Die gute Nachricht zuerst: Die Studierendenzahlen an den Schulen für Erwachsene (SfE) – Abendhaupt- und Abendrealschulen, Abendgymnasien und Hessenkollegs – stabilisieren sich auf niedrigem Niveau, nachdem sie über die letzten zehn Jahre kontinuierlich gesunken waren. Dies bestätigt die seit der Gründung der SfE in den 1950er Jahren bestehende Relevanz des Zweiten Bildungswegs als eigenständige Säule der hessischen Bildungslandschaft. Ihre Aufgabe, Erwachsene zu begleiten, die einen formalen allgemeinbildenden Bildungsabschluss anstreben, hat sich auch im Zuge der gesellschaftspolitischen Veränderungen des letzten Jahrzehnts kaum geändert.
Die SfE bieten für die steigende Anzahl von Menschen, die den Ersten Bildungsweg ohne Schulabschluss verlassen, die ihre Chancen im Beruf mit einem höheren Bildungsabschluss verbessern möchten, die die Studierfähigkeit erlangen wollen oder die durch Flucht und Vertreibung nach Deutschland gekommen sind und keinen Schulabschluss nachweisen können, die Möglichkeit, im Sinne einer ersten, zweiten oder auch dritten Chance, gesellschaftliche Teilhabe durch Bildung zu erlangen. Die an den SfE unterrichtenden Lehrkräfte sind Spezialist:innen, die den Lern- und Bildungsprozess auf die erwachsene Klientel und deren besondere Bedürfnisse zuschneiden. Sie vermitteln auf einem kontinuierlich qualitativ hochwertigen Niveau und in für die Studierenden vertretbarer Lebenszeit Kenntnisse und Fähigkeiten, die für deren Leben, gesellschaftliche Teilhabe und berufliche Perspektiven die Weichen neu stellen können.
Unzureichende Rahmenbedingungen
Allerdings müssen die Handlungsspielräume, die den SfE zugestanden werden, beständig verteidigt werden, denn der finanzielle Gürtel wird im Bildungsbereich immer enger geschnürt. Zudem sind den SfE in den letzten Jahren weitere Hürden auferlegt worden: Zu nennen ist zum Beispiel die Eingliederung in das Landesabitur Hessen mit Umsetzung der Kerncurricula für die Gymnasiale Oberstufe ohne nennenswerte Berücksichtigung der besonderen systemischen Herausforderungen. Die Arbeitsbedingungen der Lehrkräfte – Einsatz in unterschiedlichen Schulformen der Verbundschulen, Unterricht teilweise über den gesamten Tag verteilt, Abordnungen innerhalb des Systems – erschweren ihnen die Umsetzung ihres Bildungsauftrages deutlich.
Das Hessische Ministerium für Kultus, Bildung und Chancen hat sich bisher hartleibig gezeigt und Mittel, welche die SfE dringend zur zusätzlichen Sprachförderung für Deutsch als Bildungssprache benötigen, wie sie von der GEW-Landesfachgruppe Erwachsenbildung seit Jahren gefordert werden, nicht bereitgestellt. Auch die Forderung nach flächendeckender personeller Ausstattung mit UBUS-Kräften, im Sinne der Implementierung von multiprofessionellen Teams etwa zur Unterstützung des deutlich zugenommenen Anteils von Studierenden mit psychischen Problemen, wurde vom Ministerium abgewiesen, denn die SfE seien (nur) eine Angebotsschule.
Perspektiven
Insofern sind die Kreativität und das Engagement der Schulleitungen und der Lehrkräfte immer wieder gefordert, um vor allem im Sinne der Studierenden das Beste aus den Umständen herauszuholen. Kolleg:innen wurden und werden so zu Profis auf dem Gebiet des Marketings und in Public Relations, da sie nicht nur Werbung für die Schulform und ihre eigene Schule machen, um Studierende zu gewinnen, sondern auch mit vielfältigen kommunalen und regionalen Playern zusammenarbeiten, beispielsweise, um von kommunalen Angeboten der Schulsozialarbeit auch an ihrer Schule profitieren zu können oder durch die Zusammenarbeit mit Anbietern aus dem beruflichen Bereich einen gelungenen Übergang zu weiteren (Aus)bildungsmöglichkeiten für die Studierenden zu eröffnen. Überdies gibt es nun einige Contentmanager in den Kollegien, die den Social Media-Auftritt der Schule regelmäßig bespielen, um das besondere Bildungsangebot auf die Bildschirme der Zielgruppe zu bringen.
Darüber hinaus werden auch originäre Aufgaben von Schule im gegebenen (begrenzten) Rahmen kreativ ausgelotet: Die meisten SfE haben über den Unterricht hinausgehende Projekte zur Sprach- und Lernförderung und zur persönlichen und beruflichen Beratung der Studierenden initiiert, die das besondere Engagement der Unterrichtenden für ihre Klientel widerspiegeln. Die Entwicklung von digitalen, schulübergreifenden Unterrichtsangeboten steht auf der Agenda vieler Schulleitungen und Kollegien. Allerdings benötigen solche Formen des Unterrichts nicht nur gute inhaltliche Planung und funktionierende technische Voraussetzungen, sondern auch personelle Ressourcen, die vom Land zur Verfügung gestellt werden müssen. Ob die Empfehlung des Ministeriums, dass sich die SfE zu pädagogisch selbstständigen Schulen entwickeln sollten, um über entsprechende Handlungsspielräume zu verfügen, dafür eine (Patent)lösung bietet, wird sich zeigen.
Mein Name ist Amanda Schwaab, ich bin 23 Jahre alt und werde in wenigen Monaten voraussichtlich mein Abitur über den Zweiten Bildungsweg erlangen. Die Zeit am Hessenkolleg hat mich deutlich mehr gelehrt, als nur das, was im Unterricht behandelt wurde. Da mir mein Wunschstudiengang schon früh in meiner Ausbildung zur Friseurin bewusst war, konnte ich mich zum einen auf meine schulischen Leistungen, zum anderen aber auch auf meine sozialen Kompetenzen konzentrieren. Besonders durch das Wohnen im benachbarten Wohnheim des Kollegs bin ich eng mit den Mitstudierenden zusammengewachsen. So sehr, dass ich einige davon nicht mehr missen möchte und die Zeit an der Schule immer eine besondere Erinnerung sein wird.
Auch die Zeit mit meinen Mitstudierenden hat mich, und ich denke unsere ganze Klasse, geprägt. Diese bunte Mischung an Charakteren aus verschiedenen Altersgruppen, mit unterschiedlichen Erfahrungen und Zielen hat zu einigen sehr interessanten Konversationen geführt, bei denen ich viel lernen konnte. Diese lehrreichen Konversationen über verschiedenste Erfahrungen werden nun gemischt mit neuen, eigenen Erfahrungen während meiner Zeit hier, bis jetzt: von gelungenen und gescheiterten Freundschaften über stressige Klausurenphasen, in denen jeder angespannt ist, bis hin zu tiefgründigen Gesprächen mitten in der Nacht in irgendeiner Stockwerksküche und Partys im Wohnheim. Es gab sowohl schmerzhafte als auch sehr schöne Erfahrungen, für die ich insgesamt außerordentlich dankbar bin.
Besonders hat mir die Schule dabei geholfen, viele meiner Fähigkeiten und Schwächen zu erkennen, daran zu wachsen und manchmal einfach über den Dingen zu stehen. So werde ich das Kolleg nächsten Sommer verlassen, jedoch als eine andere, vielleicht sogar bessere Version von mir als die, die sich 2022 angemeldet hat.