„Lehrer:in kann jede:r?“

Fachtagung der GEW Hessen zu Fragen der Lehrkräftebildung | HLZ 11-2024

Zu Beginn des Schuljahrs meldete der Berliner Senat, dass inzwischen weniger als die Hälfte der 2.446 neu eingestellten Lehrkräfte eine grundständige Lehrerausbildung hat. Diese Tendenz bestätigt auch der jährliche Bericht der Kultusministerkonferenz: 2023 waren in Sachsen-Anhalt 53,4 Prozent der neu eingestellten Lehrkräfte Quereinstei­gerinnen und Quereinsteiger, in Brandenburg 48,2 Prozent und selbst in Baden-Württemberg 13,7 Prozent.
 

Aber warum sind es in Hessen angeblich nur 2,6 Prozent? Wie in der HLZ 6/2024 berichtet, bedient man sich eines Taschenspielertricks: Statt Quereinsteigerinnen und Quereinsteigern eine unbefristete Einstellung, eine ordentliche Qualifikation und am Ende eine Gleichstellung anzubieten, stellt Hessen in viel größerem Umfang Vertretungskräfte mit befristeten Verträgen ein, die sich schlecht bezahlt und oft ohne jede Unterstützung von Vertrag zu Vertrag hangeln und trotzdem das volle Pensum und alle dienstlichen Aufgaben einer Lehrkraft erledigen müssen.
 

„Lehrer:in kann jede:r?“: Unter dieser provokativen Überschrift stand die Fachtagung des Referats Aus- und Fortbildung der GEW Hessen am 11. September. Heike Ackermann, stellvertretende Landesvorsitzende, betonte in ihrer Begrüßung, wie dankbar auch die GEW den Quereinsteigerinnen und Quereinsteigern ist, die in den meisten Fällen „eine gute Arbeit“ leisten und „ohne die Schule in Hessen nicht laufen würde“. Die erfahrenen Lehrkräfte müssten jedoch zusätzliche Aufgaben, auch bei der Einarbeitung und Unterstützung, übernehmen.
 

Christina Nickel und Andrea Gergen, die die Fachtagung akribisch vorbereitet und für einen exzellenten Expertenkreis gesorgt hatten, moderierten die Tagung kompetent und engagiert.
 

In einem unterhaltsamen, erfahrungsgesättigten Vortrag nahm Prof. Dr. Holger Horz die Lehrkräftebildung in Hessen unter die Lupe. Der geschäftsführende Direktor der Akademie für Bildungsforschung und Lehrerbildung an der Goethe-Universität Frankfurt rief dazu auf, die Veränderungen beim Einstieg in den Lehrerberuf ernst zu nehmen: „One size fits all – die Zeiten sind vorbei.“ Es werde nie mehr genügend grundständig ausgebildete Lehrkräfte geben, auch weil die Geburtsjahrgänge, die jetzt in den Beruf kommen, nur noch halb so groß seien wie die, die jetzt in Pension gehen. Handlungsbedarf sieht er vor allem beim Referendariat. „21 Monate Armut, Deprivation und Überlastung“ seien gerade für Ältere mit Familie kein Motivationsfaktor. Auch Heike Ackermann hatte darauf hingewiesen, dass nur 50 Prozent der Menschen, die ein Lehramtsstudium aufnehmen, bis zum 2. Staatsexamen kommen.
Dr. Corinna Ziegler, wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Bergischen Universität Wuppertal, referierte über Studien zur „Relevanz des Anteils von Quer- und Seiteneinsteigenden für den Lernerfolg ihrer Schülerinnen und Schüler“. Hier sei dringend eine Aktualisierung erforderlich, da sich der Anteil inzwischen drastisch erhöht habe. Außerdem bestätigte sie die hessischen Befunde, dass der Anteil der Quereinsteigerinnen und Quereinsteiger in sozialen Brennpunkten besonders hoch ist.
 

Prof. Dr. Friederike Korneck vom Institut der Didaktik der Physik an der Goethe-Universität Frankfurt und Kim Yvonne Siekmann, stellvertretende Leiterin des Studienseminars für Grund-, Haupt-, Real- und Förderschulen (GHRF) in Marburg, ergänzten das abschließende Podiumsgespräch mit vertieften Einblicken. Beide kritisierten, dass für den Quereinstieg in Hessen immer wieder neue Strukturen aufgebaut werden, statt die Kompetenzen in den Universitäten und den Studienseminaren zu nutzen. Ihrer Problembeschreibung insbesondere mit Blick auf das Lehramt an Haupt- und Realschule stimmte auch Horz zu: „Wir sind inzwischen froh, dass wir wenigstens die Hälfte der Studienplätze besetzen können.“
 

Andrea Gergen und Christina Nickel machten sich in ihrem Schlusswort für bessere Arbeitsbedingungen in den Schulen stark, für eine stärkere Entlastung der Mentorinnen und Mentoren und für eine Lehrerbildung, die mehr Räume fürs Ausprobieren, für Innovation, für den Austausch und das Teamteaching lässt.
 

Zeitgleich beriet der Landtag übrigens in erster Lesung über einen Gesetzentwurf zur Erweiterung des Quereinstiegs. Die HLZ berichtet auf Seite 23.