Tarifrunde mit Bund und Kommunen

Beschäftigte im Sozial- und Erziehungsdienst für Reallohnsicherung

HLZ Mai 2023: Soziale Arbeit

Die Tarifrunde 2023 für die Beschäftigten des Bundes und der Kommunen wird in die Geschichte der bedeutsamen Streikbewegungen der Bundesrepublik eingehen. Diese Ausgabe der HLZ ging am 17. April in Druck. Nachdem die Gewerkschaften die Tarifverhandlungen nach der dritten Verhandlungsrunde für gescheitert erklärt hatten, hatten die Arbeitgeber die Schlichtungskommission angerufen, die am 15. April eine Einigungsempfehlung vorlegte. Sie sah für die Zeit bis Februar 2024 steuerfreie Einmalzahlungen in Höhe von insgesamt 3.000 Euro vor sowie eine Entgelterhöhung um 200 Euro und eine prozentuale Erhöhung um 5,5 Prozent ab März 2024. Auf dieser Grundlage wurden die Tarifverhandlungen am 22. April wieder aufgenommen. Damit war bei Druckbeginn noch offen, ob der Schlichtungsvorschlag zu einer Einigung führt oder ob wir uns in den ersten Maitagen, wenn diese HLZ bei den Mitgliedern der GEW Hessen ankommt, mitten in einer Urabstimmung zu einem Erzwingungsstreik befinden.

Hohe Kampfbereitschaft
Die Warnstreiks der Kolleginnen und Kollegen von Mitte Februar bis Ende März 2023 waren außerordentlich beachtenswert. Bundesweit fanden über den gesamten März hinweg fast täglich Arbeitsniederlegungen im öffentlichen Dienst statt: mal regional, mal begrenzt auf bestimmte Branchen, aber immer mit großer Beteiligung.

Die kommunalen Beschäftigten in Frankfurt machten gemeinsam mit den Kolleginnen und Kollegen aus den an den TVöD angelehnten freien Trägern schon ab dem 17. Februar klar, was sie von der diesjährigen Tarifrunde in Zeiten hoher Inflationsraten erwarten. „Die Preise steigen immer mehr, 500 Euro sind nur fair“, skandierten die Teilnehmenden der Warnstreikdemo an diesem Tag. Viermal insgesamt legten die Beschäftigten des Eigenbetriebs Kita Frankfurt die Arbeit nieder. Einen solchen Einsatz in einer Warnstreikphase gab es seit vielen Jahren nicht mehr.   Zu guter Letzt war vor der dritten Verhandlungsrunde in Potsdam der „Verkehrsstreik“, den ver.di gemeinsam mit der DGB-Eisenbahngewerkschaft EVG organisiert hatte, sehr bemerkenswert. Inwieweit es damit tatsächlich gelang, „Deutschland lahm zu legen“, sei einmal dahingestellt. Auf jeden Fall wurde aber deutlich, dass die Gewerkschaften gesellschaftspolitisch wieder in der in der Offensive sind.

Branchenstreiktag am 8. März
Am 8. März, dem Weltfrauentag, hatte der Sozial- und Erziehungsdienst bundesweit einen beeindruckenden Branchenstreiktag hingelegt. Auch am 21., 22. und 23. März waren die Kolleginnen und Kollegen aus den Kitas und dem Bereich der kommunalen sozialen Arbeit in Hessen mit großem Enthusiasmus dabei. Die Mitglieder der GEW und der anderen Gewerkschaften aus diesem Sektor haben damit eindrücklich gezeigt, dass sie – wenn es denn ab Mitte Mai erforderlich sein sollte – bereit sind, mit einem Erzwingungsstreik für eine gerechte Einkommensentwicklung im öffentlichen Dienst zu kämpfen. Schließlich hatten sie ja auch schon großes Engagement in den Aufwertungsrunden und Erzwingungsstreiks in den Jahren 2009 und 2015 gezeigt: Der hessische Sozial- und Erziehungsdienst kann auch Erzwingungsstreik!

Blockade beim Mindestbetrag
Dass die Gewerkschaften die Tarifverhandlungen für gescheitert erklären und in ein Schlichtungsverfahren gehen mussten, ist ausschließlich den Arbeitgebern anzulasten.  Diese hatten bei den dreitägigen Verhandlungen Ende März offenbar noch nicht in ausreichendem Maße begriffen, um was es den Beschäftigten in dieser angesichts der horrenden Preissteigerungen  sehr speziellen Tarifrunde vor allem geht: um einen hohen Mindestbetrag, der gerade die unteren und mittleren Entgeltgruppen bestmöglich vor Reallohnverlusten bewahren kann. Nur so ist ein sozial gerechter Tarifabschluss möglich. Tatsächlich legten die Arbeitgeber offiziell in Potsdam gar kein neues Angebot vor, das über den in der zweiten Runde offerierten und völlig unzureichenden Vorschlag hinausgegangen wäre. Arbeitgeber und Gewerkschaften kamen sich zwar etwas entgegen, aber letztlich war das Delta vor allem beim Mindestbetrag deutlich zu groß, um zu einem Ergebnis zu kommen.

Zum Stand bei Redaktionsschluss
Wenn die Nachverhandlungen auf der Grundlage des Schlichtungsergebnisses erfolglos bleiben, steht eine Urabstimmung an. Dabei müssen mindestens 75 Prozent der betroffenen Mitglieder für weitere Streikmaßnahmen stimmen. Es bleibt dann bei der gewerkschaftlichen Forderung: 10,5 Prozent mehr, mindestens 500 Euro monatlich! Bei einer Einigung in den Nachverhandlungen geht es in den nächsten Wochen „nur“ noch um die Umsetzung des Tarifergebnisses.


Rüdiger Bröhling