Beziehungen professionell verstehen

Der Frankfurter Arbeitskreis für Psychoanalytische Pädagogik

HLZ Mai 2023: Soziale Arbeit

Fachkräfte in der Sozialen Arbeit sind alltäglich herausgefordert, komplexe Situationen zu bewältigen. Die professionelle Beziehungsarbeit mit den Klient:innen ist eingebettet in institutionelle Rahmenbedingungen, die sich im widersprüchlichen Feld von Hilfe und Kontrolle sowie Halten und Zumuten bewegen. Zugleich fließen soziale und biografische Vorerfahrungen sowohl der Adressat:innen als auch der Fachkräfte in die professionellen Interaktionen ein und führen oftmals zu emotionalen Verstrickungen, die Einzelne, aber auch ganze Teams beeinträchtigen können. Die Reflexion dieser vielschichtigen Beziehungsarbeit ermöglicht ein Verständnis für die unbewussten Dimensionen, die in jeder professionellen Interaktion mitschwingen, um daraus neue Impulse entwickeln zu können.

Psychoanalytische Pädagogik und Soziale Arbeit machen psychoanalytische Konzepte wie Übertragung, Gegenübertragung, Mentalisierungstheorie oder Institutionsanalyse nutzbar und widmen sich mit der Methode des Szenischen Verstehens auch den unbewussten Motiven und Dynamiken im professionellen Feld. Dies ist hilfreich für eine Balance von Nähe und Distanz, für den Umgang mit Affekten in professionellen Beziehungen und für die institutionelle Gestaltung der Hilfeangebote. Psychoanalytisch orientierte Soziale Arbeit  versteht sich insofern als ein multiperspektivischer Ansatz, der gesellschaftlich-soziale, subjektiv-unbewusste und interaktionelle Ebenen gleichermaßen einbezieht.

Um diesen Ansatz für Fachkräfte in sozialen Feldern nutzbar zu machen, wurde 1983 – vor 40 Jahren – der Frankfurter Arbeitskreis für Psychoanalytische Pädagogik (FAPP) gegründet. Ein wesentliches Motiv für die Gründung des FAPP war es, eine berufsbegleitende Weiterbildung zu etablieren, die neben der Theorievermittlung gleichrangig eine kontinuierliche Supervision der beruflichen Praxis und gruppenanalytische Selbsterfahrung umfasst (1).

Ausgehend von den pädagogischen Alltagserfahrungen der Teilnehmer:innen sollte deren pädagogische Identität erhalten bleiben, auch wenn sie selbstverständlich in der psychoanalytischen Durchdringung modifiziert wird (2). Gezielt sollte die Psychoanalytische Pädagogik nicht nur im erziehungswissenschaftlichen Studiengang der Universitäten, sondern darüber hinaus für praktizierende Pädagog:innen und für andere Berufsgruppen wie Psycholog:innen oder Soziolog:innen zugänglich gemacht werden. Der FAPP sollte zudem Forschungsergebnisse, Methoden und Erkenntnisse der Psychoanalytischen Pädagogik für alle im Bereich der psychosozialen Versorgung sowie des Erziehungs- und Bildungswesens tätigen Fachkräfte nutzbar machen.

Der selbstreflexive Verstehensansatz
Das Frankfurter Konzept der Psychoanalytischen Pädagogik ist ausgerichtet auf professionelle Pädagogik und Soziale Arbeit, die sich immer auch mit gesetzlichen Vorgaben und institutionellen Rahmenbedingungen auseinandersetzen muss. Handlungsleitende Prämisse ist, auf eigene Bedürfnisbefriedigung in der Arbeit mit den Klient:innen nicht angewiesen zu sein, sich zwar verwenden zu lassen, aber den anderen nicht zu verwenden. Daher ist das zentrale Kriterium der Psychoanalytischen Pädagogik und Sozialarbeit der selbstreflexive Verstehensansatz, der eine spezifische Haltung innerhalb eines gegebenen Rahmens sowie spezifische Settings voraussetzt. Die Angebote des FAPP haben zum Ziel, die Fähigkeit zur Reflexion des eigenen Handelns und die Reflexion der Übertragungs- und Gegenübertragungsprozesse zu fördern. Hilfreich ist das diagnostische Instrument des Szenischen Verstehens, das eine Orientierung darüber ermöglicht, wie fördernde pädagogische Beziehungen, Settings und Angebote gestaltet werden können, um dadurch einen Fördernden Dialog (Leber), der auf dem Wechselspiel von Halten und Zumuten beruht, zu initiieren. Zudem benötigen Pädagoginnen und Pädagogen für ihre Arbeit einen haltgebenden institutionellen Rahmen, um die ihnen zugefügten Zumutungen aushalten zu können.

Berufsbegleitende Weiterbildung: FAPP wird 40
Professionelle Pädagogik setzt eine abgegrenzte und einfühlsame und gleichermaßen verständnisvolle Grundhaltung voraus, die nicht nur einmal erworben werden kann, sondern immer wieder neu erarbeitet werden muss. Aus diesen Überlegungen resultierte schließlich zunächst eine dreijährige berufsbegleitende Weiterbildung in Psychoanalytischer Pädagogik, die vom FAPP seit 1984 bis heute kontinuierlich angeboten wird. In den folgenden Jahren wurden vom FAPP weitere Fort- und Weiterbildungsformate entwickelt und angeboten:

  • eine 18-monatige Weiterbildung in Psychoanalytischer Beratung
  • Inhouse-Fortbildungen zu verschiedenen Themen und Fortbildungen im Blockformat u.a. zu den Themen Geistige Behinderung, Schule oder Traumapädagogik
  • Supervision und institutionelle Beratung für soziale und pädagogische Einrichtungen
  • fortlaufende, in Gruppen wöchentlich stattfindende Berufsbezogene Selbsterfahrung

Seit 2006 organisiert der FAPP auch Vortragsreihen zu aktuellen Themen der Pädagogik und der Sozialen Arbeit. Bereits seit 1986 veranstaltet der FAPP alle zwei Jahre eine Fachtagung. Dabei werden grundsätzliche Fragestellungen und aktuelle Themen der Pädagogik und Sozialen Arbeit aufgegriffen und thematisiert. Ergebnisse dieser Fachtagungen sind teilweise in Büchern nachzulesen, die der FAPP in der Reihe Psychoanalytische Pädagogik beim Psychosozial-Verlag in Gießen veröffentlicht. Neben der Reihe Psychoanalytische Pädagogik gibt der FAPP seit 1989 auch das Jahrbuch für Psychoanalytische Pädagogik heraus. Anlässlich des 40-jährigen Jubiläums des FAPP befindet sich eine Veranstaltung im Sommer diesen Jahres in Vorbereitung.

Scheitern und Gelingen
Am 13. Mai 2023 fand die 19. Fachtagung des FAPP mit dem Titel „Scheitern und Gelingen in professionellen Beziehungen – Zum Umgang mit inneren und äußeren Grenzen“ statt. Diese Fachtagung war eigentlich schon 2021 geplant, musste allerdings zweimal wegen Corona verschoben werden. Auch wenn die Tagung bereits in einer Zeit geplant war, als noch niemand an Corona gedacht hat, zeigen die Erfahrungen, die mit der Corona-Pandemie verbunden sind, einmal mehr, dass das Erleben von Scheitern und Gelingen nicht nur von persönlicher Kompetenz oder fachlicher Unfähigkeit abhängt.

Vielmehr zeigt gerade die Erfahrung der letzten Jahre, wie sehr Scheitern oder Gelingen in Pädagogik und Sozialer Arbeit dicht beieinander liegen und zum Teil fließend ineinander übergehen. Der Erfolg beruflichen Handelns ist nicht im Sinne einer Input-Output-Logik steuerbar, weil sich Pädagogik und Soziale Arbeit mit Beziehungen und Emotionen unter sich stets wandelnden gesellschaftlichen Voraussetzungen beschäftigen und auseinandersetzen müssen. Der psychoanalytisch-pädagogische Ansatz fragt nach den inneren und äußeren Grenzen der Beziehungsarbeit. Er betrachtet zudem auch kritisch das Machtgefüge der sozialen Verhältnisse. Subjektiv erlebtes Scheitern wird eben oft auch durch institutionelle Rahmenbedingungen und gesellschaftliche Erwartungen verursacht. Dies reflektieren zu können, ist Teil des professionellen Handwerkzeugs. Die Grenzen im professionellen Kontext bewusst wahrnehmen und zulassen zu können, sollte stets Gegenstand der Reflexion sein, um sich selbst vor Resignation oder Zynismus und die Klient:innen vor übergriffigem Verhalten zu schützen.


Marga Günther und Joachim Heilmann


Prof. Dr. Marga Günther ist Diplom-Sozialpädagogin und Diplom-Soziologin und seit 2010 Professorin für Theorien und Methoden der Sozialen Arbeit an der Evangelischen Hochschule Darmstadt. Sie ist Vorsitzende des Frankfurter Arbeitskreises für Psychoanalytische Pädagogik (FAPP). Joachim Heilmann ist Diplom-Pädagoge, Psychoanalytischer Pädagoge und Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut und zweiter Vorsitzender des FAPP.

Alle weiteren Infos: www.fapp-frankfurt.de

(1) Joachim Heilmann und Urte Finger-Trescher: Frankfurter Arbeitskreis für Psychoanalytische Pädagogik. Fort- und Weiterbildungsangebote – Konzepte und Erfahrungen. In: Marga Günther, Joachim Heilmann und Anke Kerschgens (Hg.) (2022): Psychoanalytische Pädagogik und Soziale Arbeit (siehe Cover). S. 583-599.
(2) Aloys Leber: Wie wird man psychoanalytischer Pädagoge? In: Günther Bittner und Christoph Ertle (Hrsg.): Pädagogik und Psychoanalyse. Würzburg: Königshausen & Neumann, S. 151-165.