(Un-)Kultur der Weiterbildung

HLZ 12/2019: Erwachsenenbildung

Kommentar

In Sonntagsreden wird oft die wachsende Bedeutung der Weiterbildung betont. Im Juni diesen Jahres verkündeten Bundesbildungsministerin Karliczek (CDU) und Arbeitsminister Heil (SPD) mit großem Trara die „Nationale Weiterbildungsstrategie“, die angeblich die erste ihrer Art sei. In rhetorischer Überhöhung ist in einer Pressemeldung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung von einer „neuen Weiterbildungskultur“ die Rede, „die Weiterbildung als selbstverständlichen Teil des Lebens versteht“. Tatsächlich handelt es sich dabei eher um ein Konvolut bereits vorhandener, bereits geplanter Projekte, die sich zudem ausschließlich auf die berufliche Weiterbildung fokussieren. Meine kritischen Anmerkungen wurden abgetan: Das sei „doch viel besser als nix“ und man solle durch Kritik nicht zur Politikverdrossenheit beitragen.

Im Sommer beschloss das Kabinett dann einen ganz anderen Gesetzentwurf von Finanzminister Scholz, von dem bisher nur wenige Notiz genommen haben, was angesichts des Titels auch nicht verwundert. Der Entwurf für ein „Gesetz zur weiteren steuerlichen Förderung der Elektromobilität und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften“ hätte – wenn er Gesetz wird – verheerende Folgen für viele Weiterbildungseinrichtungen und die Lernenden. Dann wäre nur noch die direkt beruflich verwertbare Weiterbildung von der Umsatzsteuer befreit! Alle anderen Kurse, Seminare oder Exkursionen von der politischen Bildung über Gesundheit und Sport bis zu nicht-berufsorientierten Sprachkursen würden mit 19 Prozent Umsatzsteuer belegt. Früher oder später würde dies von den Bildungsanbietern an ihre Nutzerinnen und Nutzer weitergereicht werden! Die Behauptung, man wolle damit EU-Recht anwenden und einem Mahnverfahren der Kommission zuvorkommen, halte ich für ein Feigenblattargument!

Viele Anbieter würden wohl versuchen, Weiterbildungsangebote als beruflich orientiert zu „verpacken“ mit der Folge entsprechender Gerichtsverfahren zwischen Finanzbehörden und Anbietern, ob diese Zuordnung korrekt ist. Sozial verantwortliche Anbieter würden zum Gesetzesbruch durch „Etikettenschwindel“ bei Kursankündigungen verleitet, um sozial Schwachen hohe Kursgebühren zu ersparen.

Glücklicherweise hat der Bundesrat diesem Unsinn im September die Zustimmung versagt und als Aufschub eine Überprüfung angemahnt. Unserem Föderalismus ist es zu verdanken, dass es nicht sofort zum Gesetz wurde. Bundesbildungsministerin Karliczek hat dagegen nicht die Chance genutzt, ihre Rhetorik zur „neuen Weiterbildungskultur“ mit engagiertem Handeln sichtbar zu unterlegen. Oder ist es der „heimliche Lehrplan“ beider Aktivitäten, dass eine Ökonomisierung von Weiterbildung forciert werden soll? Alles, was nicht beruflich direkt verwertbar ist, soll privater Luxus werden? Diese „läppischen Zusatzkosten“ einer Steuerquote von 19 Prozent werde sich doch jeder leisten können. Politische Bildung, Gesundheitsförderung und Sprachkurse nur noch für die Wohlhabenden? Ist diese Initiative mit Unfähigkeit oder mit Böswilligkeit der beteiligten Ministerien zu erklären?

Es ist absurd. Rechtspopulistischen und rechts­radikalen Parteien gelingt es in Europa und Deutschland zunehmend, Wählerinnen und Wähler sowie mediale Aufmerksamkeit zu gewinnen. Die Neue Rechte agitiert offen gegen Bildung und Kultur. Um es ganz deutlich zu sagen: Wir stehen in einem Kulturkampf, wo es mehr Bildung und Weiterbildung geben muss, die über das Ökonomische und das beruflich Nützliche hinausgehen. Und genau solche Angebote sollen um 19 Prozent teurer werden? Kann man das begreifen? Vielleicht muss man einen Resilienzkurs besuchen, um solchen Unsinn gelassener zu ertragen.

Bernd Käpplinger
Professor für Weiterbildung an der Universität Gießen