Trans*, inter*, nicht-binär

Geschlechtliche Vielfalt in Bildungseinrichtungen

HLZ 1-2/2022: Demokratie und Menschenrechte

Vom Rasierer, dem Badezusatz und der Zahnpasta für Siegertypen oder Schönheitsprinzessinnen im Badezimmer bis hin zu Lebensmitteln wie Pudding, Marzipan, Tees, ja sogar Kartoffelchips für echte Kerle oder die gesundheitsbewusste Frau finden wir in Supermarktregalen zunehmend Artikel, die ihren Kund*innen (1) eine scheinbar eindeutige Aufteilung der Menschen in zwei sich gegenüberstehende Geschlechter mit klar zugeordneten Geschlechtereigenschaften suggerieren.

Mobbing, Diskriminierung und Gewalt

Doch nicht allein in der Konsumwelt findet solch eine verkürzende Unterscheidung in Zweigeschlechtlichkeit mit den dazugehörigen Zuschreibungen und Einteilungen der Geschlechter in stark und schwach, rational und emotional, karriereorientiert und familienorientiert, draufgängerisch und vorsichtig, mutig und schüchtern, frech und angepasst, erobernd und erobert, vorlaut und zurückhaltend, rebellisch und angepasst statt - um nur einige zu nennen. Obwohl es alles andere als eindeutig ist, wird Geschlecht zum omnirelevanten Unterscheidungskriterium in den verschiedensten persönlichen Begegnungen und medialen Darstellungen, aber auch institutionellen Strukturen. Dabei stehen sich die binären Geschlechter nicht etwa gleichwertig gegenüber, vielmehr folgt die vorherrschende Geschlechterordnung einer Hierarchie, innerhalb derer nicht als männlich wahrgenommene Eigenschaften und Personengruppen einer Abwertung unterliegen. Zudem macht diese Unterscheidung die Vielfalt der Geschlechter unsichtbar und begünstigt neben der offensichtlichen Ausgrenzung auch die Abwertung von trans*, inter* und nicht-binären Personen.

Das meist rein biologisch begründete Alltagswissen über Geschlecht und geschlechtsspezifische Eigenschaften (common sense) macht auch vor Bildungseinrichtungen nicht halt und so laufen Pädagog*innen Gefahr, dass sie bei fehlender Sensibilität oder mangelndem Wissen über geschlechtliche Vielfalt nicht nur zur Reproduktion geschlechtsspezifischer Bildungsungleichheiten und zu damit einhergehenden gesellschaftlichen Konsequenzen wie beispielsweise ungleichen Verdienstmöglichkeiten beitragen, sondern dass Personen, die dieser vermeintlichen Norm nicht entsprechen können oder wollen, in ihren Einrichtungen Mobbing, Diskriminierung und Gewalt ausgesetzt werden.

So gab die Mehrheit der trans* und inter* Personen, die von der Europäischen Grundrechtsagentur und der Antidiskriminierungsstelle des Bundes befragt wurden, an, während ihrer Schulzeit mehrfach beleidigt, bedroht oder lächerlich gemacht worden zu sein. Hinzu kommt, dass einige trans*, inter* und nicht-binäre Kinder und Jugendliche aufgrund der vermittelten Geschlechternormen versuchen, ihr Wissen über ihre Geschlechtsidentität zu verdrängen, was außer Lernschwierigkeiten auch psychische oder psychosomatische Symptome sowie eine erhöhte Suizidalität begünstigt.

Umso besorgniserregender ist es, dass vielen pädagogischen Fachkräften die Bedeutung der Begriffe trans*, inter*, nicht-binär nicht geläufig ist oder dass sie aus Angst vor Elternbeschwerden oder davor, etwas Falsches zu lehren, die Umsetzung des hessischen Lehrplans für Sexualerziehung in Schulen scheuen. Dabei sind es oftmals Erzieher*innen oder Lehrkräfte, denen sich trans*, inter* und nicht-binäre Kinder und Jugendliche als ersten Ansprechpersonen außerhalb der Familie oder des Freundeskreises anvertrauen. Durch ihre pädagogische Haltung und durch ihr pädagogisches Handeln können sie Kindern und Jugendlichen in ihrem Outingprozess und beim Ausleben ihrer Geschlechtsidentität unterstützend zur Seite stehen oder bloßstellende Situationen vermeiden. Dazu gehört zum Beispiel die unreflektierte Dramatisierung des Geschlechts, wenn die Lerngruppe nach Geschlechtergruppen aufgeteilt wird oder geschlechtergetrennte Melde­ketten und Sitzordnungen gelten sollen.

Im direkten Umgang mit den Lernenden in Kita, Schule und Hochschule können Pädagog*innen den selbst gewählten Vornamen der Lernenden verwenden und diesen auch noch vor einer rechtlichen Vornamensänderung in den meisten Dokumenten nutzen. Sie können den Kindern und Jugendlichen außerdem Beratung bieten oder über entsprechende Anlaufstellen informieren.

Ferner können sie für mehr Sichtbarkeit aller Geschlechter in Sprache, Materialien oder innerhalb der Institution sorgen. Bildungseinrichtungen haben meistens noch keine Regelungen zum Umgang mit unangenehmen Umkleidesituationen im Sport- und Schwimmunterricht, zur Schlafsituation auf Klassen- oder Studienfahrten, zu Toilettengängen oder zum Umgang mit der binären Aufteilung in Klassen- und Seminarlisten. Hier gilt es, sich in den entsprechenden Gremien einzubringen und geeignete Leitbilder und Schutzkonzepte voranzubringen – und zwar möglichst bevor ein Kind oder Jugendliche*r sich geoutet hat, damit dieser Weg nicht erst am Beispiel der in diesem Fall betroffenen Person abgearbeitet werden muss. Schließlich handelt es sich nicht um Einzelfälle und auch die Annahme, es gäbe in der Einrichtung keine trans*, inter* und nicht-binären Personen, ist falsch. Vielmehr spricht dies für ein outingunfreundliches Lern- oder Arbeitsklima, in dem trans*, inter* und nicht-binäre Kinder und Jugendliche ihre Geschlechtsidentität verbergen und damit unsichtbar machen. Insbesondere bei diesem Eindruck sollten sich pädagogisch Handelnde fragen, wie geschlechterinklusiv ihre Einrichtung ist, und sich durch die Organisation entsprechender Fortbildungen oder Fachtage Informationen einholen: Eine vielfaltsgerechte Bildungsinstitution kommt allen Geschlechtern und Beteiligten zugute.

Tina Breidenich


Tina Breidenich ist Lehrkraft für PoWi und Englisch an einer integrierten Gesamtschule und lehrt an der Goethe-Universität Frankfurt. Schwerpunkte der pädagogischen Arbeit und Lehre sind Intersektionalität, Reproduktion sozialer Ungleichheiten sowie sexuelle und geschlechtliche Vielfalt im schulischen Kontext. Ehrenamtlich ist Tina u. a. als Teil des Leitungsteams des Bundesausschusses Queer der GEW sowie in der AG Queere Vielfalt der hessischen GEW aktiv.

(1) Der Bundesausschuss Queer hat sich für den Genderstern und gegen die Verwendung des Doppelpunkts entschieden.