericht veröffentlicht. Demnach hat die Zahl der zivilen Opfer in Afghanistan Rekordniveau erreicht. 2015 gab es die höchste Anzahl an zivilen Opfern seit 2009. Insgesamt verzeichnet der Bericht 11.002 zivile Opfer, davon 3.545 Todesopfer und 7.457 Verletzte. Insgesamt seien von Anfang 2009 bis Ende 2015 genau 58.736 zivile Opfer zu beklagen, darunter 21.323 Todesopfer und 37.413 Verletzte. Besonders Schutzbedürftige seien immer öfter Opfer von Attacken, 2015 stieg die Zahl der weiblichen Opfer um 37 % an und die der Kinder um 14 %.

Die Rechtfertigung von Herrn Bundesinnenminister de Maiziére, „Zivilisten seien in Afghanistan nicht Ziel, sondern nur Opfer von Anschlägen“ (s. z.B. Zeit online vom 21.02.2017: www.zeit.de/politik/deutschland/2017-02/afghanistan-abschiebungen-de-maiziere-bundeslaender ) ist vor diesem Hintergrund in unseren Augen zynisch. 

Im pädagogischen Alltag erleben wir, dass gerade Schüler*innen aus Afghanistan wie auch aus Syrien  stark bemüht sind, sich in die bundesdeutsche Gesellschaft zu integrieren. Immer wieder berichten Kolleginnen und Kollegen aus den Schulen, wie lernwillig, leistungsorientiert und leistungsstark sowie bei Mitschüler*innen beliebt gerade diese Schüler*innen sind. Umso erschreckender ist es daher, von der Gefährdung und Traumatisierung der Betroffenen einmal ganz abgesehen, für die Klassen- und Schulgemeinschaften, erleben zu müssen, dass ihre Mitschüler*innen von Abschiebung bedroht sind und von einem Tag auf den anderen „verschwinden“. 

Schüler*innen wie Lehrer*innen sind schockiert und stellen zu Recht die Sinnhaftigkeit solcher Aktionen in Frage, bei denen  unserer Ansicht nach politische Motive und weniger rechtsstaatliche Gegebenheiten im Vordergrund stehen. Der offene Brief des Kollegiums der August-Bebel-Schule Offenbach wie auch der Solidaritätsbrief der dortigen Schüler*innen vom April diesen Jahres liegt Ihnen vor. Auch an vielen anderen Schulen Hessens sind die Schulgemeinden gegen die drohenden Abschiebungen von Mitschüler*innen aktiv (z.B. in Wiesbaden, Frankfurt, im Rheingau-Taunus, Limburg-Weilburg…). Sie fragen sich zu Recht, welchen Stellenwert angesichts der Sachlage § 1 Abs. 1 des Hessischen Schulgesetzes hat: „Jeder junge Mensch hat ein Recht auf Bildung.“ 

Völlig absurd wird es, wenn Abschiebungen aus dem laufenden Schulbetrieb heraus durchgeführt werden und die Lehrkräfte im Rahmen einer postulierten „Amtshilfe“ gezwungen werden, gegen ihren eigenen Bildungs- und Erziehungsauftrag (§ 2 Abs. 2 HSchG) zu handeln, wie z.B. in Karben im vergangenen November geschehen.

2009 wurde die Meldepflicht für Schüler*innen abgeschafft, die nicht legal registriert sind, um jungen Menschen einen angstfreien Schulbesuch zu ermöglichen; die Einrichtung von Intensiv- und InteA-Klassen und andere Maßnahmen sollen der Integration dienen. Welchen Sinn haben diese Maßnahmen angesichts der geschilderten Entwicklungen?

Es ist die erklärte Position der GEW Hessen: Das Recht auf Bildung ist ein Menschenrecht, das für jeden Menschen ohne irgendeinen Unterschied gilt. Die Schule muss hierfür einen geschützten Raum bieten, in dem Schülerinnen und Schüler untereinander und zu den Lehrkräften Vertrauen aufbauen können. 

Wir appellieren an Sie: 

  • Anerkennen Sie, dass Afghanistan kein sicheres Herkunftsland ist.
  • Setzen Sie sich dafür ein, dass es geflüchteten Schülerinnen und Schülern in Hessen möglich bleibt, zumindest ihre schulische Ausbildung zu beenden, ohne daran durch eine Abschiebung gehindert zu werden.
  • Sorgen Sie dafür, dass es keinerlei Abschiebungen mehr aus Schulen heraus gibt.

Gerne würden wir mit Ihnen zu diesem Thema ins Gespräch kommen.

Mit freundlichen Grüßen

Birgit Koch, Vorsitzende GEW Hessen

Karola Stötzel, Stellv. Vorsitzende GEW Hessen

Tony Schwarz, GEW Hessen